Verwaltungsgericht Göttingen: Anlassloser Einsatz von Dashcams ist rechtswidrig

Beim VG Göttingen (1 B 171/16) ging es um eine datenschutzaufsichtliche Anordnung einer Aufsichtsbehörde, mit der einem Betroffenen aufgegeben werden sollte

  • die Verwendung von Onboard-Videokameras jeden Typs in von ihm im öffentlichen Verkehr als Fahrer oder Beifahrer genutzten Kraftfahrzeugen so zu gestalten, dass eine Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten anderer Verkehrsteilnehmer mit den Videokameras anlässlich der widmungsgemäßen Nutzung von öffentlichen Verkehrsflächen ausgeschlossen ist;
  • auf in seinem Besitz befindlichen Datenträgern gespeicherte Daten über im öffentlichen Straßenverkehr erhobene Videosequenzen, die aus der Verwendung von Onboard-Videokameras stammen und die nicht ausschließlich persönlichen und familiären Zwecken dienen, innerhalb einer Frist von sieben Tagen nach Bekanntgabe der Verfügung zu löschen;

Dies verbunden mit einem Zwangsgeld. Der Betroffene ist durchaus bekannt, weil er im Laufe der vergangenen Jahre ca. 50.000 Verkehrsordnungswidrigkeiten bei den zuständigen Stellen anzeigte. Dabei griff er auf mit der erstellte Aufnahmen zurück. Das Verwaltungsgericht konnte sich nun zu den datenschutzrechtlichen Aspekten äussern und stellte eine Rechtswidrigkeit von Fortlaufenden Dashcam-Aufnahmen fest.

Dashcam-Aufnahmen als personenbezogene Daten

Als erstes stellt das Gericht fest, dass es sich um bei den Aufnahmen handelt:

Die mittels der Onboard-Kameras vom Antragsteller erstellten Aufnahmen enthalten personenbezogene Daten i. S. d. § 3 Abs. 1 BDSG. Danach sind personenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. Unter den Begriff der „persönlichen oder sachlichen Verhältnisse“ einer Person fallen auch GPS-Standortdaten (Plath/Schreiber in: Plath, /, 2. Aufl. 2016, § 3 BDSG, Rn. 8) und Kfz-Kennzeichen (Schaffland/Wiltfang, BDSG, Stand Mai 2016, § 3, Rn. 14).

Eine Person ist bestimmt, wenn sie ohne weitere Identifikationsmerkmale klar zu erkennen ist. Auf welche Weise der Betroffene identifiziert werden kann, ist unerheblich. Bestimmbar ist eine Person, wenn auf sie Rückschlüsse möglich sind und sie damit individualisierbar ist (zu Vorstehendem: Schaffland/Wiltfang, a. a. O., § 3, Rn. 17). Auf den vorgelegten Ausdrucken der übermittelten Aufnahmen (Bl. 6, 22, 22a, 23, 28, 28a, 30, 31a, 35 und 35a der BA B VG GÖ zu 1 A 83/15 sowie Bl. 62-64, 68 BA 001) sind teilweise Gesichter erkennbar und Kfz-Kennzeichen sowie (Werbe-) Aufschriften auf Pkws lesbar, wobei das Gericht davon ausgeht, dass die Qualität durch den Ausdruck bereits vermindert wurde. Überdies befinden sich auf den Aufnahmen die Längen- und Breitengrade und der Zeitpunkt ihrer Entstehung, so dass der genaue Aufenthaltsort zumindest bestimmbarer Personen zu einem bestimmten Zeitpunkt ermittelt werden könnte.

Keine rein private oder familiäre Verwendung

Auch ist der Einsatz vorliegend nicht als rein familiär oder privat bezogener Einsatz zu werten, der dem Anwendungsbereich des Bundesdatenschutzgesetzes entzogen wäre:

Die Anwendung des § 38 Abs. 5 BDSG ist nicht gem. § 27 Abs. 1 S. 2 BDSG ausgeschlossen, da die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der Daten nicht ausschließlich für persönliche oder familiäre Tätigkeiten erfolgt. Zwar unterfällt die private grundsätzlich der Ausnahme für persönliche und familiäre Tätigkeiten. Werden jedoch öffentliche Räume, zum Beispiel Teile einer Straße oder ein Nachbargrundstück miterfasst, dient sie nicht mehr „ausschließlich“ persönlicher oder familiärer Tätigkeit, mit der Folge der Anwendbarkeit des Bundesdatenschutzgesetzes (Schaffland/Wiltfang, a. a. O., § 1, Rn. 22a; EuGH, Urteil vom 11.12.2014 – C-212/13 -, juris, Rn. 33).

