Konkurrenzen beim Fahren ohne Fahrerlaubnis: Gerichte sind überraschend häufig damit überfordert, korrekt zu entscheiden, ob bei mehreren Fahrten ohne Fahrerlaubnis einheitliche Taten im juristischen Sinne oder mehrere Taten vorliegen. Hintergrund ist, dass das Fahren ohne Fahrerlaubnis als Dauerdelikt auch mehrere Fahrten umfassen kann und zudem durch zugleich begangene Delikte verklammert werden kann. Zu den Konkurrenzen beim Fahren ohne Fahrerlaubnis hier ein Überblick.
Diebstahlsfahrten beim Fahren ohne Fahrerlaubnis
Nunmehr hat der Bundesgerichtshof (1 StR 53/21) hervorgehoben, dass insbesondere auch dann, wenn es sich bei allen Fahrten ohne Fahrerlaubnis um sogenannte „Diebesfahrten“ handelt, bei denen der Angeklagte das Fahrzeug entweder zur Anfahrt oder zur Abfahrt sowie zum Abtransport der Beute nutzte, diese Fahrten ohne Fahrerlaubnis mit der Tat des Diebstahls in Tateinheit stehen.
Dies ändert sich auch nicht, wenn letztlich zum Abtransport der Beute mehreren Fahrten notwendig sind:
Auch die Tatsache, dass der Angeklagte zum Abtransport der (…) entwendeten Räder zwei Fuhren benötigte (…) führt entgegen der Wertung des Landgerichts nicht zu einer tatmehrheitlichen Begehungsweise. Insoweit liegt eine Tat im Rechtssinne vor, weil sich das Tätigwerden des Angeklagten bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen Dritten als ein einheitlich zusammengefasstes Tun darstellte und auf einer einzigen Willensentschließung beruhte (sog. natürliche Handlungseinheit; vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 – GSSt 4/17, BGHSt 63, 1 Rn. 17).
Bundesgerichtshof, 1 StR 53/21
Auch wenn die Fahrten jeweils für die Dauer einer festgestellten Diebstahlshandlungen unterbrochen werden, ist zu prüfen, ob angesichts der Gleichförmigkeit der Fahrten (speziell: ausschließlich zum und vom Tatort sowie wenn Führer der für die Taten genutzten Pkws stets der Angeklagte war) ob
zugunsten des Angeklagten davon auszugehen, dass er in diesen Fällen von vorneherein beabsichtigte, den jeweiligen Pkw auf der Hin- und der Rückfahrt zu führen und mit Hin- und Rückfahrt deshalb jeweils nur eine Tat vorliegt (vgl. BGH Beschluss vom 17. November 2020 – 4 StR 390/20).
Tatmehrheit durch Fahrtunterbrechung?
Immer wieder ist daran zu erinnern, dass auch eine kurze Fahrtunterbrechung keine Tatmehrheit erzwingt, was gerade bei Strafrichtern gerne falsch eingeschätzt wird: Insoweit gilt, dass die Dauerstraftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis bei einer von vornherein für eine längere Wegstrecke geplanten Fahrt durch kurze Unterbrechungen nicht in selbständige Taten aufgespalten wird (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 15. August 2019 – 4 StR 21/19).
Fahren ohne Fahrerlaubnis: Konkurrenzen müssen geprüft werden, oft lässt sich die Zahl der Taten auf dem Weg verringern und die Strafe verkleinern!
Die Dauerstraftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis endet vielmehr regelmäßig erst mit Abschluss einer von vornherein für einen längeren Weg geplanten Fahrt und wird mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht durch kurze Unterbrechungen in selbständige Taten aufgespalten:
Etwas anderes kann nach einer Fahrtunterbrechung zwar gelten, wenn die Fortsetzung der Tat auf einem neu gefassten Willensentschluss beruht (…) Dass der Angeklagte beim Abstellen seines Fahrzeuges um 3.05 Uhr ursprünglich vorhatte, die Fahrt zu beenden, und die Fahrt zur Begehung der Diebstahlstat wenige Minuten später – wie von der Strafkammer angenommen – aufgrund eines neu gefassten Tatentschlusses fortsetzte, ist jedoch weder nachvollziehbar festgestellt noch beweiswürdigend belegt, zumal diese Annahme im Widerspruch zu der von der Strafkammer getroffenen Feststellung steht, der Angeklagte habe, um den anschließenden Diebstahl zu begehen, das Vorhängeschloss des Baucontainers „mit einer von ihm zu diesem Zweck mitgebrachten Akku-Flex“ (UA S. 12) durchtrennt.
