Fristlose Kündigung wegen Verdachts der Erstellung von „Raubkopien“

In einer aktuellen Entscheidung (4 Sa 11/23) hat das Landesarbeitsgericht Köln über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung verhandelt, die aufgrund des Verdachts der Erstellung von „Raubkopien“ und eines wettbewerbswidrigen Verhaltens ausgesprochen wurde. Dabei ging es um den Vorwurf, dass ein Mitarbeiter ausgerechnet einem Konkurrenzunternehmen die lizenzwidrige Verwendung der eigenen Software ermöglicht habe.

Die Entscheidung beleuchtet wesentliche rechtliche Aspekte im Kontext der fristlosen Kündigung eines Arbeitnehmers beim Verdacht, wesentliche Daten der Firma für andere verwendet zu haben. Aber Vorsicht, der Fall macht zugleich deutlich, wie gefährlich es sein kann, allein aus äußeren und allgemeinen Umständen auf ein geschäftswidriges Verhalten zu schließen!

Sachverhalt

Der Kläger, der seit 2017 als Head of Business Architecture & Reporting bei der Beklagten tätig war, wurde im Juli 2022 fristlos gekündigt. Die Beklagte, ein Unternehmen im Speditionssektor, warf dem Kläger vor, unerlaubt dienstliche E-Mails weitergeleitet und geistiges Eigentum der Firma entwendet zu haben. Diese Handlungen sollen der Unterstützung eines Wettbewerbers, der X (im Folgenden: Gegenseite), gedient haben, die Softwarelösungen für die Logistikbranche entwickelt und vertreibt. Dabei ging es um eine angepasste Standard-Software:

Grundlage der Kernprozesse der von der Beklagten erbrachten 11 Logistikdienstleistungen und für die Steuerung der internen Prozesse bildet eine Basissoftware namens CW One (CW1). Dabei handelt es sich um eine Software für das Transportmanagement, die am Markt angeboten wird und die von der Beklagten eingekauft wurde, ohne dass sie daran exklusive Nutzungsrechte besitzt.

CW1 enthält auch Analyse- und Reporting-Funktionalitäten, welche die Beklagte jedoch als zu umständlich, langsam und nicht ausreichend erachtete. Aus diesem Grund wurden für die Beklagte von dem b Softwareunternehmen M F weitere Systeme entwickelt, um die Nutzung von CW1 zu verbessern und den Anforderungen der Beklagten zu entsprechen, namentlich die sog. DH Forwarding Reporting Platform (FRP), ein sog. DataHub, auf den wiederum eigens für die Beklagte von M F programmierte sog. Business Intelligence Applikationen (BI-Applikationen) aufsetzen. Nach eigenen Angaben hat die Beklagte hierzu mehrere 100.000,00 Euro aufgewendet.


  1. Um was für Raubkopien ging es? Mit „Raubkopien“ waren Kopien von firmeneigenen Softwarelösungen und Dokumentationen gemeint. Diese Software und Dokumente enthielten geschäftskritische Informationen und Prozesse, die der Kläger angeblich an die Gegenseite weitergegeben haben soll. Die Beklagte behauptete, dass diese Kopien unrechtmäßig erstellt und weitergeleitet wurden, um der Gegenseite einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.

    Das Landesarbeitsgericht stellte dazu übrigens ausdrücklich klar, dass ein derartiges Verhalten „an sich“ geeignet wäre, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen!
  2. Warum störte sich der Arbeitgeber an den weitergeleiteten Mails? Die Weiterleitung von dienstlichen E-Mails an einen Konkurrenten, die geschäftskritische Informationen und vertrauliche Daten enthielten, wurde als schwerwiegende Pflichtverletzung angesehen. Diese Handlung verletzte das Vertrauen des Arbeitgebers in die Loyalität und Vertraulichkeit des Klägers und stellte einen potenziellen wirtschaftlichen Schaden für die Beklagte dar. Zudem wurde vermutet, dass diese Informationen genutzt wurden, um die Konkurrenz zu stärken und Marktanteile der Beklagten zu übernehmen.

