OLG-Hamburg: Kein Beweisverwertungsverbot bei Daten aus Encrochat-Überwachung

Kein bei : Nach dem OLG Bremen hat sich nun auch das OLG Hamburg (1 Ws 2/21 – vorausgehend LG Hamburg, hier bei uns) postiert und klargestellt, dass es kein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich durch Encrochat-Überwachung erlangte Daten gibt. Die Entscheidung steht im klaren Widerspruch, zu diversen Äußerungen von Strafverteidigern, die versuchen, sich öffentlich anders zu postieren – dabei liegt auf der Hand, dass man hier in erster Linie mit Nebelkerzen wirft.

Hinweis: Zum Thema Kryptomessaging und Beweisverwertungsverbot findet sich von RA JF in der Literatur eine Darstellung bei §174 TKG Rn. 4, 35 im BeckOK- (Beweisverwertungsverbot und EUGH-Rechtsprechung) sowie in jurisPR-StrafR 11/2023 Anm. 4 (LG Darmstadt)!
Beachten Sie auch die zahlreichen Beiträge in unserem Blog zum Schlagwort „Kryptomessenger“!

Kurz: Beweisverwertungsverbote

Geprägt von amerikanischen Filmen und Serien glauben heute viele Laien, dass man Verfahren alleine durch prozessuale „Tricks“ gewinnen kann. Während aber in den USA ein Strafprozess alleine wegen eines Verfahrensfehlers gewonnen werden kann, ist dies im deutschen Strafprozess gerade nicht möglich. Vielmehr gibt es hier zwar Beweisverwertungsverbote, allerdings werden diese sehr restriktiv gehandhabt.

Die so genannte Abwägungslehre des Bundesgerichtshofs, die auch ich sehr kritisch sehe, verlangt von den Gerichten, Verfahrensverstöße gegen Verfolgungsinteressen abzuwägen. Hier gilt insbesondere: Je erheblicher die Straftat, umso eher darf auch ein ordnungswidrig erlangter Beweis verwendet werden. Denn in unserer Rechtskultur wird immer noch versucht, einer objektiven Wahrheit nachzueifern (die es nicht gibt) und es hierbei als unerträglich empfunden, wenn der – auch nur vermeintliche -Täter freigesprochen werden muss.

Das ist nichts Neues, sondern vielmehr Basis-Wissen, dass man spätestens als Referendar sauber beherrschen muss. Beschuldigte und deren Familien sollten sich nicht blenden lassen, wenn mitunter (wohl) im eigenen Werbeinteresse Verteidiger grossmundig anderes behaupten und „klare Beweisverwertungsverbote“ sehen. Strafprozesse in Deutschland gewinnt man seltenst mit einem vermeintlich genialen verfahrensrechtlichen Kniff, sondern durch eine Kombination aus guter Verfahrenskenntnis, Rechtskenntnis und Kommunikationspsychologie. Gerade letzteres ist nach meinem Eindruck ausschlaggebend in einem Prozess, in dem Richter versuchen, selber festzuzurren, was aus ihrer Sicht passiert ist.

OLG-Hamburg: Kein Beweisverwertungsverbot bei Daten aus Encrochat-Überwachung - Rechtsanwalt Ferner

Jens Ferner

Strafverteidiger

Kein Beweisverwertungsverbot bei Encrochat-Daten

Das OLG Hamburg führt nun obige, von mir plakativ beschriebene Grundsätze aus und hält zusammengefasst fest, dass es keine Rolle spielt, ob man nun international zusammenarbeit oder nur nationale Behörden – auch wenn es keine „Wahrheit um jeden Preis“ geben soll, so ist dass doch das Eichmaß deutscher Rechtskultur:

Bei der grenzüberschreitenden Übernahme von Daten aus anderen Verfahren gelten im Hinblick auf Verwertungsverbote jedenfalls im Ansatz die gleichen Regeln wie bei rein innerstaatlichen Vorgängen (…) Auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ gerichtet ist, schränkt die Annahme eines Verwertungsverbotes eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen hat und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind.

