Zur strafrechtlichen Reichweite des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB bei heimlichen Bildaufnahmen in Wohnräumen

Wann wird ein Blick zur Straftat: Die Strafnorm des § 201a StGB schützt den höchstpersönlichen Lebensbereich vor heimlicher bildlicher Ausforschung – doch nicht jede Aufnahme im privaten Raum ist zugleich strafbar. Der Beschluss des OLG Hamm vom 18. März 2025 (4 ORs 24/25) verdeutlicht, dass es neben der Anfertigung der Aufnahme eines weiteren Elements bedarf: einer tatsächlichen Verletzung der Intimsphäre. Das Gericht korrigiert damit ein zu weites Verständnis des Amtsgerichts Warendorf und präzisiert die Abgrenzung zwischen bloßer Privatsphäre und strafrechtlich geschützter Intimsphäre.

Der zugrunde liegende Sachverhalt

Im Fokus des Verfahrens stand ein Fall, bei dem der Angeklagte eine Videokamera mit Bewegungssensor im Zimmer eines Mitbewohners installierte. Die Kamera war hinter einem Rollcontainer verborgen und nahm den Raum auf, sobald sich darin etwas bewegte. Die Aufzeichnungen zeigten laut Polizeibericht verschiedene Alltagsszenen: das Wischen des Bodens, das Sitzen und Lesen, Aufnahmen von Körperteilen wie Armen oder Beinen. Eine Nacktaufnahme lag nicht vor, auch wurde keine explizite intime Handlung festgehalten. Das Amtsgericht Warendorf verurteilte den Angeklagten dennoch wegen durch Bildaufnahmen (§ 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB) zu einer .

Dogmatische Einordnung durch das OLG Hamm

Das OLG hebt die Entscheidung auf und betont mit Nachdruck, dass § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB ein Erfolgsdelikt ist. Es reicht nicht aus, dass in einem geschützten Raum – etwa einer Wohnung – heimlich Aufnahmen gefertigt werden. Die Tat muss darüber hinaus zu einer konkreten Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs führen. Dieser Begriff orientiert sich – so der Senat – an der verfassungsgerichtlich geprägten Konzeption der Intimsphäre: Geschützt sind insbesondere Bereiche, die die persönliche Lebensführung betreffen und in denen der Einzelne mit berechtigtem Vertrauen auf Ungestörtheit rechnen darf.

Dazu zählen unter anderem Gesundheitszustand, Sexualität, familiäre Verhältnisse, Tagebuchnotizen, Trauer oder religiöse Rituale. Alltägliche Handlungen – auch im privaten Rückzugsraum – wie Kochen, Lesen oder Putzen, werden demgegenüber nicht ohne Weiteres dem strafrechtlichen Schutz zugeordnet. Das OLG stellt insoweit klar, dass ein bloßes Eindringen in die Privatsphäre keine Strafbarkeit begründet. Andernfalls geriete der Tatbestand in Konflikt mit dem Übermaßverbot.

Zur Frage der Identifizierbarkeit

Zwar ließ das OLG nicht unerwähnt, dass auf den Bildern lediglich Körperausschnitte zu sehen waren. Doch sei auch die nur teilweise Darstellung einer Person – etwa durch Aufnahme von Beinen oder Händen – ausreichend, sofern die Identifizierbarkeit gegeben sei. Entscheidend sei, dass das Opfer selbst sich in der Aufnahme wiedererkenne, nicht hingegen, ob Dritte zur Identifizierung in der Lage seien. Diese Klarstellung vermeidet eine Bagatellisierung des Rechtsguts, ohne den Anwendungsbereich des § 201a StGB unangemessen auszudehnen.

Kritik am erstinstanzlichen Urteil

Deutlich beanstandet das OLG die Begründung des Amtsgerichts, das aus der Tatsache, dass die Kamera auf das Bett des Zeugen gerichtet war, bereits auf eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs schloss. Eine solche Bewertung greife zu kurz. Die bloße räumliche Nähe zu einem Bett mache eine Handlung noch nicht intim. Vielmehr seien stets konkrete Umstände zu berücksichtigen, etwa ob der Inhalt der Aufnahme intime oder schambesetzte Aspekte berührt – was bei der Darstellung einer bekleideten Person beim Lesen gerade nicht der Fall sei:

Nicht jede einer Person in ihrer Wohnung (bzw. in dem im Übrigen von der Vorschrift erfassten räumlichen Schutzbereich) führt per se zu einer Strafbarkeit nach § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Vielmehr bedarf es nach der in der Rechtsprechung vertretenen Meinung – der sich der Senat anschließt – zusätzlich zu der Herstellung der Bildaufnahmen eines (Verletzungs-) Erfolges in Form einer „dadurch“ bewirkten „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs der abgebildeten Person“ (…).

Insofern handelt es sich bei § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB – was bereits eine wortlautgetreue Auslegung der Vorschrift nahelegt – nicht um ein konkretes, erst recht nicht um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, sondern um ein Erfolgsdelikt. Die Formulierung („und dadurch … verletzt“) hat der Gesetzgeber offenbar nicht so verstanden, dass sich eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs regelmäßig schon aus dem Umstand ergibt, dass die Tathandlung innerhalb des geschützten Raumes verwirklicht wird. Sonst hätte es der in der Gesetzesbegründung aufgeführten Erwägungen nicht bedurft, woran der Begriff des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ anzulehnen ist und welche Bereiche „privater Lebensgestaltung“ von der Vorschrift geschützt werden sollen (…).

