Modernisierung des Schriftenbegriffs (und Reform des internationalen IT-Strafrechts?)

Das Bundesjustizministerium möchte den Schriftenbegriff im Strafgesetzbuch modernisieren, was für mich die dogmatisch spannendste Entwicklung im deutschen IT-Strafrecht im Jahr 2019 ist – und ebenso unbeachtet ist, weil es erst einmal nur wenig praktische Auswirkungen hat. Dazu „löst“ man einen der grossen Streitfälle im internationalen IT-Strafrecht.

Reform des internationalen IT-Strafrechts?

Ich hoffe, die fachkundigen Leser sehen mir den reisserischen Titel nach – es ist zu spannend, als dass ich es untergehen lassen kann: Bekanntlich haben wir eine spezielle Rechtsprechung im Bereich der Volksverhetzung bei im/über das Ausland begangenen Tat mittels Internet. Der Gesetzgeber möchte das nun ein für allemal regeln, indem er bei den einschlägigen Delikten Zusätze für internationale Taten aufnimmt – dies wie folgt, indem eine Strafbarkeit ausdrücklich ins Gesetz geschrieben wird:

  • §86a: (…) wenn ein Kennzeichen durch eine Handlung im Ausland im Inland wahrnehmbar verbreitet oder in einer der inländischen Öffentlichkeit zugänglichen Weise oder in einem im Inland wahrnehmbar verbreiteten Inhalt (§ 11 Absatz 3) verwendet wird und der Täter Deutscher ist oder seine Lebensgrundlage im Inland hat.
  • §111: (…) wenn die im Inland wahrnehmbare Aufforderung im Ausland erfolgt und der Täter Deutscher ist oder seine Lebensgrundlage im Inland hat.
  • §130: (…) im Inland wahrnehmbar verbreitet oder der inländischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird und der Täter Deutscher ist oder seine Lebensgrundlage im Inland hat

Man merkt also: Keine echte Reform, sondern im Rahmen des noch zulässigen räumlichen Anwendungsbereichs wird eine Strafbarkeit bei ausländischen Taten ausdrücklich ins Gesetz geschrieben. Die etwas gekrückte bisherige Rechtsprechung des BGH ist damit aus meiner Sicht inhaltlich überholt bzw. nicht mehr notwendig.

Modernisierung des Schriftenbegriffs

Nun kommt der wirklich spannende Teil, der aus meiner Sicht erhebliche Auswirkungen haben wird – wenn auch nicht sofort und nicht in sofort praktischer Hinsicht: Der Schriftenbegriff wird modernisiert. Nun muss man wissen, dass unser Strafgesetzbuch mit seinen fast 150 Jahren bis heute die „Schrift“ heran zieht. Nun haben wir heute das Problem, dass digital gespeicherte Daten keine „Schriften“ im wörtlichen Verständnis sind – deswegen steht in §11 Abs.3 StGB:

Den Schriften stehen Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen in denjenigen Vorschriften gleich, die auf diesen Absatz verweisen.

Das ist ein Kniff, der bisher in der Praxis ganz gut funktioniert: Eine Festplatte ist keine Schrift, insbesondere kann man sie nicht ohne Zuhilfenahme technischer Mittel lesen, geschweige denn decodieren. Aber wir tun einfach so, als wäre sie es und müssen damit das StGB nicht neu schreiben (wohl aber entscheiden, welche Delikte „digitale Delikte“ sind, um dann auf §11 Abs.3 StGB zu verweisen).

Im Bundesjustizministerium möchte man den Zustand nun angehen, indem man sich zutraut, den bisherigen Zustand durch eine modernisierte Handhabung zu ändern. Und so soll nun als Grundlage eines modernen (digitalen) Strafrechts in einen neuen §11 Abs.3 StGB geschrieben werden:

Inhalte im Sinne der Vorschriften, die auf diesen Absatz verweisen, sind solche, die in Schriften, auf Ton- oder Bildträgern, in Datenspeichern, Abbildungen oder anderen Verkörperungen enthalten sind oder auch unabhängig von einer Speicherung mittels Informations- oder Kommunikationstechnik übertragen werden.

§11 Abs.3 StGB-E

Das ist ein Zeitenwechsel, ein Paradigmenwechsel – wenn es denn so kommt.

Von der Modernisierung der Schrift zum dogmatischen Wechsel

Wer genau hinsieht, merkt, dass ursprünglich von einer quasi analogen Anwendung der Schrift, also einer Verkörperung, die Rede war. Nun aber steht da nur noch etwas von „Inhalt“ – und genau das ist es! Es wird mit diesem neuen §11 Abs.3 StGB plötzlich eine unmittelbare Inhaltsstrafbarkeit ausgesprochen. Das bedeutet, während man vorher zwar Inhalte verboten hat, hat man immer noch an deren Verkörperung angeknüpft, während nun diese Zwischenstufe der Verkörperung herausgelöst wird und unmittelbar an die Strafbarkeit des Inhalts angeknüpft wird. Deutlich wird dies, wenn man in die Neufassung des §184c StGB blickt, der sich so verändert:

  • Bisher: „eine jugendpornographische Schrift“
  • Zukünftig: „einen jugendpornographischen Inhalt“

Damit ändert sich einiges – natürlich zuvorderst im Propaganda- und Sexualstrafrecht, wo entscheidende Detailfragen sofort wegfallen. Doch hier geschieht noch etwas: Wo vorher der konkret verkörperte Inhalt Ansatzpunkt des strafrechtlichen Vorwurfs war, beobachten wir hier, wie sich der Vorwurf weg bewegt, hin zum abstrahierten Inhalt, losgelöst von einer Verkörperung. Das darf man als gesetzgeberische Geburtsstunde eines echten digitalen Daten-Strafrechts bezeichnen.