Der Antragsteller nutzt die Kameras, wie den übersandten Aufnahmen zu entnehmen ist, unstreitig zumindest auch, um Verkehrsordnungswidrigkeiten anderer Verkehrsteilnehmer unabhängig von einer eigenen Betroffenheit im öffentlichen Verkehrsraum zu dokumentieren. Soweit er sich so eingelassen hat, die Kameras zum Selbst- und Eigentumsschutz sowie zur Beweissicherung angeschafft zu haben, stellen diese Zwecke selbst bei einer möglichen eigenen Betroffenheit des Antragstellers von Verkehrsordnungswidrigkeiten grundsätzlich keinen ausschließlich privaten oder familiären Zweck dar. Werden Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten unter dem erklärten Zweck vorgenommen, sich Beweismittel in möglichen straf- oder zivilgerichtlichen Verfahren zu beschaffen und die Aufnahmen im Bedarfsfall bei Behörden vorzulegen, wird dadurch der persönliche und familiäre Bereich verlassen (VG Ansbach, a. a. O., Rn. 44). Das weitere Vorbringen des Antragstellers, die Kameras zum weit überwiegenden Großteil für private oder familiäre Zwecke zu nutzen – solche hat er im Übrigen nicht benannt -, ist schon wegen der festgestellten Nutzung zu anderen Zwecken unerheblich.

Dashcams unterfallen §6b Bundesdatenschutzgesetz

Videoüberwachung unterfällt im §6b BDSG eigenen rechtlichen Vorgaben, das Verwaltungsgericht arbeitet nun die einzelnen Aspekte hierbei sauber auf.

Dashcam als optisch-elektronische Einrichtung

Der Betrieb der Onboard-Kameras in der vom Antragsteller ausgeübten Praxis stellt einen datenschutzrechtlichen Verstoß gegen § 4 Abs. 1 BDSG dar. Es liegt weder eine Einwilligung der Betroffenen vor, noch ergibt sich eine Zulässigkeit der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten aus dem Gesetz. Die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen ist nur unter den Voraussetzungen des § 6b BDSG, der den allgemeinen Zulässigkeitsnormen als lex specialis vorgeht, zulässig (vgl. VG Ansbach, a. a. O., Rn. 52, m. w. N.).

Die vom Antragsteller genutzten Dashcams unterfallen dem Begriff der „optisch-elektronischen Einrichtung“. Die Norm erfasst aufgrund ihres nicht einschränkenden Wortlautes nicht nur ortsfeste, sondern auch mobile Geräte (so auch Becker in: Plath, a. a. O., § 6b BDSG, Rn. 12; OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.05.2016 – 4 Ss 543/15 –, juris, Rn. 12, m. w. N.).

öffentlich zugängliche Räume

Der öffentliche Strassenverkehr ist als „öffentlich zugängliche Räume“ im Sinne des §6b BDSG zu werten:

Mit den Dashcams hat der Antragsteller öffentlich zugängliche Räume beobachtet. Alle dem öffentlichen Verkehr formal gewidmeten Flächen sind öffentlich zugängliche Räume i. S. d. § 6b Abs. 1 BDSG (Becker in: Plath, a. a. O., § 6b BDSG, Rn. 9). Unter Beobachtung ist die Sichtbarmachung von Geschehnissen und Personen mit Hilfe technischer Einrichtungen zu verstehen. Der Begriff der Beobachtung setzt nicht die elektronische oder sonstige Aufzeichnung der erfassten Bilder voraus. § 6b BDSG findet auch im Fall der reinen Beobachtung ohne Aufzeichnung oder Speicherung von Daten Anwendung (Schaffland/Wiltfang, a. a. O., § 6b, Rn. 4; Becker in: Plath, a. a. O., § 6b BDSG, Rn. 13). Soweit eine Dashcam über ein Display verfügt, kommt es daher nicht darauf an, ob sie Videos aufzeichnet oder Bildaufnahmen erstellt. Allein der Monitor-Betrieb einer Dashcam fällt bereits unter den Anwendungsbereich des § 6b BDSG.