Das Rechtsstaatsprinzip gestattet und verlangt die Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (…) Ein Beweisverwertungsverbot stellt damit eine Ausnahme dar, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (…) Insbesondere kann das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers ein Verwertungsverbot nach sich ziehen

OLG Hamburg, 1 Ws 2/21

Sodann fasst das OLG treffend zusammen, dass sich ein Verwertungsverbot bei grenzüberschreitenden Sachverhalten grundsätzlich sowohl aus der Rechtswidrigkeit der im Ausland vorgenommenen Maßnahme als auch der Rechtswidrigkeit des grenzüberschreitenden Datentransfers selbst ergeben kann, hier sind also die wesentlichen Hebel anzusetzen. Beides sieht das OLG bei Encrochat unproblematisch:

  • Ist davon auszugehen, dass die Datenerhebung im ausländischen Strafverfahren in dem Sinne rechtswidrig war, dass sie gegen die vor Ort geltenden Regeln verstoßen hat, wird dieser Umstand mit dem OLG ähnlich wie bei innerstaatlichen Datenerhebungen einzustellen sein; dies auch, wenn die fehlende Verantwortung deutscher Ermittlungsorgane für das Verhalten ausländischer Stellen im Einzelfall zu einer geringeren Gewichtung führen könnte.
  • Weiter stellt das OLG fest bzw. arbeitet heraus, dass im deutschen Strafverfahren eine Überprüfung ausländischer Entscheidungen anhand deutschen Rechts nur beschränkt stattfindet, nämlich dahingehend, ob gegen rechtsstaatliche Mindeststandards im Umgang mit dem Beschuldigten verstoßen wurde. Insgesamt kommt das OLG zu dem Schluss, dass es bei der Prüfung ausländischer Entscheidungen verfehlt wäre, die Anforderungen an rechtsstaatliches Handeln aus dem einfachen deutschen Strafverfahrensrecht abzuleiten. Dieses gilt nicht für ausländische Sachverhalte und kann auch keine Geltung beanspruchen. Prüfungsmaßstab sind (alleine) grundlegende Rechte wie der Kernbestand deutscher Grundrechte oder der durch die EMRK gewährleisteten Rechte.
  • Hinsichtlich der Datenerhebung durch die französischen Behörden, schreibt das OLG ausdrücklich, dass (bei aktuellem Sachstand) davon auszugehen ist, dass die Datenerhebung in Frankreich den dortigen Vorschriften entsprach und damit rechtmäßig war. Auf Basis des sich derzeit abzeichnenden Sachverhalts ist auch nicht davon auszugehen, dass die französischen Behörden gegen grundlegende rechtsstaatliche Standards im Sinne des ordre public verstoßen haben könnten.

Das OLG hebt weiter hervor, dass daran zu denken ist, im Rahmen der Prüfung konkreter Anhaltspunkte für Verstöße gegen Kerngewährleistungen des Rechtsstaatsprinzips, bei der von Datenträgern bzw. größerer Datenmengen aufgrund des das Rechtsstaatsprinzip essentiell prägenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unbedingt dafür Sorge zu tragen, dass kein überschießender Zugriff auf unbedeutende Informationen erfolgt. Auch darf die Zugriffsmöglichkeit durch Ermittlungsbehörden nicht über den eigentlichen Zweck hinaus dazu missbraucht werden, gezielt nach Zufallsfunden zu suchen oder solche ohne Notwendigkeit zu ermöglichen. In dem Zusammenhang macht das OLG dann deutlich:

Von einer solchen Fallgestaltung ist im vorliegenden Verfahren jedoch nicht auszugehen. Auf Basis der bekannten Tatsachen erscheint der Umfang der französischen Ermittlungen vielmehr plausibel und erforderlich.

