Hausdurchsuchung wegen “Gaffer-Video”

Dass die Anordnung der Hausdurchsuchung wegen eines Verdachts der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches gem. § 201 a Abs. 1 Nr. 2 StGB durch Herstellung und Verbreitung eines sogenannten “Gaffer-Videos” im Internet rechtmäßig ist, hat das Landgericht Bonn, 50 Qs-410 Js 78/21-18/21, bestätigt. Dabei konnte es auch klarstellen, dass insbesondere die Verhältnismäßigkeit nicht infrage zu stellen ist.

Das Landgericht Bonn im vorliegenden eine wirklich praxisrelevante Entscheidung zur Strafbarkeit von sogenannten „Gaffer-Videos“ getroffen: Der Fall betraf die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung gegen einen Mann, der ein Video von einem schweren Verkehrsunfall auf einer Social-Media-Plattform veröffentlicht hatte.

Der Beschwerdeführer argumentierte, dass es sich um eine journalistische Berichterstattung handelte, die von der geschützt sei. Das Gericht wies dies zurück und stellte klar, dass der bloße Upload eines unbearbeiteten Videos ohne redaktionelle Einordnung keine journalistische Tätigkeit darstellt. Die war daher rechtmäßig.

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer hatte auf seinem Kanal ein achtminütiges Video veröffentlicht, das einen schweren Verkehrsunfall auf der B ### in P zeigte. Eine zweiminütige Sequenz stellte dabei die Bergung des schwer verletzten Fahrers durch Feuerwehrkräfte in den Mittelpunkt. Obwohl das Gesicht des Opfers verpixelt war, konnte die Person weiterhin identifiziert werden – insbesondere durch Angehörige oder Bekannte.

Nachdem sich die Schwester des Geschädigten an den Beschwerdeführer gewandt und die Löschung des Videos verlangt hatte, lehnte er dies unter Berufung auf die Pressefreiheit ab. Daraufhin leitete die Staatsanwaltschaft ein wegen durch Bildaufnahmen nach § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB ein.

Das Amtsgericht Bonn ordnete die Durchsuchung der Wohnräume des Beschwerdeführers an, um Mobiltelefone, Kameras und Computer als Tatwerkzeuge sicherzustellen. Dagegen legte der Beschuldigte Beschwerde ein.

Rechtliche Würdigung

1. Strafbarkeit nach § 201a StGB: Wann liegt ein „Zur-Schau-Stellen“ vor?

Das Landgericht bestätigte, dass das Video gegen § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB verstieß. Die Norm schützt Personen davor, in hilfloser Lage gegen ihren Willen abgebildet und diese Aufnahmen verbreitet zu sehen.

Entscheidend war, dass das Video nicht bloß eine dokumentarische Aufnahme des Unfalls darstellte, sondern die Hilflosigkeit des Opfers gezielt in den Fokus rückte. Der verletzte Fahrer war während der Bergung in einer äußerst schutzbedürftigen Lage. Die Aufnahme stellte dies nicht als beiläufigen Teil eines Geschehens dar, sondern konzentrierte sich bewusst darauf.

2. Verpixelung schützt nicht vor Strafbarkeit

Besonders relevant war die Frage, ob eine Verpixelung des Gesichts des Opfers die Strafbarkeit entfallen lässt. Das Gericht verneinte dies mit der Begründung, dass die Identität des Geschädigten dennoch erkennbar blieb – etwa für Verwandte oder Personen aus seinem Umfeld.

Die Entscheidung verdeutlicht, dass es nicht allein auf die vollständige Anonymisierung einer Person ankommt, sondern darauf, ob die Bildaufnahme deren Persönlichkeitsrechte verletzt. Wenn die Person trotz technischer Maßnahmen erkennbar bleibt, bleibt die Strafbarkeit erhalten.

3. Keine Berufung auf die Pressefreiheit

Ein zentraler Punkt der Beschwerde war die Frage, ob sich der Beschwerdeführer auf die Ausnahme des § 201a Abs. 4 StGB berufen konnte, die für journalistische Berichterstattung gilt.

