Wann ist ein Diebstahl im strafrechtlichen Sinne „geringfügig“? Diese scheinbar einfache Frage birgt für die Praxis erhebliche Bedeutung, insbesondere für die Strafzumessung und die Frage, ob besonders schwere Fälle vorliegen. In einem aktuellen Beschluss vom 16. August 2024 (Az. 1 ORs 15/24) hat das Oberlandesgericht Braunschweig die Wertgrenze für die Annahme einer geringwertigen Sache präzisiert und damit Rechtssicherheit geschaffen.
Sachverhalt
Der Entscheidung lag ein umfangreiches Strafverfahren zugrunde, in dem der Angeklagte u. a. wegen mehrfachen Diebstahls, darunter auch Diebstahl mit Waffen, sowie Handeltreibens mit Cannabis verurteilt worden war. In einem Teil der Anklage – den sogenannten Taten zu Ziffer III.1.–3. – ging es um Vermögensdelikte mit geringem Schadensumfang: Einziehungsbeträge von 20 € und 30 € standen zur Diskussion. Das Landgericht Göttingen hatte zunächst eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verhängt und Einziehungen in dieser Höhe angeordnet. Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte Revision ein.
Rechtliche Würdigung
Das OLG Braunschweig nahm im Revisionsverfahren eine Neubewertung der Geringwertigkeit im Sinne der §§ 243 Abs. 2, 248a StGB vor. Es hielt fest:
„Die Wertgrenze für die Bewertung einer Sache als geringwertig […] ist im Regelfall bei 40 € anzusetzen.“
Diese Festlegung hat erhebliches Gewicht. Denn sie betrifft sowohl die Anwendung des § 243 Abs. 2 StGB – der bestimmt, wann der Diebstahl „in einem besonders schweren Fall“ begangen wird – als auch § 248a StGB, der für Haus- und Familiendiebstähle eine Strafverfolgung nur auf Antrag vorsieht, wenn die entwendete Sache „geringwertig“ war.
In der Folge nahm das OLG hinsichtlich der genannten Einziehungsbeträge Abstand von deren Verfolgung (§ 154a StPO) und hob zudem den Strafausspruch teilweise auf. Begründet wurde dies u. a. damit, dass die Geringwertigkeit der entwendeten Sachen eine Strafbarkeit nach dem erhöhten Strafrahmen des § 243 Abs. 1 StGB ausschloss.
Analyse
Die Entscheidung des OLG Braunschweig besticht durch ihre Klarstellung in einem bislang unklaren Grenzbereich. Während Rechtsprechung und Literatur sich bislang häufig um die Grenze von 25 € oder 50 € bewegten, zieht das Gericht nun einen klaren Strich bei 40 €. Diese Orientierungshilfe wirkt nicht nur systematisierend, sondern auch rechtspraktisch entlastend.
Beachtenswert ist ferner, dass das Gericht eine konkrete Wertgrenze vorgibt, obwohl das Gesetz selbst keine feste Summe nennt. Die gesetzliche Bestimmung des § 243 Abs. 2 StGB verwendet lediglich das unbestimmte Tatbestandsmerkmal „geringwertig“. Dass die Grenze nun bei 40 € angesetzt wird, erleichtert Gerichten und Strafverfolgungsbehörden die Arbeit erheblich und verringert das Risiko uneinheitlicher Entscheidungen.
Allerdings bleibt offen, ob diese Grenze auch künftig flexibel an die Preisentwicklung angepasst werden sollte. Angesichts der Inflation und veränderten Lebenshaltungskosten könnte es sachgerecht sein, die Geringwertigkeit dynamisch zu verstehen. Das OLG hat sich hierzu nicht geäußert, doch dürfte die Diskussion in Literatur und Praxis weitergeführt werden.
Ertrag: Die OLG-Entscheidung bringt dringend benötigte Klarheit in eine bislang auslegungsanfällige Norm. Sie dient als praxisrelevanter Maßstab für die Beurteilung der Geringwertigkeit von Tatobjekten – ein scheinbar kleiner, aber strafrechtlich bedeutsamer Schritt zur Systematisierung des materiellen Strafrechts.
Schlussfolgerung
Die Entscheidung des OLG Braunschweig (Az. 1 ORs 15/24) liefert einen handfesten Orientierungswert für die Bewertung der Geringwertigkeit im Strafrecht. Mit der Festlegung auf 40 € stärkt das Gericht die Rechtssicherheit und ermöglicht eine differenziertere Anwendung der Strafzumessungsvorschriften. Gerade im Lichte der §§ 243 und 248a StGB ist dies ein willkommener Beitrag zur Dogmatik des Vermögensstrafrechts.
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