Der Bundesgerichtshof (4 StR 52/22) konnte sich endlich klarstellen zur Frage äußern, ob ein Diebstahl vorliegt, wenn ein Funksignal eines Keyless-Systems „verlängert“ wird und somit genutzt wird, um einen PKW zu entwenden. Die Frage bejaht der BGH nun am Rande und es zeigt sich, dass es juristisch einen Unterschied macht, ob das Signal aktiv verwendet oder nur passiv gestört wird.
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Besonders schwerer Fall des Diebstahls?
Kern der Frage ist, ob ein „Anderes nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmtes Werkzeug“ im Sinne des Tatbestandes vorliegt. Insoweit ist auf den tatbestand des §243 StGB zu verweisen:
Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter (..) zur Ausführung der Tat (…) mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeug eindringt (…)
§243 Abs.1 Nr.1 StGB
Um es hier kurz zu machen – wobei man dies dogmatisch durchaus spannend vertiefen könnte, ich sehe es durchaus anders – wird zumindest mit der h.M. kein „falscher Schlüssel“ vorliegen, sodass es auf das andere Werkzeug ankommt. Doch genügt hier eine technische Einrichtung, mit der Funksignale verlängert und „kopiert“ werden? Die Literatur bejahte dies bisher bereits (siehe etwa Beck-OK StGB, §243, Rn. 12), der BGH schließt sich dem nun ausdrücklich an:
Die auf die Ausführung der Tat mit einem anderen nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmten Werkzeug gestützte Verurteilung wegen Diebstahls nach § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Der Angeklagte verlängerte durch die Verwendung von Verstärkern das Funksignal des Fahrzeugschlüssels (sog. Keyless-go-System), öffnete auf diese Weise den Pkw des Geschädigten und startete den Motor. Damit drang der Angeklagte in einen umschlossenen Raum ein, indem er den Schließmechanismus ähnlich wie mit einem Schlüssel mittels des Verstärkers ordnungswidrig zur Öffnung in Bewegung setzte (…)
BGH, 4 StR 52/22
Also: Die Verlängerung samt „kopieren“ oder „aneignen“ des Funksignals führt in den besonders schweren Fall des Diebstahls mit einer Mindestfreiheitsstrafe von 3 Monaten. Leider gab es keine Gelegenheit für den BGH, sich zu den zugehörigen Datendelikten zu äußern und die vorausgegangene Entscheidung des Landgerichts ist nicht verfügbar, so dass die hier spannenden Kern-Fragen des IT-Strafrechts außen vor bleiben.
Nur am Rande sei kurz angemerkt, dass die Datendelikte beim Keyless-System nicht auf der Hand liegen: Die §§202a, 202b StGB werden hier kritisch zu würdigen sein, da Keyless-Systeme wohl keine besondere Sicherung im Sinne des Gesetzes aufweisen; und es dürfte eine öffentliche Datenübermittlung vorliegen. Es liefe auf die §§303a, 303b StGB hinaus, die aber auch keine Selbstläufer wären. Dies hier zu vertiefen wäre zu umfangreich …
Anders bei Störsignal für Keyless-System
Ganz anders ist die Wertung übrigens, wenn das Keyless-Funksignal nicht ausgenutzt, sondern das Abschließen mittels Störsignal schlicht verhindert wird: Wie oben ausgeführt sind andere nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmte Werkzeuge solche, mit denen der Schließmechanismus ähnlich wie mit einem Schlüssel ordnungswidrig in Bewegung gesetzt wird. Bei einem verwendeten Störsender kommt zwar auf den ersten Blick ein solches Werkzeug in Betracht. Aber: das Eindringen in die Fahrzeuge müsste stattfinden, indem er deren Schließmechanismus mittels des Störsenders in Bewegung gesetzt wird! Das wäre nur dann der Fall, wenn die Verriegelung des Fahrzeugs mithilfe des Störsenders geöffnet wird, nicht hingegen, wenn dadurch die Verriegelung des Fahrzeugs verhindert wird, was hier den Feststellungen zufolge gleichermaßen möglich ist (so schon ausdrücklich BGH, 3 StR 349/17).
Hausratversicherung muss nach Öffnen des PKW mittels Funksignal nicht zahlen
In dem Zusammenhang von Interesse sollte auch die versicherungsrechtliche Seite sein: Das Amtsgericht München wies durch Urteil vom 12.03.2020 die Klage eines Piloten aus dem Raum Freiburg gegen ein Münchner Versicherungsunternehmen auf Zahlung aus Hausratsversicherung in Höhe von 3.314,72 Euro für einen aus seinem PKW entwendeten Koffer ab.
