Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: Belästigt ein Arbeitnehmer eine Kollegin sexuell, kann das auch dann eine fristlose Kündigung des langjährigen Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, wenn der Vorfall schon über ein Jahr her ist, sich die Betroffene aber erst sehr viel später gegenüber dem Arbeitgeber offenbart hat. Dies hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein entschieden (Urteil vom 10. November 2015 – 2 Sa 235/15).
Entscheidung des LAG
Der Kläger war seit 1993 als Abteilungsleiter bei der Beklagten, einem Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels, beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 20. Januar 2015 fristlos und begründete die Kündigung mit dem Verzehr eines Stückes Fleisches im Wert von 80 Cent. Der Kläger wehrte sich dagegen mit einer Kündigungsschutzklage. Es habe sich um eine erforderliche Probe gehandelt. Nach Ausspruch erfuhr der Arbeitgeber von einem Vorfall aus dem Frühjahr 2014. Damals schloss der Kläger die Tür zu einem Raum, in dem sich nur er und eine Mitarbeiterin befanden. Er drängte sie an die Wand, umarmte sie und strich ihr mit den Armen den Rücken hinab bis zum Po. Die Mitarbeiterin erzählte den Vorfall zunächst ausschließlich der Marktleiterin.
Das Landesarbeitsgericht erachtete anders als das Arbeitsgericht (Arbeitsgericht Elmshorn, Urteil vom 11. Juni 2015 3 Ca 120 a/15) die fristlose Kündigung als rechtmäßig und wies die Kündigungsschutzklage ab. Nach durchgeführter Beweisaufnahme stand für das Gericht fest, dass die Einlassung des Klägers, es handele sich um eine zulässige Probe, eine Schutzbehauptung war und der Kläger ein Vermögensdelikt zu Lasten seines Arbeitgebers begangen hat. Dies hätte auch trotz langjährigen Arbeitsverhältnisses angesichts der Vorgesetztenstellung zumindest eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt. Entscheidend wertet das Gericht den nach Beweisaufnahme feststehenden sexuellen Übergriff des Klägers als wichtigen, die fristlose Kündigung begründenden Grund. Da der Arbeitgeber erst nach Ausspruch der Kündigung davon erfuhr, musste er nicht die Zwei-Wochen-Frist einhalten. Der Vorfall lag zwar lange zurück, konnte die Kündigung aber dennoch begründen. Das Wissen der Marktleiterin ist dem Arbeitgeber nicht zuzurechnen. Sie hatte nicht die Erlaubnis des Opfers, den Vorfall an die Geschäftsführung weiterzumelden. Angesichts der Schwere des Vorfalls war es dem Arbeitgeber nicht zuzumuten, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen. (Quelle: Pressemitteilung des Gerichts)
Bei Sexueller Belästigung am Arbeitsplatz muss der Arbeitgeber tätig werden!
Bundesarbeitsgericht zur außerordentlichen Kündigung wegen sexueller Belästigung
Das Bundesarbeitsgericht hat sich in seinem Urteil vom 20.11.2014 (2 AZR 651/13) zur außerordentlichen Kündigung wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz geäußert und festgestellt:
Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob sie im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität.
Die Entscheidung ist ein wichtiger Wegweiser bei der Thematik sexueller Belästigung am Arbeitsplatz.
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Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
Die Frage, wann eine sexuelle Belästigung vorliegt, hatte das Bundesarbeitsgericht schon früher thematisiert und zeigt auf, wie eine solche festzustellen ist:
Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein etwa von Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen (BAG 9. Juni 2011 – 2 AZR 323/10 – Rn. 18 mwN).
Dabei ist bereits die Bemerkung, eine Mitarbeiterin „habe einen schönen Busen“ eben kein sozialadäquates Kompliment, sondern vielmehr eine unangemessene Bemerkung sexuellen Inhalts. Im vorliegenden Sachverhalt war die Bemerkung dann auch die Einleitung in eine folgende Berührung, wobei beides nicht erwünscht war.
Kündigung oder Abmahnung nach sexueller Belästigung
Wie immer ist aber auch bei der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz zu prüfen, ob vor einer Kündigung die Abmahnung ausreicht:
Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. (…) Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (…)
Hiervon sind auch im Arbeitsverhältnis bei einer sexuellen Belästigung keine Ausnahmen zu machen:
Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. (…)
Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass eine Abmahnung nicht deshalb verzichtbar war, weil bereits ex ante erkennbar gewesen wäre, dass eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung in Zukunft nicht zu erwarten stand. (…) Es ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht unfähig sei, sein Verhalten zu ändern. Mit dem Hinweis auf einen unerklärlichen „Blackout“ wollte er ausdrücken, dass es sich bei seiner Handlungsweise um ein ihm wesensfremdes, einmaliges „Augenblicksversagen“ gehandelt habe. Es spricht nichts dafür, dass der Kläger sich noch einmal irrtümlich einbilden könnte, „angeflirtet“ zu werden, und auf eine solche Annahme erneut in vergleichbarer Weise reagieren müsste. Ersichtlich war er imstande, seine Fehleinschätzung sofort zu erkennen und entsprechend dieser Einsicht zu handeln, nämlich augenblicklich von Frau M. abzulassen. (…) Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Kläger auch nicht unwillig sei, sein Verhalten zu ändern.
