Das neue Klima der Einschüchterung: In einer funktionierenden Demokratie sind freie Medien keine Randerscheinung, sondern systemrelevant. Die Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist kein dekoratives Grundrecht, sondern konstituierend für den demokratischen Meinungsbildungsprozess.
Umso alarmierender ist die Zunahme staatlicher Maßnahmen, die faktisch auf eine Einschüchterung journalistischer Tätigkeit hinauslaufen – durch Hausdurchsuchungen, Strafverfahren oder strategisch geführte Prozesse. Es entsteht ein Klima des Verdachts, in dem kritischer Journalismus nicht nur beobachtet, sondern kriminalisiert wird. Der demokratische Diskurs gerät dadurch unter Druck.
Strafprozessrecht trifft Pressefreiheit
Die rechtliche Grundlage: Das Strafprozessrecht kennt mit den §§ 102 ff. StPO Instrumente wie Durchsuchung und Beschlagnahme. Diese Maßnahmen sind rechtsstaatlich legitim – doch ihre Anwendung gegenüber Medienvertreter:innen steht unter strenger verfassungsrechtlicher Kontrolle. Denn wo journalistisches Material betroffen ist, greift § 97 Abs. 5 StPO: Beschlagnahmen sind unzulässig, wenn sich das Beweismittel im Gewahrsam von Berufsgeheimnisträgern befindet – und kein dringender Tatverdacht gegen diese selbst besteht. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat immer wieder betont: Eine journalistische Tätigkeit darf nicht durch Ermittlungen ausgehöhlt werden, die letztlich auf die Identifikation von Informanten oder auf redaktionelle Strategien zielen.
In seinem Beschluss zur Berliner Morgenpost (1 BvR 1089/13) hat das BVerfG eindringlich vor einer „Umgehung des Informantenschutzes durch Ermittlungsmaßnahmen“ gewarnt. Das Cicero-Urteil von 2007 bleibt ebenfalls richtungsweisend: Ermittlungen dürfen nicht den Zweck verfolgen, „die Quelle zu identifizieren oder das Vertrauen in die Vertraulichkeit journalistischer Kommunikation zu erschüttern“.
Fälle aus der Praxis: Wenn Redaktionen zum Tatort werden
Die rechtlichen Maßstäbe klingen eindeutig – doch die Praxis spricht eine andere Sprache. Die Durchsuchung der Redaktionsräume von Radio Dreyeckland im Jahr 2023 zeigt, wie brüchig die Schutzmauer des Art. 5 GG geworden ist. Anlass war ein Artikel, der auf ein Archiv der verbotenen Plattform linksunten.indymedia verlinkte. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe sah darin eine „Unterstützung einer verbotenen Vereinigung“ (§ 85 Abs. 2 StGB). Beschlagnahmt wurden Laptops, die zentrale redaktionelle Kommunikation enthielten. Das Landgericht Karlsruhe stellte später fest, dass das Verlinken zur journalistischen Tätigkeit gehört – das Oberlandesgericht hingegen ließ die Durchsuchung der Privatwohnungen von Redakteuren zu. Die Verfassungsbeschwerde ist anhängig.
Ein anderer Fall: In Würzburg wurde im Jahr 2020 die Wohnung des freien Journalisten Thomas Herterich durchsucht – auf Grundlage des Verdachts, er sei „Gegendemonstrant“ bei einer Querdenker-Demo. Das Amtsgericht klassifizierte ihn kurzerhand als „Aktivisten“, nicht als Journalisten. Erst das Landgericht korrigierte diesen schwerwiegenden Fehler: Herterich sei eindeutig Teil des durch Art. 5 GG geschützten Personenkreises. Die Durchsuchung war rechtswidrig.
Solche Fälle sind keine Ausreißer – sie markieren eine Tendenz.
Europaweiter Druck: Von Spyware bis SLAPP
Ein Blick über die Grenzen zeigt: Der Druck auf Journalist:innen ist ein europäisches Phänomen. In der ARTE-Dokumentation „Unter Druck – Wie frei sind Europas Medien?“ wird der Fall des griechischen Investigativjournalisten Thanasis Koukakis beleuchtet, der mit der Spionagesoftware Predator überwacht wurde – mutmaßlich durch staatliche Stellen. In der Slowakei wurde der öffentlich-rechtliche Rundfunk de facto abgeschafft. Und in ganz Europa häufen sich sogenannte SLAPPs („Strategic Lawsuits Against Public Participation“) – Verfahren, die weniger der Rechtsdurchsetzung dienen als der Einschüchterung.
