Erkennungsdienstliche Behandlung nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens

Beim Verwaltungsgericht Münster (1 K 115/14) ging es um die erkennungsdienstliche Behandlung. Diese wurde angeordnet obwohl sämtliche nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurden. Dies weil ein (Rest-) Verdacht bestand, die betroffene Person werde künftig wieder straffällig werden. Dabei wurde die Maßnahme nicht auf die sondern auf §14 PolG NW gestützt, der in der Tat einen ganz erheblichen Spielraum vorsieht – dass mangels Tatverdacht eine in strafrechtlicher Hinsicht vorgenommen wurde, schdet dabei gerade nicht. Denn es geht um einen rein polizeirechtlichen Gefahrenbegriff, der von der Unschuldsvermutung nicht betroffen wird.

Dazu auch bei uns: Die erkennungsdienstliche Behandlung

Es mag daher ungerecht oder zumindest unfair erscheinen, ist aber ständige Rechtsprechung: Die Anordnung erkennungsrechtlicher Maßnahmen kann im Einzelfall auch rechtmäßig sein kann, obwohl sämtliche Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurden. Hintergrund ist wieder einmal §14 PolG NW und die tatsache, dass hier verwaltungsgerichte ein eigenes Verdachtsmoment begründen können, selbst wenn ein strafprozessuales Verdachtsmoment nicht gegeben ist.

Wenn es also an (positiven) Feststellungen im Strafurteil fehlt, darf die Behörde nicht allein an die frühere Beschuldigteneigenschaft anknüpfen, sondern muss ihren Restverdacht konkret auf den jeweiligen Einzelfall bezogen begründen. Diese Begründung darf weder schematisch noch formelhaft oder unspezifisch sein. Es hängt von einer Würdigung der gesamten Umstände des einzelnen Falles ab, ob wegen der Einstellung von Strafverfahren, die gegen den Betroffenen gerichtet waren, die Anfertigung oder Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen Unterlagen nicht mehr notwendig ist:

Der Restverdacht muss sich zumindest auch aus der Anlasstat ableiten lassen, weil in diesem Verfahren die Anordnung getroffen worden ist. Dieser verbleibende Rest des Verdachtes bildet die Basis und den Ausgangspunkt für die Prognose, die in dem konkreten (Anlass-)Verfahren gestellt worden ist und die auch nach dem Freispruch des Beschuldigten oder der Einstellung des gegen ihn geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens weiterhin aufrecht erhalten bleiben soll. Lediglich ergänzend können zur Begründung einer Wiederholungsgefahr weitere – ältere und neuere – Ermittlungsverfahren und strafgerichtliche Verurteilungen des Betroffenen herangezogen werden (…) Ohne das Erfordernis, an einen solchen Restverdacht anzuknüpfen, könnte die eines Beschuldigten in irgendeinem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren angeordnet, die Begründung jedoch (insgesamt) auf andere – zeitlich frühere oder spätere – Ermittlungsverfahren gestützt werden.

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 3 O 27/20

Anders formuliert: Im Verwaltungsrecht gibt es keine Unschuldsvermutung. Aus diesem Grund sollte man immer vorsichtig sein und das beachtliche Risiko sehen, trotz strafrechtlich weisser Weste derartige Verfahren zu verlieren – andererseits ist daran zu denken, dass gleichwohl nicht nach Gutdünken eine erkennungsdienstliche Behandlung angeordnet werden darf.

Aus der Entscheidung:

Die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage sind erfüllt. Die streitgegenständlichen erkennungsdienstlichen Maßnahmen sind zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich, weil der Kläger verdächtig ist, insbesondere in Form der (§ 238 StGB) eine Tat begangen zu haben, die mit Strafe bedroht ist und wegen der Art und der Ausführung der Tat die Gefahr der Wiederholung besteht.

Die Notwendigkeit der Anfertigung und Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Unterlagen gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW bemisst sich danach, ob der den Betroffenen belastende Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls – insbesondere der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen zur Last gelegten Straftaten und seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, währenddessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist – Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Maßnahmen dazu beitragen könnten, ihn künftig von der Begehung erneuter Straftaten abzuhalten.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. August 2014 – 5 A 1692/13 –, juris, Rn. 6.

