Die Digitalisierung hat auch den Journalismus grundlegend verändert, wobei Künstliche Intelligenz (KI) natürlich eine zunehmende Rolle bei der Erstellung von Artikeln spielt. Schon jetzt werden wahrscheinlich sowohl einfache Meldungen als auch komplexere Berichte zumindest in Teilen durch Algorithmen generiert (etwa als Arbeitsbasis). Dies wirft eine Reihe rechtlicher Fragen auf – etwa dann, wenn darum gestritten wird, wie dies in die Öffentlichkeit getragen werden darf. Beim LG Berlin ging es wohl nun erstmals überhaupt um genau diese Frage.
Mit seinem Beschluss vom 17. Januar 2025 (Az. 27 O 4/25 eV) hat das Landgericht (LG) Berlin II in einem einstweiligen Verfügungsverfahren klargestellt, dass die Bezeichnung von Presseartikeln als “computergeneriert” unter bestimmten Umständen zulässig ist. Der Antrag eines Medienhauses, das sich gegen eine solche Bezeichnung gewehrt hatte, wurde abgewiesen.
Die Kernfragen des Falls
Die Antragstellerin hatte sich gegen die Aussage gewehrt
“X ist dazu übergegangen, sich die Redaktionsarbeit durch künstliche Intelligenz (KI) abnehmen zu lassen; Artikel werden in Teilen, mithin komplett vom Computer generiert.”
Sie argumentierte, dass dies eine unwahre Tatsachenbehauptung darstelle, die ihr journalistisches Ansehen beeinträchtige und ihr Unternehmenspersönlichkeitsrecht verletze. Die Antragsgegnerin hingegen machte geltend, dass es sich entweder um eine wahre Tatsachenbehauptung oder um eine zulässige Meinungsäußerung handele, die auf hinreichenden Anknüpfungstatsachen basiere.
Das Gericht hatte daher zu klären:
- Ob die streitige Äußerung eine Tatsachenbehauptung oder eine Meinungsäußerung ist,
- Inwieweit die Pressefreiheit gegenüber dem Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Antragstellerin überwiegt,
- Ob die Bezeichnung “computergeneriert” in einem bestimmten Kontext als diffamierend oder irreführend angesehen werden kann.
Die Entscheidung des Gerichts
Das LG Berlin II wies den Antrag auf Unterlassung zurück und stellte fest, dass die streitige Aussage entweder als wahre Tatsachenbehauptung oder als zulässige Meinungsäußerung zu bewerten sei. Entscheidend sei das Verständnis eines “unvoreingenommenen und verständigen Publikums”.
Das Gericht führte aus, dass die Formulierung “Artikel werden in Teilen, mithin komplett vom Computer generiert” so zu verstehen sei, dass KI bei der Erstellung von Artikeln eine Rolle spiele, aber nicht notwendigerweise, dass Artikel vollständig ohne menschliche Kontrolle oder Bearbeitung veröffentlicht würden. Dies werde auch durch den Kontext der Äußerung gestützt, der eine medienkritische Auseinandersetzung mit der journalistischen Arbeitsweise der Antragstellerin darstellte:
Die Äußerung (…) versteht ein verständiger Durchschnittsleser so, dass bei der Erstellung von Artikeln der Antragstellerin künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz kommt. Dabei würden zumindest Teile von Artikeln von einer KI erstellt. Der zweite Teil des Satzes „Artikel werden in Teilen, mithin komplett
vom Computer generiert.“, wird dabei trotz der Verwendung des Wortes „komplett“ nicht dahingehend verstanden, dass Artikel vollständig vom Computer erstellt und veröffentlicht werden.
Denn das Wort mithin bedeutet „folglich, dementsprechend, also“. Der Satzteil sagt daher aus, dass Teile von Artikeln und eben keine gesamten Artikel vollständig computergeneriert sind.
Zudem verwies das Gericht auf die eidesstattliche Versicherung eines Mitarbeiters der Antragstellerin, wonach KI-gestützte Texte tatsächlich in deren Redaktionsprozess Verwendung finden, jedoch stets einer sprachlichen und inhaltlichen Prüfung unterzogen würden. Dies reichte nach Ansicht des Gerichts aus, um die Äußerung als tatsachenbasiert oder zumindest als vertretbare Meinung einzuordnen.
Tatsachenbehauptung vs. Werturteil
In der Entscheidung des LG Berlin II war die zentrale Frage, ob die streitige Äußerung – dass Presseartikel „computergeneriert“ seien – als Tatsachenbehauptung oder als Meinungsäußerung einzustufen ist. Diese Unterscheidung ist entscheidend, da Tatsachenbehauptungen einer Beweisführung zugänglich sind und unwahre Tatsachenbehauptungen untersagt werden können, während Meinungsäußerungen grundsätzlich von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG geschützt sind.