Bundesgerichtshof, 1 StR 53/21
Geschwindigkeitskontrolle als Zäsur
Eine etwa 15-minütige Fahrtunterbrechung aufgrund einer Geschwindigkeitskontrolle mit polizeilicher Anzeigenaufnahme beendet das Delikt des Fahrens ohne Fahrerlaubnis jedenfalls dann, wenn der Angeklagte nach der Kontrolle zunächst auf Anordnung der Polizei von einer Weiterfahrt absieht und sich dafür entscheidet, das mitgeführte Kleinkraftrad weiterzuschieben.
Steigt der Täter ca. 350 Meter weiter mit neu gefasstem Vorsatz auf sein Kleinkraftrad und fährt damit los, so stellt dies eine neue Tat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis dar. Hieran ändert auch der innere, zeitliche und örtliche Zusammenhang der beiden Teilfahrten nichts. (Amtsgericht Lüdinghausen, 9 Ds 82 Js 8979/09-186/09)
Aber es ist daran zu erinnern, dass das Dauerdelikt des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG immer die gesamte geplante Fahrt umfasst und durch einen etwaigen kurzen Tankaufenthalt – und einen dabei vielleicht begangenen Betrug – nicht unterbrochen wird (BGH; 4 StR 72/20, 4 StR 60/16, 5 StR 268/09, 4 StR 438/03). Ein etwaiger Tankstellenbetrug steht hierzu in Tateinheit (BGH, 4 StR 60/16, 5 StR 268/09).
Verklammerung mehrerer Taten bei Urkundenfälschung
Wenn jemand mehrmals ohne Fahrerlaubnis fährt, hierbei aber mit einheitlichem Willen ein KFZ mit einem selbst angebrachten Kennzeichen nutzt, kommt eine Verklammerung zu einer Tat in Betracht. Denn die mehrfache Nutzung eines mit einem falschen amtlichen Kennzeichen versehenen Fahrzeugs stellt nur ein einheitliches Gebrauchmachen von einer unechten zusammengesetzten Urkunde gemäß § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB dar, sofern diese Art der Nutzung dem schon bei der Fälschung – etwa der Anbringung eines falschen Kennzeichens – bestehenden Gesamtvorsatz des Täters entspricht:
Zwar ist das Landgericht rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass durch das Zusammenfallen der tatbestandlichen Ausführungshandlungen Tateinheit zwischen dem Gebrauchen einer unechten Urkunde und dem vorsätzlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG sowie dem vorsätzlichen Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz nach § 6 Abs. 1 PflVG besteht (BGH, Beschluss vom 2. Februar 1987 – 3 StR 486/86, BGHR StGB § 267 Abs. 1 Konkurrenzen 1).
Es hat aber übersehen, dass dann, wenn der Täter schon beim Anbringen der Kennzeichen den Vorsatz hat, das Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen, der – gegebenenfalls mehrfache – Gebrauch der unechten zusammengesetzten Urkunde sowie ihre Herstellung eine tatbestandliche Handlungseinheit und damit nur eine Urkundenfälschung darstellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2014 – 4 StR 95/14, wistra 2014, 349; vom 21. Mai 2015 – 4 StR 164/15, DAR 2015, 702; vom 26. Oktober 2016 – 4 StR 354/16, NStZ-RR 2017, 26, 27 und vom 15. Februar 2017 – 4 StR 629/16, StraFo 2017, 124).
Das jeweils tateinheitliche Zusammentreffen weiterer, auf der Fahrt begangener Delikte mit der einheitlichen Urkundenfälschung hat zur Folge, dass sämtliche Gesetzesverstöße zu einer Tat im materiell-rechtlichen Sinne verklammert werden (BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2014 – 4 StR 95/14; vom 21. Mai 2015 – 4 StR 164/15, jeweils aaO und vom 28. Januar 2014 – 4 StR 528/13, NJW 2014, 871).
BGH, 1 StR 173/17
Diese Rechtsprechung hat zur Folge, dass sich der Täter durch die An- und Abfahrt zu und von Tankstellen nur eines einheitlichen Gebrauchmachens von einer unechten zusammengesetzten Urkunde schuldig machen kann. Eine solche einheitliche Urkundenfälschung steht dann nicht nur mit einem evt. zugleich und ebenfalls nur einheitlich verwirklichten vorsätzlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG, sondern auch ‒ insoweit im Wege der natürlichen Handlungseinheit ‒ mit dabei evt. begangenen Betrugstaten und den beiden in Unterbrechung von ein und derselben Fahrt ausgeführten beiden Computerbetrugstaten in Tateinheit (BGH, 4 StR 72/20).
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