Das Landgericht stellte fest, dass sein Social-Media-Kanal keine journalistische Tätigkeit im verfassungsrechtlichen Sinne darstellte. Eine journalistisch-redaktionelle Tätigkeit setzt eine inhaltliche Bearbeitung, Einordnung oder kritische Auseinandersetzung mit dem Geschehen voraus. Das bloße Hochladen eines unbearbeiteten Videos erfüllt diese Anforderungen nicht.

Somit unterschied das Gericht klar zwischen echter Presseberichterstattung, die unter den Schutz der fallen kann, und rein sensationsgetriebenen Veröffentlichungen, die dem Schutz des Persönlichkeitsrechts weichen müssen.

4. Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung

Die Verteidigung argumentierte, dass die Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers unverhältnismäßig gewesen sei.

Das Gericht stellte fest, dass die Maßnahme verhältnismäßig war, weil ein begründeter Verdacht einer Straftat vorlag. Zudem sei es erforderlich gewesen, Datenträger sicherzustellen, um die unverarbeiteten Rohdaten des Videos als Beweismittel zu sichern.

In der Abwägung zwischen dem Eingriff in die Grundrechte des Beschuldigten und dem Schutz des Opfers überwog das des Unfallopfers. Die Veröffentlichung eines Videos, das dessen schwer verletzte und hilflose Lage ohne Einwilligung zeigte, stellte einen schweren Eingriff in seine Privatsphäre dar.

Für die Strafverfolgung bedeutet die Entscheidung, dass Durchsuchungen in solchen Fällen als angemessene Maßnahme zur Sicherstellung von Beweismitteln angesehen werden. Sie zeigt, dass Persönlichkeitsrechte auch in der digitalen Welt konsequent geschützt werden können – während Betroffene merken müssen, dass solche Fälle nichts für Wald- und Wiesenanwälte sind. Hier muss mit Fingerspitzengefühl und Kommunikationsfähigkeit verteidigt werden, denn nicht nur dass man sich auch im Medienrecht auskennen muss; diese Fälle landen im Regelfall in der Presse und müssen stilvoll verteidigt werden, wenn man das medial überstehen möchte.

Fazit und Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung des Landgerichts Bonn setzt ein klares Signal gegen die Verbreitung von „Gaffer-Videos“ im Internet. Sie bestätigt, dass die Veröffentlichung solcher Aufnahmen strafbar ist, wenn sie die Hilflosigkeit der abgebildeten Person gezielt herausstellen.

Wichtig ist die Feststellung, dass eine Verpixelung nicht zwangsläufig vor einer Strafbarkeit schützt. Maßgeblich bleibt, ob die Person erkennbar bleibt und ob die Aufnahme ihre schutzbedürftige Lage in den Mittelpunkt rückt. Zudem wird klargestellt, dass nicht jede Veröffentlichung von Unfallaufnahmen als journalistische Berichterstattung gilt. Wer unbearbeitetes Material ohne redaktionelle Einordnung veröffentlicht, kann sich nicht auf die Pressefreiheit berufen.


Aus der Entscheidung

Gemessen an den aufgezeigten Maßstäben liegt ein Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen gemäß § 201 a StGB vor. Gemäß § 201 a Abs. 1 Nr. 2 StGB wird mit bis zu zwei Jahren oder bestraft, wer eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt.

Die Hilflosigkeit muss durch die Abbildung zur Schau gestellt werden. Erforderlich ist, dass die Hilflosigkeit der Aufnahme selbst zu entnehmen ist. Daran fehlt es, wenn die Gefahrensituation für das Opfer selbst auf der Aufnahme nicht zu erkennen ist (BGH NStZ 2017, 408, Cornelius NJW 2017, 1893). Zudem muss die Hilflosigkeit objektiv in den Fokus gerückt und nicht lediglich völlig „untergeordnetes Beiwerk“ der Aufnahme sein. Darüber hinaus ist die Bestimmungsbefugnis der Person über Informationen ihres höchstpersönlichen Lebensbereichs als Teil des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung geschützt. Die auf den Bildaufnahmen abgebildete Person muss für Dritte nicht identifizierbar sein.