Ausgehend hiervon ist die Anordnung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW rechtlich nicht zu beanstanden. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahmen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten notwendig sind. Insbesondere aus der Anlasstat der Nachstellung ergibt sich ein Straftatverdacht gegen den Kläger und es besteht auch die Gefahr der Wiederholung vergleichbarer oder sogar schwererer Straftaten. Aus dem im Ermittlungsverfahren wegen Nachstellung festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass der Kläger seine ehemalige Ehefrau und seine Ex-Freundin unabhängig voneinander über Monate hinweg durch ständige (auch nächtliche) SMS, Anrufe und via Internet bedroht und eingeschüchtert hat. Die in den Ermittlungsakten des Beklagten enthaltenen -Protokolle belegen eindrucksvoll, wie beständig und hartnäckig der Kläger die beiden Geschädigten bedrängt und eingeschüchtert hat. Auch die von ihm ausgesprochenen Bedrohungen sind dort dokumentiert. So hat er beiden Frauen körperliche Gewalt angedroht. Beispielhaft zitiert das Gericht aus den WhatsApp-Nachrichten des Klägers: „Pass auf, wenn ich Dich in die Finger bekomme“; „Ich lass Dich ab jetzt nicht mehr in Ruhe“, „Ich mach euch beide platt“. Der Beklagte hat zutreffend und nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund der Art und Weise, der Dauer und Intensität der Nachstellungen derzeit nichts dafür spricht, dass der Kläger, dessen Persönlichkeit durch sehr sprunghafte Stimmungsschwankungen gekennzeichnet ist (die ebenfalls in den WhatsApp-Nachrichten nachzuvollziehen sind), von seinem strafrechtlich relevanten Tun ablassen wird. Das Gericht schließt sich ferner der Einschätzung des Beklagten an, dass die große Zahl der gegen den Kläger erstatteten Anzeigen und auch das enge Deliktsfeld „, , und Sachbeschädigung“ aus kriminalistischer Sicht sehr besorgniserregend und in jedem Fall handlungsrelevant sind.

Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe sich in der Zwischenzeit straffrei verhalten. Zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides vom 00.00.0000 waren seit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen Nachstellung nur wenige Wochen vergangen. Weitere mögliche Straftaten des Klägers sind zwar nicht aktenkundig, dennoch sind im insoweit maßgebenden Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung,

vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1982 – 1 C 29.79 -, BVerwGE 66, 192,

erst ca. 19 Monate vergangen. Dieser Zeitraum ist angesichts der in Rede stehenden Delikte zu kurz bemessen, um bereits eine positive Prognoseentscheidung dahingehend treffen zu können, der Kläger werde sich in Zukunft straffrei verhalten. Der Beklagte weist zudem zutreffend daraufhin, dass dieses Klageverfahren ebenfalls Einfluss auf das Verhalten des Klägers gehabt haben könnte.

Entgegen der Auffassung des Klägers steht der Anordnung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen auch nicht entgegen, dass sämtliche Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurden. Entscheidend ist allein, ob ein hinreichender Verdacht besteht, die betroffene Person werde künftig wieder straffällig werden. Ein solcher (Rest-)Verdacht kann auch dann vorliegen, wenn alle Strafverfahren gegen die betroffene Person eingestellt worden sind.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 2002 – 1 BvR 2257/01-, juris, Rn. 11; VGH Mannheim, Beschluss vom 20. Februar 2011 – 1 S 2054/00 -, NVwZ 2001, 1289 (1290); Tegtmeyer/Vahle, PolG NRW, § 14 Rn. 11.

Gegen den Kläger besteht nach den obigen Ausführungen nach wie vor ein „Restverdacht“. Aus den ausführlichen Darlegungen des Beklagten in der vom 00.00.0000und den in den übersandten Verwaltungsvorgängen enthaltenen Strafanzeigen ergibt sich, dass gegen den Kläger seit 2009 insgesamt acht strafrechtliche Ermittlungsverfahren geführt wurden. Der Restverdacht beruht – wie oben bereits geschildert – insbesondere auf den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens wegen Nachstellung. Die gegen den Kläger geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wurden nicht nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, weil der Kläger die Taten erwiesenermaßen nicht begangen hat, sondern weil oftmals Aussage gegen Aussage stand oder weil – wie im Fall der Nachstellung – eine Anklageerhebung nicht im öffentlichen Interesse lag.

Die im angefochtenen Bescheid vom 6. Januar 2014 angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahmen sind in § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 PolG NRW gesetzlich vorgesehen und daher für Zwecke des Erkennungsdienstes geeignet.

Die verfügten Maßnahmen sind für Zwecke des Erkennungsdienstes auch erforderlich. Es ist davon auszugehen, dass die Durchführung der Maßnahmen den Kläger davon abhalten könnte, künftig erneut entsprechende Straftaten zu begehen. Mildere, weniger in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eingreifende, aber genauso effektive Maßnahmen der Gefahrenabwehr sind nicht ersichtlich.

Die erkennungsdienstliche Behandlung ist schließlich auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Der dem Kläger zugemutete Grundrechtseingriff ist in Anbetracht des gegen ihn bestehenden Tatverdachts sowie im Hinblick auf das hohe Schutzgut (insbesondere der körperlichen Unversehrtheit anderer Menschen) nicht außer Verhältnis zu dem mit den Maßnahmen verfolgten öffentlichen Interesse an der Verhinderung solcher Straftaten. Der Beklagte weist in diesem Zusammenhang wiederum zutreffend darauf hin, dass die kriminalistische Erfahrung zeige, dass Kapitaldelikten an Frauen durch ihre ehemaligen Partner oder Verehrer häufig Bedrohungen und Nachstellungen vorausgegangen seien. Dieser Umstand ist dem Gericht aufgrund medialer Berichterstattung ebenfalls bekannt.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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