So sind Alltagshandlungen (in der Öffentlichkeit) nach den gesetzgeberischen Erwägungen aus Gründen des Übermaßverbotes von vornherein aus dem Schutzbereich auszuklammern. Auch der bloße „freche Blick“ i.S. eines in erster Linie die Gebote des Anstands verletzenden unbefugten Beobachtens beinhaltet in der Regel noch keine strafwürdige Rechtsgutsverletzung (…). Danach bedarf es in jedem Einzelfall der konkreten – zusätzlichen – Feststellung, ob die sich im räumlichen Schutzbereich des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB aufhaltende Person in einem „höchstpersönlichen“ Lebensbereich verletzt ist und ob dies gerade auf der Tathandlung beruht (…)

Da § 201a StGB keine Versuchsstrafbarkeit normiert, genügt es im Übrigen auch nicht, dass der Täter ggfs. mit der Absicht, den höchstpersönlichen Lebensbereich eines Menschen zu verletzen, eine Aufnahme herstellt, die (aus welchen Gründen auch immer) nicht geeignet ist, den vorausgesetzten Verletzungserfolg herbeizuführen (…).

Zu orientieren ist der Begriff des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ nach der Gesetzesbegründung an dem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Begriff der „Intimsphäre“, der vor allem, aber nicht nur die Bereiche Krankheit, Tod und Sexualität zuzuordnen seien und die grundsätzlich „die innere Gedanken- und Gefühlswelt mit ihren äußeren Erscheinungsformen wie vertraulichen Briefen und Tagebuchaufzeichnungen“ sowie die Angelegenheiten umfasse, „für die ihrer Natur nach Anspruch auf Geheimhaltung besteht“, wie bspw. Gesundheitszustand, Einzelheiten über das Sexualleben sowie Nacktaufnahmen. Auf den Bereich der Sexualität und Nacktheit sei der Anwendungsbereich – wie auch das Amtsgericht zutreffend angenommen hat – wiederum ausdrücklich nicht zu beschränken. Auch bestimmte Tatsachen aus dem Familienleben seien dem höchstpersönlichen Lebensbereich zuzurechnen, bspw. solche, die die wechselseitigen persönlichen Bindungen, Beziehungen und Verhältnisse innerhalb der Familie betreffen, darum unbeteiligten Dritten nicht ohne Weiteres zugänglich sind und Schutz vor dem Einblick Außenstehender verdienen (…). Situationen, die zwar der Privatsphäre zuzuordnen sind, aber ein „neutrales Verhalten“ zeigen, bedürften hingegen des strafrechtlichen Schutzes typischerweise noch nicht (…). Die Herstellung einer Bildaufnahme von „neutralen“ Handlungen, wie dem Arbeiten, Kochen, Lesen, Fernsehen, Essen oder Schlafen in der Wohnung bewirkt demnach wenn nicht im Einzelfall besondere Umstände vorliegen – für sich genommen noch keine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs des Opfers (…).

Ein rechtswidriger Eingriff könne also zwar gegeben sein, wenn etwa Tagebuchinhalte, intime Gespräche oder sensible körperliche Zustände aufgenommen werden. Doch solche Elemente fehlten im vorliegenden Fall. Auch die Ausrichtung auf das Bett sei nicht per se ausreichend, solange die tatsächliche Aufnahme keine schutzwürdige Intimbegegnung dokumentiere.

Prozessuale Folge: Aufhebung und Zurückverweisung

Da der erforderliche Verletzungserfolg nicht ausreichend festgestellt war, hob das OLG das Urteil auf und verwies die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurück. Dabei ließ es ausdrücklich offen, ob sich aus der Auswertung der insgesamt 13 gespeicherten Videodateien noch relevante Inhalte ergeben könnten, die eine Verurteilung tragen würden. Dem Tatgericht obliegt es nun, hierzu ergänzende Feststellungen zu treffen.

Rechtsanwalt Jens Ferner, TOP-Strafverteidiger und IT-Rechts-Experte - Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für IT-Recht

Hinweis: Die Entscheidung wird seit Bekanntwerden extrem kontrovers diskutiert (bis hin zu ersten verbalen Angriffen auf meine Person): Ich möchte anregen, die Entscheidung des OLG selbst zu lesen und sich ein Bild davon zu machen, was als Sachverhalt letztendlich konkret festgestellt wurde! Ich sehe hier eine Einzelfallentscheidung, die sich formalistischer Bewertung in einem sensiblen Bereich entgegenstellt. In der Sache wird man am Ende immer stark argumentieren können – für mich als Strafverteidiger ist die Wahrung der ultima ratio Funktion des Strafrechts halt ausschlaggebend.

Ergebnis

Der Beschluss des OLG Hamm schärft die Konturen des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB, indem er unmissverständlich festhält, dass nicht jede Bildaufnahme im privaten Raum bereits strafbar ist. Strafrechtlicher Schutz setzt eine konkrete Verletzung der Intimsphäre voraus – ein bloß neutrales Verhalten in privater Umgebung reicht nicht. Damit bewahrt das Gericht die Norm vor einer übermäßigen Ausdehnung und sorgt für eine verfassungsrechtlich vertretbare Eingrenzung des strafrechtlichen Schutzbereichs.

Diese Entscheidung zur Auslegung des § 201a StGB ist nicht nur von praktischer Bedeutung für Strafgerichte und Verteidigung, sondern auch für datenschutzrechtliche und zivilrechtliche Diskussionen zur Reichweite des Persönlichkeitsrechts. Indem das OLG Hamm die Grenzen des Strafrechts betont, trägt es zu einem klareren und differenzierteren Verständnis des Schutzgutes bei: der Intimsphäre als unantastbarem Kern der Persönlichkeit.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen und im Einzelfall Fälle im Arbeitsrecht übernommen!
Rechtsanwalt Jens Ferner

Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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