Der Pkw des Klägers kann mittels eines Keyless-Go-Systems über Funk ver- und entriegelt werden Am 10.12.2018 stellte der Kläger seinen PKW in der Münchener Straße in Frankfurt am Main ab und verließ es für fünf Minuten. In dieser Zeit wurden ein Reise- und ein Pilotenkoffer von einem unbekannten Täter entwendet. An dem Pkw befanden sich danach keine Aufbruchspuren. Der Kläger verständigte umgehend die örtlich zuständige Polizeidienststelle und erstattete Strafanzeige gegen Unbekannt. Dieses Verfahren wurde eingestellt, da kein Täter ermittelt werden konnte. Teile seiner Uniform, Ausweisdokumente und Pilotenlizenz wurden im von der Polizei ausgehändigt, nachdem sie in einer Mülltonne in unmittelbarer Nähe zum Tatort gefunden worden waren.
Der Pilotenkoffer nebst den seinem Arbeitgeber gehörenden Geräten sowie die Uniform wurden durch seinen Arbeitgeber ersetzt.
Der Vertrag über die Hausratsversicherung enthält die Klausel: „Entschädigt werden auch versicherte Sachen, die (…) durch Aufbrechen eines verschlossenen Kraftfahrzeugs entwendet…werden.“
Der Kläger trägt vor, dass er den Pkw sicher verschlossen habe. Wahrscheinlich sei der Pkw vom unbekannten Täter durch eine sogenannte „Relay Attack“ entriegelt worden, indem das Keyless-Go-System unbefugt mit einem Funksignal überwunden wurde. Er meint, dass auch eine unbefugte Öffnung des Pkw per Funksignal unter den Begriff „Aufbrechen“ falle.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass keine Einstandspflicht bestehe, da es vorliegend an einem „Aufbrechen“ fehle. Hierfür sei mehr erforderlich als jedes unbefugte Öffnen. Die Verwendung eines falschen Schlüssels sei aber gerade nicht gleichzusetzen mit einem „Aufbrechen“.
Der zuständige Richter am Amtsgericht München begründet sein Urteil u.a. so:
„Das vom Kläger vermutete unbefugte Öffnen des Pkw per Funksignal fällt nicht unter die Versicherungsbedingungen der Beklagten. (…) Der Wortlaut des Begriffs „Aufbrechen“ ist nach Auffassung des Gerichts eindeutig. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch (und auch der Definition des Duden) umfasst ein entsprechendes Vorgehen die Anwendung von Gewalt. Auch wenn nach Auffassung des Gerichts nicht zwangsläufig eine Beschädigung der Sache erforderlich ist, fällt unter „Aufbrechen“ nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sicher nicht jedes unbefugte Öffnen mittels Verstärkung eines Funksignals oder Verwendung eines „falschen“ Funksignals. (…)
Für die Kosten- und Risikokalkulation der Beklagten ist es zwangsläufig erforderlich, dass der Versicherungsumfang (und damit ihre zu erwartenden Risiken) klar abgegrenzt sind. Es können nicht einfach (später) zusätzliche versicherte Risiken durch Auslegung entgegen eines eindeutigen Wortlauts in den Vertrag aufgenommen werden. (…)
Für eine unterschiedliche Behandlung dieser Fälle spricht auch die Nachprüfbarkeit durch die Beklagte und die Beweislage. Bei dem versicherten gewaltsamen Aufbrechen dürfen in der Regel Spuren hinterlassen werden. Im Fall einer elektronischen Überwindung per Funksignal könnte die Abgrenzung zum schlichten Vergessen des Absperrens durch den Versicherungsnehmer nur deutlich unsicherer anhand der Angaben des Versicherungsnehmers und ggf. Zeugen erfolgen. Für die Beklagte wäre dies kaum nachprüfbar, und es bestünde nach Auffassung des Gerichts eine nicht unerhebliche Missbrauchsgefahr. (…)
Ein Versicherungsnehmer kann damit nicht davon ausgehen, dass auch ein unbefugtes Öffnen des Pkw ohne Anwendung von Gewalt einen Versicherungsfall darstellen sollte.
Urteil des Amtsgerichts München vom 12.03.2020, Aktenzeichen 274 C 7752/19; (Quelle dieses gesamten Abschnitts von Überschrift bis hier: Pressemitteilung des Gerichts)
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