Rechtliche Analyse

In der Beweisführung und prüfte das Gericht, ob die Beklagte die Pflichtverletzungen des Klägers ausreichend nachweisen konnte. Dabei wurde besonders auf die Qualität und die Relevanz der Beweise geachtet, die die Beklagte vorlegte:

  • Beweislast: Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber die Beweislast für die Tatsachen, die eine fristlose Kündigung rechtfertigen sollen. Im vorliegenden Fall musste die Beklagte nachweisen, dass der Kläger tatsächlich unberechtigt E-Mails weitergeleitet und Raubkopien erstellt hatte.
  • Beweismittel: Die Beklagte legte E-Mail-Verläufe und Zeugenaussagen vor, um die Vorwürfe zu untermauern. Diese Beweise sollten zeigen, dass der Kläger in den Prozess der unrechtmäßigen Weitergabe involviert war.

    Das Gericht stellte fest, dass die vorgelegten Beweise nicht ausreichten, um den Vorwurf der Raubkopien und des wettbewerbswidrigen Verhaltens eindeutig zu bestätigen. Es gab Zweifel an der Relevanz und der direkten Verbindung der Handlungen des Klägers zur behaupteten Pflichtverletzung.

    Bezüglich der weitergeleiteten Mails ist zu sehen, dass jede einzelne Mail zu prüfen war – und da wurde aus der Masse an weitergeleiteten Mails schnell … gar nichts mehr:

    Im konkret zu beurteilenden Fall rechtfertigt der Pflichtverstoß aber keine außerordentliche Kündigung. Die Beklagte benennt von den rd. 90 weitergeleiteten E-Mails konkret lediglich vier, hinsichtlich deren Inhalts sie einen konkreten Bezug zur … und damit eine mögliche Beeinträchtigung ihrer Interessen ausmacht.

    Soweit sie diese vorgelegt hat, hat der Kläger nachvollziehbar darlegen können, dass die Weiterleitung zum Zwecke der Erfüllung von Aufgaben für die Beklagte erfolgte. Dass die Weiterleitung zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zu Gunsten eines Dritten oder in der Absicht geschehen wäre, der Beklagten Schaden zuzufügen, konnte die Kammer dem Vortrag der darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten nicht entnehmen.

    Die Beklagte mutmaßt dies letztlich nur, was im Rahmen einer Tatkündigung nicht ausreichend ist. Die Berufungskammer geht davon aus, dass der Kläger entsprechend seiner „gelebten Praxis“ zwar pflichtwidrig Weiterleitungen vornahm, dies aber jeweils zum Zwecke der Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten erfolgte.

    Besonders kritisch sah das Gericht dann bei der im Streit stehenden Verwendung der Software, dass keine ausreichenden Indizien für eine unmittelbare Konkurrenzsituation und einen direkten wirtschaftlichen Schaden vorgelegt wurden. Hierbei spielte interessanterweise der Internetauftritt der vermeintlichen Konkurrenten eine besondere Rolle.


    Argumentation zur Verwendung von „Raubkopien“ durch den Internetauftritt

    Ein wesentlicher Punkt in der Argumentation war der Internetauftritt der vermeintlichen Konkurrenz. Man versuchte aus der Darstellung der Webseite darauf rückzuschließen, dass eigene Software eingesetzt wurde.

    Argumentation der Beklagten

    1. Optische Darstellung und Software-Architektur:
      • Die Beklagte argumentierte, dass der Internetauftritt der Gegenseote deutliche Parallelen zur eigenen Softwarelösung aufweise. Dies bezog sich auf die Grundarchitektur, die Gliederung des Angebots sowie die Gestaltung des Datenpools und des Topmanagement Control Dashboards.
      • Die Ähnlichkeiten sollten beweisen, dass die Gegenseite wesentliche Elemente der für die Beklagte entwickelten Software nutze.
    2. Schnelle Implementierung: Die Gegenseite warb auf ihrer Homepage damit, ein System binnen zwei Wochen implementieren zu können. Die Beklagte behauptete, dass eine derart schnelle Implementierung nur durch den Rückgriff auf ihre bestehende Software möglich sei.
    3. Verflechtungen und Zugangsmöglichkeiten: Die Beklagte wies auf personelle Verflechtungen hin, die dem Kläger theoretisch den Zugang zur geschützten Software ermöglichten.

