Ich hatte die Problematik erst kürzlich angesprochen: Da betreibt man ein Internetforum oder ein Blog, jemand schreibt dort einen Inhalt der rechtsverletzend ist (Beleidigung etc.) und der in seinen Rechten verletzte schreibt nun, dass man um Auskunft bittet, wer da geschrieben hat. Zumindest die IP-Adresse wünscht man sich. Der Webseitenbetreiber – sofern er überhaupt solche Daten speichert, eine Pflicht gibt es ja nicht – steht nun vor dem Problem, dass er nicht weiss, ob er dem Auskunftsverlangen nachkommen muss. Tut er es nicht, droht eine Klage auf Auskunft. Tut er es, droht eine Klage des Foren-Nutzers auf Unterlassung oder in der Folge auf Schadensersatz.
Das AG München (161 C 24062/10) hat sich mit dieser Konstellation zu beschäftigen gehabt und kommt zu dem – doch ein wenig überraschenden – Ergebnis, dass ein Auskunftsanspruch nicht besteht. Ein solcher ist in der Vergangenheit mit der einhelligen Meinung immer über den §242 BGB angenommen wurden: Dem in seinen Rechten verletzten sollte aus Treu und Glauben ein Auskunftsanspruch zustehen. Das AG München verneint das, m.E. aber mit einem fatalen Argument: §14 II TMG schreibt vor, wann ein Auskunftsanspruch besteht:
Auf Anordnung der zuständigen Stellen darf der Diensteanbieter im Einzelfall Auskunft über Bestandsdaten erteilen, soweit dies für Zwecke der Strafverfolgung, zur Gefahrenabwehr durch die Polizeibehörden der Länder, zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes oder des Militärischen Abschirmdienstes oder des Bundeskriminalamtes im Rahmen seiner Aufgabe zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus oder zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum erforderlich ist.
Sowas liegt bei einer Beleidigung ganz klar nicht vor. Und da der §12 II TMG eindeutig sagt:
Der Diensteanbieter darf für die Bereitstellung von Telemedien erhobene personenbezogene Daten für andere Zwecke nur verwenden, soweit dieses Gesetz oder eine andere Rechtsvorschrift, die sich ausdrücklich auf Telemedien bezieht, es erlaubt oder der Nutzer eingewilligt hat.
kann ein Anspruch aus §242 BGB nicht zur Anwendung kommen – der §242 BGB bezieht sich ja nicht auf Telemedien. Das mag zwar gefallen, ist m.E. aber falsch.
Das Problem ist die Anwendung des BDSG. Ich habe schon früher mehrfach darauf verwiesen, dass eine strenge Auslegung des §12 II TMG dazu führt, dass jegliche Privilegierung des BDSG nicht zur Anwendung gelangen kann, da das BDSG sich ja gerade nicht auf Telemedien bezieht. Dabei findet man im §28 II BDSG das hier:
Die Übermittlung oder Nutzung für einen anderen Zweck ist zulässig … soweit es erforderlich ist … zur Abwehr von Gefahren für die staatliche oder öffentliche Sicherheit oder zur Verfolgung von Straftaten …
Ganz offensichtlich möchte das AG München diese Norm nun nicht zur Anwendung bringen – sie bezieht sich ja auch nicht auf Telemedien. Das Problem ist nur, dass der BGH in seinen Spickmich-Entscheidungen problemlos die §§28,29 BDSG auf Telemedien angewendet hat (Dazu die Aufbereitung der Entscheidung bei Telemedicus). Und das aus gutem Grund: Wenn wir die Privilegierungen des BDSG bei Telemedien ganz außen vor lassen, haben viele Webseiten-Betreiber von heute auf morgen ein erhebliches Problem.
An diesem Punkt kann man unterscheiden, worum es geht: geht es um Inhaltsdaten („Was steht auf der Webseite“) oder um Nutzungs-/Bestandsdaten (dazu die §§3 Nr.3, 14, 15 TMG lesen)? Das TMG bezieht sich nur auf letzteres, der BGH mit seiner Entscheidung bezieht sich auf Inhaltsdaten, wenn er von Spickmich spricht. Ob das AG München wirklich an dieser Stelle konsequent zwischen „Inhaltsdaten“ und Nutzungs-/Bestandsdaten unterscheidet und somit das Ergebnis „richtig“ wäre, bezweifle ich derzeit zum einen. Zum anderen sehe ich ein systematisches Problem, dass je nach Rolle des Betroffenen, nämlich ob man Nutzer ist oder lediglich von der Datenverarbeitung Betroffenen, Schutzansprüche auf unterschiedlichem Niveau haben soll. Die Unterscheidung überzeugt mich an dem Punkt nicht.
Hinzu kommt, dass das AG München richtigerweise festhält, dass der Betroffene ja nicht schutzlos ist:
Da die Klägerin sich auch staatsanwaltschaftlicher Hilfe bedienen könne, sollte sie durch die Berichte beleidigt oder verleumdet worden sein, sei sie auch nicht völlig rechtlos gestellt. Über ein Ermittlungsverfahren könne sie an die gewünschten Daten gelangen.
Sprich: Der Betroffene kann Strafanzeige stellen, die Staatsanwaltschaft ermittelt die Daten beim Forenbetreiber und später über die Akteneinsicht holt man sich dann die Daten. Die hier mitlesenden Webseiten-Betreiber können sich überlegen was schöner ist: Auskunftsersuchen vom Rechtsanwalt oder die Anfrage der Staatsanwaltschaft (gerne mal gepaar mit einer Hausdurchsuchung, auch wenn die unsinnig ist, da die Server ja eben nicht in der eigenen Wohnung stehen). Auch hier zeigt sich, dass das Urteil so positiv nicht ist für Foren-Betreiber & Co.
Letztlich ist festzuhalten, dass die Entscheidung so neu nicht ist: es gab schon früher entsprechende feststellungen: Das KG Berlin (10 U 262/05) verneinte – damals noch mit Blick auf das TDDSG – ebenfalls einen Anspruch aus Treu und Glauben. Das sah das LG Berlin (27 O 616/05) vormals noch anders, wurde vom KG Berlin aber zurecht gerückt. Daher ist die Entscheidung aus München nur die Fortsetzung einer schon früheren Entwicklung.
Update: Das gleiche sagt nun auch das LG Düsseldorf (12 O 161/10), die Linie scheint sich also durchzusetzen. Ebenfalls das OLG Hamm (3 U 196/10, hier besprochen), das der Meinung ist, die durch das TMG garantierte Anonymität stünde einem Auskunftsanspruch entgegen. Anders das OLG Dresden, hier besprochen. Auch das LG München I (25 O 23782/12) sieht keine Auskunftspflicht, hierbei ging es um den Nutzer einer Bewertungsplattform.
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