Mehrweg ja – aber nicht beim Deckel: Das Urteil des Landgerichts Berlin vom 4. Juni 2024 (Az. 102 O 58/23) behandelt einen praxisrelevanten Konflikt an der Schnittstelle von Umweltrecht und Wettbewerbsrecht: Muss ein Kaffeeanbieter, der gesetzlich zu Mehrwegbechern verpflichtet ist, auch Mehrwegdeckel anbieten – oder genügt ein Einwegdeckel?
Ein Umweltverband sah in der gängigen Praxis eines Bäckereiunternehmens, Kaffee in Mehrwegbechern mit Einwegdeckeln auszugeben, einen Verstoß gegen das Verpackungsgesetz (VerpackG) und klagte auf Unterlassung. Das LG Berlin wies die Klage ab – mit bemerkenswerter Begründung.
Sachverhalt
Die Klägerin, ein eingetragener Umwelt- und Verbraucherschutzverband, hatte beanstandet, dass die Beklagte – ein Bäckereibetrieb – Heißgetränke zwar in Mehrwegbechern, aber regelmäßig mit Einwegplastikdeckeln ausgab. Aus Sicht der Klägerin verstieß dies gegen die Mehrwegangebotspflicht gemäß § 33 Abs. 1 VerpackG und zugleich gegen das Lauterkeitsrecht (§ 3a UWG). Im Verfahren machte sie insbesondere geltend, dass die Verpflichtung zur Mehrwegalternative nach Sinn und Zweck der Vorschrift auch die Deckel umfassen müsse, da diese Teil des Getränkebehälters seien. Die Beklagte entgegnete, es fehle sowohl an einer entsprechenden Verpflichtung als auch an einem klaren Wettbewerbsverstoß.
Rechtliche Würdigung
1. Marktverhaltensregel und Verbraucherschutz?
Das Gericht stellte zunächst klar, dass § 33 Abs. 1 VerpackG grundsätzlich eine Marktverhaltensregel im Sinne des § 3a UWG sein kann – und zwar nicht nur im Interesse des Umweltschutzes, sondern auch, soweit die Wahlfreiheit der Verbraucher betroffen ist. Insofern bejahte das Gericht die grundsätzliche Klagebefugnis des Umweltverbands.
2. Keine Pflicht zum Mehrwegdeckel
Im Kern verneinte das LG Berlin jedoch, dass sich aus § 33 VerpackG eine Pflicht zur Abgabe von Mehrwegdeckeln ableiten lasse. Weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik oder dem Richtlinienkontext lasse sich dies entnehmen:
- § 33 VerpackG bezieht sich nur auf „Verpackungen“ und „Becher“, nicht aber auf Deckel.
- Eine analoge Anwendung sei unzulässig, weil § 3 Abs. 4b VerpackG ausdrücklich nur bestimmte Kombinationen aus Verpackung und Deckel adressiere – Getränkebecher seien hiervon ausgenommen.
- Auch der Verweis auf die EU-Richtlinie 2019/904 verfing nicht: Zwar erwähnt der Anhang dort ausdrücklich Deckel als Teil der Verbrauchsminderung, die Umsetzung in deutsches Recht gehe jedoch nicht so weit, eine Mehrwegpflicht auch für Deckel festzulegen.
3. Kein Wettbewerbsverstoß
Mangels einer unionsrechtskonformen Grundlage und klarer nationaler Pflicht bestehe somit auch kein wettbewerbsrechtlich relevanter Verstoß. Der Umstand, dass Umweltbehörden in Umsetzungshinweisen weitergehende Anforderungen formuliert hätten, ändere daran nichts – Gerichte seien an diese nicht gebunden.
4. Logistik und Pfandsystem unzureichend
Ob die verwendeten Deckel überhaupt Mehrwegqualität aufwiesen, konnte dahinstehen. Denn es war weder eine Rücknahme- noch eine Reinigungssystematik erkennbar – ein bloßer Verweis auf die Spülmaschinentauglichkeit genüge nicht, um ein Pfandsystem nach Maßgabe von § 3 Abs. 3 VerpackG zu etablieren.
Kontext
Kein Wettbewerbsverstoß ohne klare Mehrwegpflicht – Deckel bleiben im Zweifel Einweg, solange der Gesetzgeber keine andere Regel trifft. Die Entscheidung schafft Rechtssicherheit für Anbieter und markiert eine Grenze für lauterkeitsrechtliche Ausdehnungen umweltpolitischer Ziele.
Die Entscheidung steht im Kontrast zu einer zunehmenden „Erwartungshaltung“ seitens umweltpolitischer Akteure und Behörden, auch Einwegdeckel systematisch zu reduzieren. Sie reiht sich in eine restriktive Tendenz der Rechtsprechung ein, unionsrechtlich flankierte Umweltregeln nicht über den Wortlaut hinaus auszulegen – etwa wie in früheren Entscheidungen zur Auslegung der Verpackungsverordnung oder zur Reichweite von Abfallvermeidungszielen im Einzelhandel.
Fazit
Das LG Berlin mahnt zur Zurückhaltung bei der richterlichen Fortbildung von Umweltpflichten. Nicht jede ökologisch wünschenswerte Praxis lässt sich rechtlich erzwingen – insbesondere dann nicht, wenn der Gesetzgeber bewusst begrenzte Vorgaben macht. Für Anbieter bedeutet das: Die Mehrwegpflicht bezieht sich auf Becher, nicht auf Zubehör. Für Umweltverbände: Die juristische Hebelwirkung endet dort, wo das Gesetz schweigt.
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