Berechtigte Interessen bei Dashcam-Einsatz

Letztlich läuft es im Datenschutzrecht nahezu immer am Ende auf eine Interessenabwägung hinaus. Die durchgehende anlasslose Erfassung oder Überwachung anderer Verkehrsteilnehmer sieht das Verwaltungsgericht dabei derart kritisch, das es aus Sicht des VG im Ergebnis wohl nahezu immer gegen einen Einsatz sprechen wird. Jedenfalls wenn man sich zum Hilfs-Sherrif aufschwingen möchte fehlt der Kammer jegliches Verständnis:

Die Beobachtung ist nicht gem. § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG zulässig, da sie nicht zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Dies gilt in der Folge auch für die anschließende Verarbeitung und Nutzung der Daten nach § 6b Abs. 3 BDSG.

Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die gesamte Datenverwendung aufgrund des Gesetzesvorbehalts in § 4 Abs. 1 S. 1 BDSG grundsätzlich verboten ist. Folge dieses Verbots mit Erlaubnisvorbehalt ist, dass im Regelfall die verantwortliche Stelle (§ 3 Abs. 7 BDSG) die Zulässigkeit der Datenverarbeitung zu beweisen hat (Bergmann/Möhrle/Herb, Datenschutzrecht, Stand Mai 2016, § 35 BDSG, Rn. 51). Der Antragsteller hat bislang nicht substantiiert vorgetragen, inwiefern er die Beobachtung und die Datenverwendung auf § 6b Abs. 1, 3 BDSG stützen will. Soweit er vorgetragen hat, die Kameras dienten berechtigten Interessen wie Selbst- und Eigentumsschutz und einer diesbezüglichen Beweissicherung, reicht dies zur Substantiierung nicht aus. (…) Soweit der Antragsteller die Kameras nutzt, um andere Verkehrsteilnehmer zu beobachten und im Falle des Begehens von Verkehrsordnungswidrigkeiten hiervon Beweisdokumentationen anzufertigen, ist hierin schon keine Wahrnehmung berechtigter Interessen zu sehen. Der Antragsteller verfolgt mit dieser Praxis keine schützenswerten eigenen Interessen, sondern schwingt sich zum Sachwalter öffentlicher Interessen auf. Die öffentliche Aufgabe der Gewährleistung eines gesetzeskonformen Straßenverkehrs obliegt ausschließlich den Straßenverkehrsbehörden und der Polizei, nicht aber privaten Dritten (so bereits Urteil der beschließenden Kammer vom 09.05.2012, Az. 1 A 114/11, Bl. 6 d. Urteilsabdruck, unveröffentlicht; Nds. OVG, Beschluss vom 23.09.2013 – 13 LA 144/12 –, juris, Rn. 10). Inwieweit die Beobachtung in diesen Fällen dem Selbst- und Eigentumsschutz dienen soll, ist ebenfalls nicht vorgetragen worden und für die Kammer nicht ersichtlich. Selbst wenn jedoch von der Wahrnehmung berechtigter Interessen auszugehen wäre, würden die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen das Interesse des Antragstellers an der Verkehrsbeobachtung überwiegen. Denn das Interesse des Antragstellers ist im Hinblick auf die konkrete Nutzung aus den oben dargelegten Gründen bereits nicht schützenswert und unterliegt im Rahmen einer Güterabwägung dem Interesse der Betroffenen, nicht Ziel einer heimlichen, in das allgemeine eingreifenden Videobeobachtung zu sein.

Fazit zum Einsatz von Dashcams

Das Verwaltungsgericht macht deutlich, dass die aktuelle Lage zum Einsatz von Dashcams zwar ungeklärt sein mag, insgesamt aber mit eher kritischen Entscheidungen zu rechnen ist. Während im Bereich des Strafrechts und Ordnungswidrigkeitenrechts eine Verwertbarkeit im Raum steht und dies zivilrechtlich wiederum angezweifelt wird, müssen diejenigen die solche Dashcams einsetzen davon ausgehen, dass diese eher datenschutzrechtlich unzulässig sind. Dabei kommt es gleichwohl am Ende auf das Szenario im Einzelfall an, der vorliegende Fall war wiederum sehr speziell und spätestens bei Dashcams, die sich nur Anlassbezogen (etwa automatisch bei starkem Bremsen) einschalten wird man durchaus zu anderen Ergebnissen kommen können.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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