Juristische Grundlagen laut Gericht
Die Einordnung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung wurde ebenfalls thematisiert: Maßgeblich sei nicht die subjektive Intention des Äußernden oder das Verständnis des Betroffenen, sondern wie ein unvoreingenommenes, verständiges Publikum die Aussage versteht. Dabei sind folgende Aspekte relevant:
- Tatsachenbehauptung:
- Ist objektiv überprüfbar und kann als wahr oder unwahr eingestuft werden.
- Eine falsche Tatsachenbehauptung ist nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt.
- Meinungsäußerung:
- Enthält ein subjektives Werturteil oder eine persönliche Einschätzung.
- Ist durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützt, wenn sie auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage beruht.
Das Gericht musste nicht abschließend entscheiden, was nun vorlag, sondern entschied, dass die Aussage „Artikel werden in Teilen, mithin komplett vom Computer generiert“ entweder als wahre Tatsachenbehauptung oder als zulässige Meinungsäußerung mit ausreichenden Anknüpfungstatsachen zu bewerten sei. Es betonte, dass Medienkritik grundsätzlich von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, solange sie nicht bewusst falsche Fakten verbreitet.
Es gibt eine sehr umfassende und über die Jahrzehnte gewachsene Rechtsprechung zur Thematik Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung. Beachten Sie dazu in unserem Blog jedenfalls:
- Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Werturteil
- Meinungsfreiheit auch für meinungsbezogene Tatsachenbehauptung
- Tatsachen vermischt mit Meinungen
- Keine Meinungsfreiheit für unwahre Tatsachenbehauptung
- Abgrenzung zur Schmähkritik
- Kritik an Unternehmen
- Das Unternehmenspersönlichkeitsrecht
- Deutung des Sinngehalts einer Äußerung
- Beiträge rund um Werbeagenturen
- Journalismus unter Druck: Repressalien gegen Journalisten und Anti-SLAPP-Richtlinie
Abwägung zwischen Pressefreiheit und Unternehmenspersönlichkeitsrecht
Das Urteil bezieht sich ausführlich auf die grundrechtlich geschützten Positionen der Parteien. Einerseits steht das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Antragstellerin aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG, das ihr ein berechtigtes Interesse an der Wahrung ihres journalistischen Ansehens gibt. Andererseits genießt die Antragsgegnerin den Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG sowie Art. 10 Abs. 1 EMRK.
Das Gericht betont, dass das Unternehmenspersönlichkeitsrecht kein absolutes Recht ist, sondern stets gegen die Meinungs- und Pressefreiheit abgewogen werden muss. Insbesondere in einer Debatte über journalistische Standards und Arbeitsweisen müssten Medienunternehmen auch kritische oder überspitzte Äußerungen hinnehmen. Selbst wenn eine Aussage geeignet sei, das Ansehen der Antragstellerin zu beeinträchtigen, reiche dies allein nicht aus, um eine unzulässige Persönlichkeitsrechtsverletzung zu begründen. Die streitige Äußerung sei vielmehr als zulässiger Beitrag zur öffentlichen Diskussion über den Einfluss von KI im Journalismus zu bewerten.
Die Entscheidung zeigt damit, dass die zunehmende Nutzung von KI im Journalismus nicht nur technische und ethische Fragen aufwirft, sondern auch juristische Herausforderungen mit sich bringt. Die Abwägung zwischen journalistischer Unabhängigkeit, Medienkritik und Persönlichkeitsschutz wird in einer Zeit der Digitalisierung weiter an Bedeutung gewinnen.
Bedeutung der Entscheidung für den Journalismus und die Rechtslage
Die Entscheidung des LG Berlin II hat weitreichende Implikationen für die journalistische Praxis und den rechtlichen Rahmen für KI-gestützte Berichterstattung.
- Keine absolute Schutzposition für Medienunternehmen: Medienunternehmen, die selbst aktiv an der öffentlichen Meinungsbildung teilnehmen, müssen sich einer kritischen Überprüfung ihrer Arbeitsweisen stellen und haben nicht per se einen Anspruch auf Unterlassung gegen negative Berichterstattung, solange diese auf hinreichenden Tatsachengrundlagen beruht.
- Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung bleibt zentral: Die Differenzierung zwischen tatsachenbasierten Aussagen und wertenden Äußerungen ist auch im Kontext von KI-generierten Inhalten entscheidend. Aussagen, die sich auf nachweisbare Tatsachen beziehen, sind an einem strengen Wahrheitsmaßstab zu messen. Meinungsäußerungen hingegen dürfen, solange sie auf nachvollziehbaren Anknüpfungstatsachen beruhen, weiter gefasst sein.
- Relevanz der Medienkritik für die Pressefreiheit: Die Pressefreiheit umfasst nicht nur das Recht, frei zu berichten, sondern auch das Recht auf Kritik an der journalistischen Arbeit anderer Medien. Solange die Kritik nicht nachweislich auf falschen Tatsachen beruht, bleibt sie vom Grundrecht geschützt.
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