Mit Beschluss vom 31. Oktober 2024 (Az. StB 21/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) ein bemerkenswertes Signal an Rechtsprechung und Gesellschaft gesendet. Im Zentrum des Verfahrens stand die Frage, ob humanitäre Geldleistungen von Angehörigen an eine nahestehende Person, die sich im Einflussbereich einer terroristischen Vereinigung befindet, strafbar sein können – entweder als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§§ 129a, 129b StGB) oder als Verstoß gegen das unionsrechtlich verankerte Bereitstellungsverbot im Rahmen der Embargovorschriften (§ 18 AWG).
Der BGH erkannte einen „eng umgrenzten straffreien Raum“ für familiäre, humanitäre Hilfen an und verwies auf die grundrechtlich gebotene Differenzierung zwischen deliktischer Unterstützung und sozialadäquatem Verhalten. Die Entscheidung setzt damit nicht nur einen wichtigen Akzent im Verhältnis von Sicherheitsrecht und Familienbindung, sondern leistet zugleich einen Beitrag zur dogmatischen Klarheit in einem hochsensiblen Grenzbereich des Strafrechts.
Der Sachverhalt: Familiäre Fürsorge im Schatten des Verdachts
Die beiden Angeschuldigten, Mutter und Schwester einer in Syrien lebenden Frau, standen im Verdacht, durch regelmäßige Geldtransfers an diese Angehörige den „Islamischen Staat“ (IS) unterstützt zu haben. Die Empfängerin war nach Syrien ausgereist, hatte sich dem IS angeschlossen, zwei IS-Kämpfer geheiratet und lebte nach deren Tod mit ihren Kindern in einem vom IS kontrollierten Frauenhaus, später in einem kurdischen Lager. Die Zahlungen der Angeschuldigten – über gängige Finanzdienstleister und in manchen Fällen via Hawala-Systeme – dienten der Sicherung des Überlebens: für Nahrung, Kleidung, Kinderschuhe, Spielzeug. Ausdrücklich wurde mehrfach betont, das Geld dürfe nicht zur Unterstützung der Organisation genutzt werden.
Obwohl der objektive Kontext eine gewisse Nähe zur Organisation aufwies, kam das Oberlandesgericht München zu dem Ergebnis, dass die Zahlungen ausschließlich humanitären Zwecken dienten und kein strafbares Verhalten darstellten. Die Generalstaatsanwaltschaft legte hiergegen Beschwerde ein – ohne Erfolg.
Die rechtliche Bewertung: Unterstützungshandlung oder sozialadäquates Verhalten?
Im Mittelpunkt der rechtlichen Beurteilung stand die Abgrenzung zwischen strafbarer Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 5 StGB) und einem straflosen Verhalten aus persönlichen, familiären Gründen. Der BGH nahm eine differenzierte Analyse vor: Zwar seien die Zahlungen faktisch geeignet gewesen, die mitgliedschaftliche Beteiligung der Empfängerin am IS zu erleichtern, etwa durch eine Stabilisierung ihres Aufenthalts und die Indoktrination ihrer Kinder. Dennoch sei das Verhalten der Angeschuldigten nicht als Unterstützung im strafrechtlichen Sinn zu werten.
Entscheidend sei, ob das Verhalten – objektiv und subjektiv – einen „deliktischen Sinnbezug“ aufweise. Dieser sei dann zu verneinen, wenn der Zweck der Handlung in der humanitären Hilfe liege, die Mittel nur dem Grundbedarf dienten, ein konkreter Bezug zu Organisationszielen fehle und keine psychische Unterstützung der Organisation vorliege. Der BGH betonte, dass eine bloße mittelbare Erleichterung der Lebenssituation eines Mitglieds nicht ausreiche, um den Straftatbestand zu erfüllen, sofern der Zuwendende sich deutlich von den Zielen der Organisation distanziere und auf die zweckgerechte Verwendung vertraue. Damit schafft das Gericht eine wertende Differenzierung, die dem Menschenbild des Strafrechts verpflichtet ist.
Die Rolle des EU-Embargorechts: Völkerrechtliche Rückbindung als Schrankenmaß
Neben dem strafrechtlichen Unterstützungsvorwurf war zu prüfen, ob ein Verstoß gegen das Bereitstellungsverbot nach Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 vorlag. Auch hier wies der BGH die Einordnung als Straftat zurück. Maßgeblich sei, ob die gelistete Organisation – in diesem Fall der IS – tatsächlich Zugriff auf die Mittel hatte oder mittelbar davon profitierte. Dies sei nicht der Fall gewesen: Die Gelder gelangten ausschließlich an die Empfängerin und dienten ihrem unmittelbaren Lebensunterhalt. Es habe weder eine faktische noch eine intendierte Förderung terroristischer Aktivitäten gegeben.
Der BGH stützte sich dabei auch auf völkerrechtliche Maßgaben, insbesondere aus dem humanitären Völkerrecht (Genfer Konventionen) und der Terrorismusfinanzierungsrichtlinie der EU. Diese sehen ausdrücklich Ausnahmen für humanitäre Hilfeleistungen vor, sofern diese den Prinzipien der Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit folgen. Auch der Entwurf zum neuen § 18 Abs. 11 AWG-E, der genau diesen Ausschluss von Strafbarkeit für private, humanitäre Leistungen vorsieht, wurde herangezogen. Der BGH erkennt damit eine implizite Schutzgrenze des Strafrechts gegenüber rein lebenssichernden Handlungen an.
Der sozialethische Gehalt: Familienloyalität versus Sicherheitsinteresse
Besonders bemerkenswert ist die ethisch-normative Grundhaltung, die dem Beschluss zugrunde liegt. Die Richter differenzieren nicht nur juristisch scharf, sondern zeigen Verständnis für die familiäre Loyalität, die den Angeschuldigten motivierte. Das Verhalten sei gerade nicht Ausdruck ideologischer Verbundenheit mit der terroristischen Organisation gewesen, sondern vielmehr Ausdruck familiärer Solidarität in einer Notsituation. Diese menschliche Komponente verdient im strafrechtlichen Kontext nicht nur Beachtung, sondern wirkt als Korrektiv gegenüber rein funktionalistischen Auslegungen der Unterstützungstatbestände.
Zugleich bleibt die Entscheidung rechtsstaatlich strikt: Sie schließt nicht aus, dass in anderen Fällen – etwa bei allgemeiner Spendentätigkeit ohne individuelle Zweckbindung – ein positiver Effekt für die Organisation und damit eine Strafbarkeit anzunehmen ist. Die Straflosigkeit ergibt sich hier aus der präzisen Konstellation: humanitärer Zweck, familiäre Bindung, Verwendungsbindung, bewusste Distanz zur Organisation.
Schlussfolgerung
In der Bilanz lässt sich sagen: Der BGH setzt mit seiner Entscheidung ein differenziertes und zugleich humanes Zeichen im Umgang mit familiärer Hilfeleistung unter sicherheitsrechtlich problematischen Rahmenbedingungen. Er schützt das Strafrecht vor Überdehnung und bewahrt dessen normative Integrität, ohne das legitime Interesse an Gefahrenabwehr preiszugeben.
Zugleich macht die Entscheidung deutlich, dass private Unterstützungsleistungen, die sich bewusst vom terroristischen Kontext distanzieren und sich auf lebensnotwendige Hilfe beschränken, unter bestimmten Voraussetzungen keinen strafrechtlichen Vorwurf rechtfertigen. Damit definiert der BGH eine klar konturierte, rechtsstaatlich gebotene Grenze des Unterstützungsstrafrechts – und schützt die Freiheit zur Menschlichkeit.