Transparenz im Verständigungsverfahren

Mit seinem Beschluss vom 11. Dezember 2024 (1 StR 356/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Bedeutung der Transparenz im Strafverfahren unterstrichen. Konkret ging es um die Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO im Rahmen eines Verständigungsverfahrens. Die Entscheidung hebt hervor, dass das Gebot der Transparenz nicht nur eine formale Pflicht ist, sondern eine essenzielle Voraussetzung für ein rechtsstaatlich faires Verfahren darstellt.

Sachverhalt

Die Angeklagte wurde vom Landgericht Düsseldorf am 22. Januar 2024 wegen mehrerer Straftaten – darunter Beihilfe zur Steuerhinterziehung, Betrug sowie Urkundenfälschung – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zudem wurde die Einziehung von Taterträgen in Höhe von 200.907,64 Euro angeordnet. Gegen dieses Urteil legte sie Revision ein und machte unter anderem eine Verletzung der Mitteilungspflicht geltend.

Im Verfahren war es zu einem sogenannten “Rechtsgespräch” zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung eines Mitangeklagten gekommen. Dabei wurde eine Verständigung über mögliche Strafrahmen in Aussicht gestellt, falls die Angeklagten Geständnisse ablegen würden. Die Kammer hielt Freiheitsstrafen zwischen zweieinhalb und sechseinhalb Jahren für angemessen. Diese Verständigung wurde jedoch nicht in der Hauptverhandlung ordnungsgemäß bekannt gemacht.

Rechtliche Analyse

1. Die Bedeutung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO

Gemäß § 243 Abs. 4 StPO müssen gerichtliche Erörterungen über eine Verständigung im Strafverfahren vollständig in öffentlicher Sitzung mitgeteilt werden. Dies soll sicherstellen, dass das Verfahren für alle Verfahrensbeteiligten, insbesondere für die Angeklagten, transparent bleibt. Die Regelung dient der Kontrolle durch die Öffentlichkeit und den Angeklagten selbst sowie der Wahrung des fair-trial-Grundsatzes.

Der BGH betonte in seinem Beschluss, dass die Mitteilungspflicht integraler Bestandteil des Verständigungsverfahrens sei. Eine Verletzung dieser Pflicht stellt eine erhebliche Verfahrensverletzung dar, da sie die Grundlage für eine informierte Entscheidung der Angeklagten über ein mögliches Geständnis und deren Verteidigungsstrategie untergräbt.

2. Verfahrensfehler und Konsequenzen

Der BGH stellte fest, dass die Hauptverhandlungsprotokolle keine hinreichende Dokumentation der Verständigungsgespräche enthielten. Insbesondere fehlte eine lückenlose Mitteilung über den genauen Inhalt und Verlauf der Gespräche. Dieser Mangel führte dazu, dass die Angeklagte nicht ausreichend informiert war und möglicherweise ihre Verteidigungsstrategie unter anderen Prämissen geplant hätte.

Die fehlerhafte Verfahrensweise wurde als so gravierend eingestuft, dass das Urteil aufgehoben und das Verfahren an eine andere Kammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen wurde. Der BGH betonte, dass die strikte Einhaltung der Transparenzvorgaben unerlässlich sei, um die Legitimität und Fairness des Verständigungsverfahrens zu gewährleisten.

3. Auswirkungen auf die Praxis der Verständigung

Die Entscheidung des BGH verdeutlicht erneut die restriktive Haltung des Gerichts gegenüber informellen Verständigungen ohne vollständige Offenlegung. In der Praxis bedeutet dies, dass alle an Verständigungsgesprächen beteiligten Instanzen – Richter, Staatsanwälte und Verteidiger – besonders sorgfältig darauf achten müssen, dass sämtliche Absprachen und Gespräche in der Hauptverhandlung ordnungsgemäß dokumentiert und offengelegt werden.

Fehlende Transparenz kann zu erheblichen prozessualen Nachteilen führen, wie die Rückverweisung des Verfahrens zeigt. Besonders für Verteidiger ist es daher ratsam, die Einhaltung der Mitteilungspflicht aktiv einzufordern und etwaige Versäumnisse frühzeitig zu rügen, um eine spätere erfolgreiche Revision zu ermöglichen.

Diese Rechtsprechung ist ein klares Signal: Ein Strafverfahren darf keine “Geheimsprache” enthalten – Offenlegung und Dokumentation sind zwingende Erfordernisse eines rechtsstaatlichen Verfahrens.

Rechtsanwalt Jens Ferner

Fazit

Der Beschluss des BGH unterstreicht die essenzielle Bedeutung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO für ein faires Verfahren. Die Nichtbeachtung dieser Pflicht führt zu erheblichen Konsequenzen – bis hin zur Aufhebung eines Urteils. Die Entscheidung mahnt alle Verfahrensbeteiligten, besonders gewissenhaft mit Verständigungen umzugehen und Transparenz in jeder Verfahrensstufe sicherzustellen.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen und im Einzelfall Fälle im Arbeitsrecht übernommen!
Rechtsanwalt Jens Ferner

Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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