Dies vorweg geschickt, verbreitete der Beschwerdeführer durch das Hochladen des Unfallvideos auf seinem X-Kanal die Bildaufnahmen an eine unbestimmte Anzahl Dritter. Wenngleich der Beschwerdeführer das Gesicht des Geschädigten verpixelt hatte, steht dies nach vorstehenden Ausführungen der Tatbestandserfüllung nicht entgegen. Denn durch die Bildaufnahmen der schweren Verletzung sowie der Bergung des Geschädigten, die mit einer Dauer von zwei Minuten den zentralen Teil des Videos einnehmen, stand der Geschädigte als Person im Fokus der Bildaufnahmen. Trotz der Verpixelung ist eine Identifizierung des Geschädigten – bspw. durch Familienangehörige oder sich selbst – ohne weiteres möglich (…)

Durchsuchungen stellen regelmäßig einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen dar. Wohnungsdurchsuchungen sind stets ein tiefgreifender Grundrechtseingriff (vgl. BVerfG NJW 2006, 976). Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist daher bei der Anordnung und Durchführung der Maßnahme besondere Beachtung zu schenken. Die Maßnahme muss in Hinblick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sowie gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich sein. Das ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen, die den Ermittlungszweck nicht gefährden. Schließlich muss der jeweilige Eingriff im angemessenen Verhältnis zu der Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachtes stehen (BVerfG NJW 2011, 2275; Beschl. v. 26.10.2011, 2 BvR 1774/10, Abs. 22 = BeckRS 2011, 56244; NJW 2008, 1937).

Die Durchsuchung war zur Auffindung von Beweismitteln geeignet. Es war anzunehmen, dass sich auf den aufzufindenden Datenträgern die vom Beschwerdeführer gefertigten Aufnahmen – auch im unbearbeiteten Zustand – befinden und diese als Beweismittel zur Überführung in einer in Betracht kommen können. Die Durchsuchungsanordnung stand schließlich auch im angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachtes. Der Anordnung lag -wie gezeigt- ein begründeter Verdacht einer Strafbarkeit wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen nach § 201 a Abs. 1 Nr. 2 StGB zugrunde.

Der Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer war – und ist es noch – hinreichend begründet und übersteigt deutlich das Maß an Verdachtsgründen für einen Anfangsverdacht. Ausweislich des gesamten Inhalts der Akte ergeben sich zahlreiche Anhaltspunkte, dass die Tat durch den Beschwerdeführer begangen wurde, wobei dieser dies ohnehin nicht abstreitet. Wenngleich hier das geringere Strafmaß zu berücksichtigen ist, ändert dies nichts an der Angemessenheit der Durchsuchung. Der Gesetzgeber unterscheidet in der Vorschrift des § 102 gerade nicht zwischen einem Verbrechen und einem Vergehen. Vielmehr gebietet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass die durchzuführende Durchsuchung im Einklang mit den schutzbedürftigen Interessen des Beschwerdeführers und des Strafverfolgungsinteresse gebracht werden. Die so bezeichneten Interessen des Beschwerdeführers stehen dahinter zurück. Denn in der Abwägung zu berücksichtigen ist – neben dem starken Verdachtsgrad – auch, dass der Beschwerdeführer das Video durch die Veröffentlichung in seinem X-Kanal und Verbreitung im Internet einer unbegrenzten Anzahl von Personen zur Verfügung gestellt hat, der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Geschädigten sich vor diesem Hintergrund mithin als besonders schwerwiegend darstellt. Die dagegen abzuwägenden Grundrechte des Beschwerdeführers überwogen nicht derart, dass der Erlass des Beschlusses als unverhältnismäßig im engeren Sinne anzusehen ist.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybercrime, Cybersecurity & Softwarerecht. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybercrime, Cybersecurity & Softwarerecht. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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