OLG Karlsruhe zur sarkastischen Äußerung eines Kommunalpolitikers

In einem bemerkenswerten Beschluss vom 18. Februar 2025 (Az. 2 ORs 370 SRs 552/24) hat das Oberlandesgericht Karlsruhe einen kommunalen Mandatsträger vom Vorwurf der üblen Nachrede freigesprochen und zugleich eine markante Wegmarke für den grundrechtlichen Schutz der gesetzt. Im Zentrum des Falls stand eine ironisch zugespitzte Äußerung im Rahmen einer Gemeinderatssitzung während der Corona-Pandemie, mit der der Angeklagte unterstellte, ein politischer Kontrahent habe ihn mit dem Virus angesteckt. Der Sachverhalt wirft exemplarisch die Frage auf, inwieweit Meinungsäußerungen mit tatsächlichem Bezug, aber satirischer Zuspitzung, unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG stehen – insbesondere dann, wenn sie öffentlich geäußert und gegen Personen des politischen Lebens gerichtet sind.

Ausgangspunkt: Ironie auf der politischen Bühne

Während einer öffentlichen und live übertragenen Gemeinderatssitzung hatte der Angeklagte im Rahmen der Debatte um jugendpolitische Corona-Maßnahmen eine sarkastisch formulierte Bemerkung gegenüber einem Stadtratskollegen gemacht: Er bedankte sich in ironischem Ton dafür, durch dessen Teilnahme an einer früheren Ausschusssitzung „endlich seinen Status als Bürger erster Klasse“ durch eine Corona-Infektion erhalten zu haben. Im Kontext wurde deutlich, dass der Angeklagte die Infektion mit dem Verhalten seines Kollegen in Verbindung brachte, der während der besagten Sitzung erkältet erschien, Tee trank, jedoch nicht tatsächlich mit Covid-19 infiziert war. Der Angeklagte wurde zunächst wegen übler Nachrede (§ 186 StGB) i.V.m. § 188 StGB verurteilt. Das OLG hob die Entscheidung in der Revisionsinstanz auf und sprach ihn frei.

Die dogmatische Kernfrage: Meinung oder Tatsache?

Zentrale Voraussetzung für eine strafrechtliche Verurteilung wegen Ehrverletzungsdelikten ist die richtige Einordnung der Äußerung: Handelt es sich um eine (potenziell unwahre) oder um eine vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützte Wertung? Das Landgericht hatte die Bemerkung des Angeklagten als unwahre Tatsachenbehauptung gewertet – er habe suggeriert, der Kollege sei mit Corona infiziert gewesen und habe ihn wissentlich angesteckt. Das OLG dagegen stellte mit Nachdruck klar, dass es sich hierbei um eine mehrdeutige, von Meinungselementen geprägte Äußerung handelt.

Der Inhalt sei durch Elemente des Dafürhaltens und der persönlichen Einschätzung geprägt. Der Rückschluss auf eine Ansteckung sei – angesichts der damals auch unter negativem Test möglichen Infektion – nicht abwegig und damit kein willkürlicher oder aus der Luft gegriffener Vorwurf. Entscheidend sei zudem, dass der Angeklagte nicht explizit, sondern nur implizit eine Ursache-Wirkungs-Beziehung behauptet habe. Das Gericht wies unter Verweis auf die verfassungsrechtliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darauf hin, dass mehrdeutige Äußerungen grundsätzlich zugunsten der Meinungsfreiheit ausgelegt werden müssen. Andernfalls bestehe die Gefahr einer faktischen Einschränkung des Grundrechts durch zu enge Deutungsspielräume.

Kontextualisierung als Teil des verfassungsrechtlichen Prüfmaßstabs

Hervorzuheben ist, dass das OLG Karlsruhe den Kontext der Äußerung in seine rechtliche Würdigung einbezogen hat – ein Aspekt, der in der Praxis oft vernachlässigt wird. Die Äußerung fiel nicht beiläufig oder im privaten Raum, sondern innerhalb einer politischen Debatte über das Verhältnis von Impfdruck und jugendpolitischen Maßnahmen. Auch wenn der konkrete Bezug zur Impfdebatte nicht unmittelbar ersichtlich war, stand die Bemerkung doch in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zu einer vorherigen Wortmeldung des Angeklagten zu diesem Thema. Die Kombination aus öffentlicher Bühne, politischem Streit und bewusst sarkastischem Stilmittel spricht nach Auffassung des Gerichts dafür, der Äußerung den Charakter eines politischen Statements zuzusprechen – gerade in einer Debattenkultur, in der auch Zuspitzung, Ironie und Überspitzung zum legitimen Repertoire gehören.

Zugleich betont das Gericht, dass der Ehrschutz des betroffenen Ratsmitglieds nicht vollständig zurücktritt. Doch im Rahmen der grundrechtlichen Abwägung sei dem angesichts der eher geringen ehrschmälernden Wirkung und des politischen Kontexts kein Vorrang einzuräumen. Die sarkastische Formulierung war zwar geeignet, Zweifel an der Sorgfalt des Stadtrats zu säen – aber nicht in einer Weise, die dessen öffentliche Integrität substanziell gefährdet hätte. Damit bleibt Raum für eine grundrechtlich gebotene Toleranz auch gegenüber überzogenen, vielleicht unangemessenen, aber nicht ehrverletzenden Beiträgen im demokratischen Meinungskampf.

Schlussbetrachtung

In der Kernaussage steht das Urteil des OLG Karlsruhe für eine verfassungsrechtlich fundierte Zurückhaltung bei strafrechtlichen Sanktionen gegen politische Meinungsäußerungen. Es erinnert daran, dass Art. 5 GG nicht nur die sachliche, höfliche oder rational austarierte Kritik schützt, sondern auch Raum für Polemik, Ironie und persönlichen Ton lässt – insbesondere dann, wenn sie in einem politischen Streitkontext geäußert werden.

Der strafrechtliche Ehrschutz findet dort seine Grenze, wo Meinungsfreiheit und demokratische Debatte aufeinander treffen. Gerade im Spannungsfeld öffentlicher Gesundheitspolitik, politischer Polarisierung und gesellschaftlicher Nervosität behält die Justiz damit einen klaren Kompass: Meinungsäußerung bleibt ein Grundpfeiler des demokratischen Diskurses – auch dann, wenn sie unangenehm, emotional oder scharf ist.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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