Weitere Fragen werden aufgeworfen

Ein dogmatischer Wechsel führt selten zu sofortigen Auswirkungen, langfristig in einem System aber zu Entwicklungen: Wenn man nun (ungeniert) die Strafbarkeit von Inhalten begründet stellen sich zwangsläufig systematische Fragen im Bereich der Urkundsdelikte. So etwa ob die Brücke der falschen im §269 StGB überhaupt noch notwendig ist oder man nicht schlicht auf die Falschheit der rechtserheblichen Inhalte abstellt auf die der Gegenüber vertraut? Und wenn man den Weg geht, ist man schnell bei der Frage, ob die schlichte schriftliche Lüge, die bisher straflos und insbesondere keine darstellt, nicht doch eine Strafbarkeit wird.

Besitz an Inhalten?

Geradezu chaotisch wird es aber, wenn man auf die konkrete Umsetzung blickt – hier wird schnell klar, warum ich an dem Ansatz an sich keine Kritik übe, aber offen frage, ob man sich da nicht zu viel zutraut. Als Beispiel soll der Besitz jugendpornographischer Schriften dienen, was mit dem modernisierten Schriftenbegriff doch ernsthaft so aussehen soll:

Wer es unternimmt, einen jugendpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches Geschehen wiedergibt, abzurufen oder sich den Besitz an einem solchen Inhalt zu verschaffen, oder wer einen solchen Inhalt besitzt, wird mit  bis zu zwei Jahren oder mit bestraft

Seite 11, Entwurf des BMJ

Ich weiss nicht, ob das einem technisch und/oder juristischen versierten Leser zugänglich ist: Angefangen mit der Frage, wie man Besitz an einem Inhalt haben soll? Ich kann nur an der Verkörperung Besitz haben, da Besitz ein tatsächlich ausgeübtes Herrschaftsverhältnis ist. Ein Stückweit spielt nun doch wieder die alte Rechtsprechung zum Besitz an Daten hinein, die nun aber noch wilder wird, da ich an den eigentlichen Inhalt anknüpfe. Und wenn der Inhalt etwa die Darstellung einer verbotenen jugendpornographischen Szene ist, übe ich dann Besitz schon aus, wenn nur Teile der Daten in meinem (Grafikkarten-) Arbeitsspeicher vorhanden sind – oder erst wenn der gesamte Datensatz bei mir vorhanden ist?

Wer sich auf diese Frage einlässt, liest sodann hoffentlich das Gesetz genauer und bemerkt, dass hier nicht nur der Besitz an sich steht sondern das unternehmen sich den „Besitz an einem solchen Inhalt zu verschaffen“. Das sieht aus wie ein schlauer Kniff, da man nun nicht fragen muss, wann Besitz begründet wird, da ja schon das Ansetzen hierzu ausreicht – doch damit wird die Frage nur vorgelagert: Genügt die Veranlassung der Übertragung einzelner Datenpakete? Wenn ich dies abbreche vor vollständiger Übertragung, liegt dann ein vom Versuch vor – genau genommen ist es ja gerade keine Versuchsstrafbarkeit sondern eine vorgelagerte bestrafte Handlung in Form eines unvollendeten Tätigkeitdelikts. Und um es ganz rund zu machen für die, die bis hierhin noch dabei sind: Da der Versuch auch unter Strafe steht, genügt bereits das Benutzen einer um die Verschaffung des Inhalts zu versuchen oder muss man erst Ergebnislisten durchsehen geschweige den auf Ergebnisse Klicken?

Bevor hier eingeworfen wird, dass jedenfalls beim Klick ja die Besitzverschaffung liegt: Falsch! Denn wenn der angezeigte Link ins Nichts führt, lag von Anfang an ein untauglicher Versuch vor und gerade keine Besitzverschaffung.

Fazit

Ich möchte es an der Stelle nicht zu weit treiben, zumal das hier ein Blog ist. Die Entwicklung insgesamt ist spannend und darf auf keinen Fall unterschätzt werden. Ob nun tatsächlich jemals was aus diesem Entwurf wird, bleibt abzuwarten – dass in irgendeiner Zukunft aber der Schritt hin zum reinen strafbaren Inhalt erfolgt ist und war für mich immer abzusehen. Mit allen daran hängenden Konsequenzen, gut wie schlecht.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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