Angesichts der Schwere der festgestellten Pflichtverletzung hatte in anderem Fall auch das LAG Köln (siehe unten) eine vorhergehende Abmahnung für nicht erforderlich gehalten, weil der Mitarbeiter nicht ernsthaft damit habe rechnen können, dass seine Kollegin sein Verhalten tolerieren werde. Aufgrund ihrer Verpflichtung, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vor sexuellen Belästigungen wirksam zu schützen, sei der Arbeitgeberin der Ausspruch einer Kündigung unter Einhaltung der sechsmonatigen Kündigungsfrist nicht zuzumuten gewesen.
Nachtatverhalten wirkt sich aus
Bereits die Klarstellung im Prozess, dass man selber einen Fehler begangen habe den man nicht wiederhole, ist damit regelmäßig ausreichend um den Arbeitsplatz „zu retten“. Es gibt aber noch einen Aspekt: Das Nachtatverhalten. So darf das Gericht berücksichtigen, ob man Einsichtig war und zu welchem Zeitpunkt. Insbesondere ob dies erst angesichts einer (drohenden) Kündigung geschah oder angesichts selbst erkannten fehlverhaltens – letzteres wirkt sich massiv zu Gunsten des Arbeitnehmers aus:
Der Kläger hat nicht etwa notorisch Grenzen überschritten. Sein Verhalten ist nicht zu vergleichen mit dem des Klägers in der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 9. Juni 2011 (- 2 AZR 323/10 -). Dieser war bereits einschlägig abgemahnt und hatte einer Mitarbeiterin gleichwohl über mehrere Tage in immer neuen Varianten bei unterschiedlichsten Gelegenheiten trotz von ihm erkannter ablehnender Haltung zugesetzt und damit für diese ein Arbeitsumfeld geschaffen, in dem sie jederzeit mit weiteren entwürdigenden Anzüglichkeiten rechnen musste. (…)
Zwar wirkt sich „Nachtatverhalten“ vor Zugang der Kündigung unter diesen Umständen nur schwach entlastend aus (vgl. BAG 9. Juni 2011 – 2 AZR 323/10 – Rn. 39). Jedoch kann es zumindest dann die Annahme fehlender Wiederholungsgefahr stützen, wenn es sich um die Fortsetzung einer zuvor gezeigten Einsicht handelt (zur Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände vgl. allgemein BAG 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – Rn. 53, BAGE 134, 349). Das Landesarbeitsgericht durfte aufgrund seines Verhaltens nach der Zurückweisung durch Frau M. davon ausgehen, dass der Kläger noch vor dem Gespräch mit der Beklagten sein Fehlverhalten und dessen Schwere erkannt und – auch ausweislich seiner späteren Bemühungen – seine „Lektion“ schon von sich aus so weit gelernt hatte, dass eine Abmahnung ihr Übriges zum Ausschluss einer Wiederholungsgefahr getan hätte. (…)
Fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz
Fasst ein Mitarbeiter erst einer Kollegin und dann sich selbst in den Schritt mit der anschließenden Äußerung, da tue sich etwas, rechtfertigt dies auch nach 16-jähriger beanstandungsfreier Betriebszugehörigkeit die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Dies hat das Landesarbeitsgericht Köln mit Urteil vom 19.06.2020 entschieden.
Der Kläger war bei der Beklagten seit 16 Jahren in der Produktion beschäftigt. Im März 2019 wandte sich eine Kollegin an die Personalleiterin mit dem Vorwurf, der Kläger habe sie im November 2018 in der eingangs geschilderten Art und Weise sexuell belästigt. Nach Anhörung des Klägers, der den Vorwurf bestritt, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos.
Aufgrund einer Strafanzeige der Kollegin erging gegen den Kläger ein Strafbefehl wegen sexueller Belästigung nach § 184i Abs. 1 StGB mit einer Verurteilung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen, der mittlerweile rechtskräftig ist.
Das Arbeitsgericht Siegburg hat die gegen diese Kündigung gerichtete Klage nach Vernehmung der Kollegin abgewiesen. Dieses Urteil hat das Landesarbeitsgericht Köln nun in dem Berufungsverfahren bestätigt und die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen die von dem Arbeitsgericht Siegburg vorgenommene Beweiswürdigung nachvollzogen und keine Anhaltspunkte gesehen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen begründen könnten. Insbesondere hat es kein widersprüchliches Verhalten der Belastungszeugin in dem Umstand gesehen, dass diese sich erst nach drei Monaten an den Arbeitgeber gewandt hatte.
Angesichts der Schwere der festgestellten Pflichtverletzung hat das Landesarbeitsgericht eine vorhergehende Abmahnung für nicht erforderlich gehalten, weil der Kläger nicht ernsthaft damit habe rechnen können, dass die Beklagte sein Verhalten tolerieren werde. Aufgrund ihrer Verpflichtung nach § 12 Abs. 3 AGG, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vor sexuellen Belästigungen wirksam zu schützen, sei der Beklagten der Ausspruch einer Kündigung unter Einhaltung der sechsmonatigen Kündigungsfrist nicht zuzumuten gewesen (Landesarbeitsgericht Köln – Aktenzeichen 4 Sa 644/19 vom 19.06.2020 – Quelle: Pressemitteilung des Gerichts)
Fazit zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz
Wie immer: Es kommt drauf an. Die Kündigung ist möglich, die Abmahnung aber vorher zu prüfen. Dabei gilt wie immer, dass je schwerer die sexuelle Belästigung, je häufiger und je notorischer Begangen die Kündigung im Raum steht. Wenn es sich dagegen um einen einmaligen Vorfall handelt, wobei der Betroffene seinen Fehler selber eingesehen hat und sich vor absehbaren Maßnahmen auch noch um eigene Klärung bemüht hat, wird man kaum über eine Abmahnung hinaus kommen.
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