Die Besonderheit des Datenaustauschs über EncroChat bestand darin, dass gewichtige Anhaltspunkte dafür sprachen, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Anbieter von Telekommunikationsleistungen handelte, sondern um eine Organisation, die ihr Produkt zielgerichtet auf die Ermöglichung kriminellen Einsatzes zugeschnitten und damit ausgerichtet hatte. Dafür sprach und spricht auch weiterhin unter anderem der Umstand, dass die Verantwortlichen unbekannt sind, verschiedene Maßnahmen zielgerichtet polizeiliche Aufklärungsmaßnahmen behinderten und das System schließlich aus Sicht der französischen Behörden auch tatsächlich wahrscheinlich in einer Vielzahl von Fällen zur Begehung von Straftaten verwendet wurde. Hinzu tritt der Umstand, dass die Betreiber von EncroChat dadurch möglicherweise zielgerichtet gegen französische Regelungen, die eine unangemeldete Verschlüsselung unter Strafe stellen, verstoßen haben.

Vor diesem Hintergrund musste sich der Verdacht der französischen Behörden erkennbar auch gegen die Betreiber von EncroChat richten, und zwar unter anderem im Hinblick auf eine Förderung der mittels des Telefonsystems begangenen Straftaten. Um die den Betreibern zur Last zu legenden Taten aufzuklären, bedurfte es des vorgenommenen umfassenden Zugriffs auf die Daten der Firma EncroChat. Diese konnten und können nähere Einblicke in das wahrscheinliche System der Unterstützung von Straftaten und den Umfang des den Verantwortlichen zuzurechnenden Unrechts geben. Hiernach bestehen jedenfalls keine Anhaltspunkte für einen deutlich überschießenden und damit rechtsstaatswidrigen Zugriff auf Daten.

Ob die Betreiber von EncroChat als unbekannte Personen hierbei im französischen Strafverfahren formell als Beschuldigte deklariert wurden oder ob das französische Strafverfahren in dieser Konstellation eine andere rechtliche Konstruktion als Basis der weiteren notwendigen Aufklärung genutzt hat, ist irrelevant.

Rechtliche Bewertung und Anfangsverdacht bei Encrochat-Nutzung

Das OLG Hamburg macht, wie das OLG Bremen, deutlich, dass alleine die Nutzung von Encrochat bereits Anfangsverdachte in alle Richtungen begründet – und nimmt auch mal gleich rechtliche Wertungen vor, die sicherlich sämtliche Encrochat-Verfahren prägen werden:

Bereits die aufgefundenen großen Mengen von Betäubungsmitteln in sechs der sieben Ausgangsfälle und die initial vorliegenden Informationen über die Chiffrierung im EncroChat-System, der hohe Preis der nicht über ein „offizielles“ Händlernetz vertriebenen Geräte sowie der Verstoß gegen französische Rechtsvorschriften im Hinblick auf die Verschlüsselungstechnik, begründen den konkretisierten Anfangsverdacht zumindest einer zum Handeltreiben mit Betäubungsmittel in nicht geringer Menge gegen die Betreiber von EncroChat nach § 29a BtMG, mithin einer Katalogtat nach § 100a Abs. 2 Nr. 7 lit. b) StPO bzw. § 100b Abs. 2 Nr. 4 lit. b) StPO, die aufgrund der Mengen und des daraus offensichtlich resultierenden hohen Organisationsgrades auch im Einzelfall besonders schwer im Sinne des § 100b Abs. 1 Nr. 2 StPO wog. Die Annahme der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 1, Abs. 5 S. 3 StGB und damit einer Katalogtat nach § 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. c) StPO bzw. § 100b Abs. 2 Nr. 1 lit. b) StPO lag ebenfalls nicht fern.

Fazit: Kein Beweisverwertungsverbot bei Encrochat-Daten

Also: Nunmehr hat das zweite OLG in einer äusserst umfangreichen Entscheidung klargestellt, dass ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich Encrochat-Daten nicht im Raum steht. Wirklich überraschen sollte das Strafverteidiger nicht (dazu auch kurz und prägnant Pauli in NStZ 2021, 146).

Natürlich macht es Sinn, bis zu BGH- und BVerfG-Entscheidungen diese Thematik hochzuhalten und auch deutlich zu machen, dass hier ein eklatantes Problem liegt, das in der Straafprozessordnung jedenfalls nicht ausdrücklich geregelt ist. Beschuldigten aber sollte man nicht erzählen, dass hier ein absolutes Verteidigungspotential liegt – vielmehr ist es ein Mosaikstein unter vielen in der komplexen Verteidigung in Encrochat-Verfahren-

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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