SLAPPs richten sich nicht auf eine strafrechtliche Sanktionierung im klassischen Sinne. Ihr Ziel ist die ökonomische und psychologische Erschöpfung der Betroffenen – durch überlange Verfahren, Kostenrisiken und mediale Diffamierung. In Deutschland wächst das Problembewusstsein, auch auf EU-Ebene ist die Anti-SLAPP–Richtlinie erarbeitet. Doch bisher fehlt es an spezifischem rechtlichem Schutz gegen solche missbräuchlichen Verfahren im deutschen Strafrecht.
Gefährdete Informanten, verletztes Vertrauen
Die journalistische Arbeit basiert auf Vertrauen – insbesondere auf das Vertrauen von Informant:innen, dass ihre Identität gewahrt bleibt. Wird dieses Vertrauen durch Durchsuchungen und Ermittlungen untergraben, entsteht eine schleichende Erosion investigativer Arbeit. Quellen verstummen, Informationen versiegen, Kontrolle findet nicht mehr statt.
Genau hierin liegt die Gefahr für die Demokratie: Eine informierte Öffentlichkeit ist auf unabhängige Recherchen angewiesen. Wenn staatliche Maßnahmen den Raum für kritischen Journalismus verengen, entsteht nicht nur ein „chilling effect“ auf Journalist:innen selbst – es leidet das gesamte Gemeinwesen.
Juristische Reformvorschläge: Ein Medienstrafrecht mit Grundrechtskompass
Ein jüngst publizierter Vorschlag zielt auf die Einführung eines medienbezogenen Abschnitts in der Strafprozessordnung (§§ 501–504 StPO-E). Ziel ist es, rechtsklare und grundrechtskonforme Regeln für den Umgang der Strafjustiz mit Medien zu schaffen: etwa zur Rolle der Staatsanwaltschaft als alleiniger Ansprechpartner (§ 502 StPO-E), zur medialen Inszenierung von Ermittlungen (§ 503 StPO-E) oder zur Herausgabe von Anklageschriften (§ 504 StPO-E).
Diese Reformüberlegungen sind notwendig – und überfällig. Denn die bisherigen rechtlichen Hürden gegen medienfeindliche Maßnahmen werden zu oft durch niedrige Verdachtsschwellen oder weite Auslegung der Strafnormen unterlaufen. Die rechtsstaatliche Absicherung journalistischer Arbeit verlangt mehr als ein Lippenbekenntnis zum Informantenschutz.
Journalist:innen brauchen Schutz
Ein demokratischer Rechtsstaat darf nicht zulassen, dass kritischer Journalismus unter Generalverdacht gestellt wird. Es braucht klare gesetzliche Grenzen für Ermittlungsmaßnahmen gegen Medien. Und es braucht ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür, dass Pressefreiheit nicht erst dann verloren ist, wenn sie abgeschafft wird – sondern schon dann, wenn sie schleichend unterwandert wird.
Wenn Strafverfolger vor der Türe von Journalist:innen oder Redaktionen stehen, geht es um Überraschung – und Druck. Im Moment der Überrumpelung sollen Druck & Einschüchterung, gepaart mit für diese Situation trainierten Ermittlern dazu führen, dass man sich äußert. Der beste Schutz ist, sich vorher darum zu kümmern, dass ein erfahrener Strafverteidiger zur Seite steht, der wirklich weiß, wie man die Situation in den Griff bekommt und der gegenüber Ermittlern Zähne zeigen kann. Es muss ein System etabliert werden, dass die Situation vorbereitet und um 6 Uhr morgens einen Ansprechpartner im Medienstrafrecht sicherstellt – eine Uhrzeit, zu der Zivilrechtler noch nicht am Schreibtisch sitzen, Strafverteidiger aber genau wissen, dass Arbeitszeit ist.
Fazit: Die Freiheit der Presse ist kein Selbstläufer
Der Schutz der Pressefreiheit im Strafverfahrensrecht ist ein Lackmustest für den Zustand der Demokratie. Die hier geschilderten Fälle – von Würzburg über Karlsruhe bis Athen – zeigen, dass es längst nicht mehr nur um Randphänomene geht. Die systematische Nutzung strafprozessualer Mittel zur Disziplinierung oder Abschreckung von Medienschaffenden markiert eine gefährliche Entwicklung.
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