Mit Beschluss vom 5. März 2025 (Az. 1 StR 501/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) ein bemerkenswertes Strafurteil wegen Steuerhinterziehung aufgehoben und das Verfahren eingestellt. Anlass war kein Freispruch in der Sache selbst, sondern ein gravierender formeller Fehler: Die angeklagte Tat entsprach nicht derjenigen, die letztlich verurteilt wurde. Dieses Urteil betont die verfassungsrechtlich verankerte Bedeutung der Anklageschrift als Fundament eines jeden Strafverfahrens und stellt klar, dass eine Verurteilung jenseits ihres Rahmens unzulässig ist – und zwar selbst dann, wenn die materiellen Vorwürfe schwer wiegen.
Ausgangspunkt und Verfahrenslage
Das Landgericht Dresden hatte einen Geschäftsführer wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen sowie wegen versuchter Steuerhinterziehung in zwei weiteren Fällen zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil legten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Revision ein. Während die Staatsanwaltschaft eine schärfere Sanktionierung anstrebte, rügte der Angeklagte vor allem eine fehlerhafte rechtliche Grundlage seiner Verurteilung – mit Erfolg.
Die Krux: Angeklagt war die Abgabe unvollständiger Umsatzsteuererklärungen durch die B. GmbH für bestimmte Jahre. Verurteilt wurde der Angeklagte aber wegen unterlassener Abgabe der Steuererklärungen durch ein ganz anderes Unternehmen, die C. GmbH. Damit fehlte es an der Kongruenz zwischen Anklage und Urteil – ein Verstoß gegen § 264 Abs. 1 StPO, der die Identität zwischen Anklagesachverhalt und Urteil zwingend voraussetzt.
Rechtliche Bewertung durch den BGH
Der BGH erkannte hierin ein nicht heilbares Verfahrenshindernis und stellte das Verfahren gemäß § 206a StPO ein. Entscheidend war, dass die Steuerhinterziehung jeweils als eigenständige prozessuale Tat zu werten ist, die an den konkreten Steuerpflichtigen, die Steuerart und den Besteuerungszeitraum gebunden ist. Ein bloßes Übertragen der verschwiegenen Umsätze auf ein anderes Unternehmen war ebenso wenig zulässig wie ein Austausch der steuerpflichtigen Körperschaft im Rahmen der Bewertung.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Feststellung, dass auch ein gerichtlicher Hinweis nach § 265 StPO die fehlende Anklage nicht zu heilen vermag. Denn es lag keine Nachtragsanklage vor, die erforderlich gewesen wäre, um den neuen Tatvorwurf zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen.
Darüber hinaus lehnte der Senat einen Entschädigungsanspruch des Angeklagten wegen der zwischenzeitlichen Untersuchungshaft und Strafverfolgungsmaßnahmen ab. Der Grund: Die Strafverfolgungsmaßnahmen seien durch das eigene Verhalten des Angeklagten provoziert worden – konkret durch die Verschweigung erheblicher Umsätze mit einem Steuerschaden von über 1,9 Millionen Euro. Damit war der Ausschlussgrund des § 5 Abs. 2 StrEG einschlägig.
Bedeutung für die Praxis
Diese Entscheidung ist nicht nur ein klares Votum für rechtsstaatliche Verfahrensstandards, sondern enthält auch eine implizite Warnung an Staatsanwaltschaften und Gerichte: Der verfahrensrechtliche Rahmen ist nicht beliebig dehnbar. Wer ein Steuerstrafverfahren führen will, muss mit präziser Anklage arbeiten – denn sie definiert nicht nur den Umfang gerichtlicher Prüfung, sondern garantiert zugleich die Verteidigungsrechte des Angeklagten.
Für die Unternehmenspraxis ergibt sich ein doppelter Lerneffekt. Einerseits zeigt das Verfahren, welche strafrechtliche Relevanz unvollständige oder unterlassene Steuererklärungen haben können – insbesondere bei arbeitsteiligen Unternehmensstrukturen mit mehreren Gesellschaften. Andererseits wird deutlich, dass formelle Verfahrenssicherheit ein zentraler Bestandteil moderner Compliance-Strategien sein muss, auch im Zusammenspiel mit Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern.
Schlussfolgerung
Die Kernaussage dieser BGH-Entscheidung ist eindeutig: Die Grenzen der Anklage sind auch die Grenzen der richterlichen Urteilsfindung. Wer sie überschreitet, entzieht dem Verfahren seine rechtliche Legitimation – selbst wenn ein tatsächliches Fehlverhalten unzweifelhaft feststeht. Für die Justiz bedeutet das eine disziplinierende Mahnung zur Sorgfalt, für Unternehmen eine Erinnerung an die Gefahren formaler Mängel in der steuerlichen und rechtlichen Kommunikation. Und für den Angeklagten in diesem Fall bedeutet es: kein Freispruch – aber auch keine rechtskräftige Verurteilung.
- Die Einziehung von Taterträgen beim untauglichen Versuch - 22. Mai 2025
- Russische Cyberangriffe auf westliche Logistik- und Technologieunternehmen 2025 - 22. Mai 2025
- Keine Schweigepflicht im Maßregelvollzug - 21. Mai 2025