    Gerichtliche Bewertung

    Das Gericht wies diese Argumentation der Beklagten zurück:

    1. Optische Darstellung: Die bloße optische Ähnlichkeit reiche nicht aus, um auf eine unbefugte Nutzung zu schließen. Der Kläger konnte aufzeigen, dass auch andere Logistikunternehmen ähnliche Kundenportale und Optionen anbieten. Die Beklagte konnte nicht nachweisen, dass diese Ähnlichkeiten auf gestohlener Software basierten und nicht auf allgemeinen Kundenanforderungen.
    2. Schnelle Implementierung: Die Beklagte konnte nicht schlüssig darlegen, dass die schnelle Implementierung der Gegenseite nur durch die Verwendung ihrer Software möglich sei. Der Kläger führte aus, dass die Gegenseite kundeneigene BI-Software (z.B. Microsoft Power BI) nutze, was eine schnelle Implementierung ebenfalls ermögliche.
    3. Personelle Verflechtungen: Aufgezeigte Verflechtungen allein genügten nicht als Beweis für eine Pflichtverletzung. Es wurden keine konkreten Nachweise für die unbefugte Nutzung der Software durch den Kläger vorgelegt.

    Gerade das optische Argument wurde eindeutig zurückgewiesen:

    Die gewählte optische Darstellung besagt wenig über die dahinterliegende Technik. Der Kläger konnte aufzeigen, dass auch die Kundenportale anderer großer Logistikunternehmen Ähnlichkeiten zum Kundenportal der Beklagten aufweisen und ähnliche Optionen für die Kunden bereithalten. Insoweit konnte die Beklagte nicht hinreichend darlegen, weshalb es sich bei der Darstellung und den Optionen, welche die Beklagte bereithält, nicht um bloße allgemeine Kundenanforderungen handelt und weshalb die Innovation der Beklagten gerade in der Darstellung und nicht in der dahinterstehenden Technik liegt. Gleiches gilt für die vom Kläger dargestellten Unterschiede zwischen den Darstellungen der Beklagten und der … sowie der sich aus Sicht des Klägers entscheidenden Unterschieds in der Geschäftsidee der …, der nach dessen Vortrag auf einem einheitlichen DataHub aufbaut, während die Software-Lösung der Beklagten mit mehreren Daten-Schnittstellen arbeitet (…)

    Soweit der Internetauftritt mit einer Implementierung binnen weniger 95 (ursprünglich: zwei) Wochen wirbt, hat die Klägerseite darauf hingewiesen, dass die Softwarelösung der … nicht auf eine Neuprogrammierung, sondern auf die Einbindung kundeneigener BI-Software, z.B. Microsoft Power BI Desktop Version, setze. Dass auch eine solche Implementierung binnen mehrerer (zwei) Wochen nicht erfolgen können, behauptet
    die Beklagte schon nicht.


    Ausblick

    Das Landesarbeitsgericht Köln hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die fristlose Kündigung als unwirksam beurteilt. Die Beklagte konnte nicht ausreichend nachweisen, dass die Handlungen des Klägers eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigten. Diese Entscheidung unterstreicht die Bedeutung einer gründlichen Prüfung und Dokumentation der Kündigungsgründe sowie der Verhältnismäßigkeit einer fristlosen Kündigung im Arbeitsrecht.

    Dabei muss nochmals betont werden: Das Landesarbeitsgericht stellte ausdrücklich klar, dass ein Vermitteln eigener Software an einen Konkurrenten „an sich“ geeignet wäre, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen! Aber man muss es eben auch nachweisen können.

    Fristlose Kündigung wegen Verdachts der Erstellung von "Raubkopien" - Rechtsanwalt Ferner

    Die Argumentation mit der Webseite mag auf den ersten Blick etwas seltsam anmuten, doch hier zeigt sich genau das Problem, dass man als Betrieb faktisch immer hat: Wie möchte man nachweisen, was die Gegenseite gemacht hat? Grundsätzlich genügen Indizien, aber im Zivilprozess müssen diese Handfest sein und ein starkes Gesamtbild ergeben.

    Die Verzweiflung ist nachvollziehbar, aber ich kenne aus meinen Mandaten auch einen typischen Bestätigungsfehler: Man ist als so überzeugt davon, dass „die auf jeden Fall unsere Software nutzen“, dass man in jedem noch so unbedeutenden Detail einen „klaren Beweis“ sieht. Es ist dann die undankbare Aufgabe des Anwalts, hier klare Grenzen zu ziehen – bevor man unsinnig Geld für teure Prozesse verbrennt.

    Arbeitgebern muss klar sein, dass die Anforderungen an die Begründung und Nachweisführung bei fristlosen Kündigungen hoch sind. Es muss eindeutig dargelegt werden, dass das Verhalten des Arbeitnehmers eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt und dass alle milderen Mittel, wie eine , ausgeschöpft wurden.

    Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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    Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

    Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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