“Duzen” ist keine Beleidigung

Grenzen nachbarschaftlicher Meinungsäußerung: Das gesellschaftliche Zusammenleben in verdichteten Wohnverhältnissen erfordert Rücksichtnahme – und ist doch häufig Kristallisationspunkt zwischenmenschlicher Spannungen. In einer Wohnungseigentümergemeinschaft in Heidelberg eskalierte ein solcher Konflikt in Form lautstarker Auseinandersetzungen über das Einparkverhalten, die schließlich ihren Weg in die Justiz fanden. Der Hinweisbeschluss des OLG Karlsruhe vom 26. Mai 2025 (3 U 28/24) verdeutlicht auf bemerkenswerte Weise, dass auch polemische, überspitzte und mitunter grobe Kritik im nachbarschaftlichen Alltag von der Meinungsfreiheit gedeckt sein kann – selbst wenn der Tonfall emotional, die Formulierung verletzend und die persönliche Beziehung belastet ist.

Sachverhalt

Die Parteien des Verfahrens sind Miteigentümer einer Wohnungseigentumsanlage und in ein seit Jahren andauerndes Spannungsverhältnis verstrickt. Ausgangspunkt der konkreten gerichtlichen Auseinandersetzung war ein Streit über das Parkverhalten der Klägerin, der nach Darstellung beider Seiten in einem hitzigen Wortgefecht gipfelte. Die Klägerin dokumentierte dieses Gespräch per Audioaufnahme. Darin äußerte sich der Beklagte mit Formulierungen wie „Bist du zu blöd, da richtig einzuparken“, „Madame M. ist zu blöd zum Parken“ oder „Deine Scheißkarre“. Sie begehrte Unterlassung dieser Äußerungen, ein Kontaktverbot sowie Schmerzensgeld, das sie unter Hinweis auf transphobe Motive des Beklagten auf mindestens 2.000 € bemessen sah. Das Landgericht Heidelberg hatte nur hinsichtlich bestimmter Ausdrücke wie „Verpiss dich“ oder „Geh in dein verranztes Loch“ Unterlassung und ein moderates Schmerzensgeld zugesprochen; weitergehende Ansprüche wurden abgelehnt.

Rechtliche Würdigung

Im Zentrum der Entscheidung des OLG Karlsruhe steht die dogmatische Abgrenzung zwischen unzulässiger Beleidigung und verfassungsrechtlich geschützter Meinungsäußerung im Kontext nachbarschaftlicher Streitigkeiten. Maßgeblich war hierbei die Frage, ob die beanstandeten Äußerungen eine ehrverletzende Schmähkritik darstellten oder – trotz ihres rüden Tons – noch als wertende Stellungnahmen im Rahmen eines konkreten Sachbezugs anzusehen sind.

Der Senat stellte klar, dass die Äußerungen zur Einparkfähigkeit der Klägerin, auch wenn sie polemisch und provokativ formuliert seien, erkennbar an ein konkretes Verhalten anknüpften und nicht die Herabsetzung der Person um ihrer selbst willen bezweckten. Die Grenze zur Schmähkritik sei erst dann überschritten, wenn die persönliche Diffamierung der eigentliche Zweck der Aussage sei und kein sachlicher Bezug mehr bestehe. Dass der Beklagte sich über die wiederholt als provokant empfundene Parkweise der Klägerin geärgert habe, reiche aus, um den Äußerungen den erforderlichen Mindestbezug zur Sache zuzuerkennen. Auch die vulgären Bezeichnungen für Fahrzeug und Parkplatz seien in diesem Kontext nicht als Angriffe auf die Person, sondern auf Sachen zu bewerten, womit eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausschied.

Ebenso wenig vermochte die Verwendung der Anrede „Du“ für sich genommen eine Ehrverletzung zu begründen. Das Gericht betonte, dass im wechselseitigen Gebrauch dieser Anrede unter Nachbarn – zumal in einem bereits eskalierten Streitverhältnis – keine herabwürdigende Komponente erkennbar sei. Selbst das vorgerichtliche Schreiben, in dem der Klägervertreter das Duzen beanstandete, sei für die Bewertung der Situation nicht maßgeblich, da es erst nach dem relevanten Vorfall verfasst wurde und damit nicht zur rechtlichen Bewertung des damaligen Kommunikationsverhaltens herangezogen werden könne.

Auch im Hinblick auf die mitunter martialisch klingenden Formulierungen („Ich mach dir Feuer die ganze Nacht“) verneinte der Senat sowohl den Tatbestand der Bedrohung (§ 241 StGB) als auch den der Nötigung (§ 240 StGB). Entscheidend sei, dass es sich um aus der Emotion heraus gesprochene Wendungen handle, die im Gesamtzusammenhang eher als übertriebene, letztlich folgenlose Unmutsäußerungen zu werten seien. Die Klägerin sei auch nicht ernstlich eingeschüchtert oder zur Preisgabe von Rechten genötigt worden. Dass sie sich durch die Drohungen in ihrer Nachtruhe gestört gefühlt habe, sei menschlich nachvollziehbar, rechtlich aber nicht ausreichend, um ein Kontakt- oder Annäherungsverbot zu rechtfertigen.

Dass die Klägerin mitunter behauptete, der Beklagte äußere sich seit Jahren transphob, sei – so das Gericht – nicht entscheidungserheblich, da sich ihre Klageanträge nicht auf entsprechende Aussagen bezogen. Auch lasse sich den streitgegenständlichen Formulierungen ein solcher Hintergrund nicht mit der nötigen Deutlichkeit entnehmen.

Schlussfolgerung

Die Entscheidung des OLG Karlsruhe illustriert eindrucksvoll die hohe Schwelle, die für eine rechtliche Sanktionierung verbaler Entgleisungen unter dem Schutzschirm von Art. 5 Abs. 1 GG gilt. Die Richter unterstreichen damit nicht nur die tragende Bedeutung der Meinungsfreiheit, sondern mahnen zugleich zur Differenzierung zwischen sozialer Unhöflichkeit und rechtlich relevanter Persönlichkeitsverletzung.

Gerade im nachbarschaftlichen Kontext, wo Emotionen schnell hochkochen und Konflikte über Jahre hinweg schwelen können, bietet diese Klarstellung eine wichtige Orientierung: Nicht jede grobe Bemerkung ist gleich eine Beleidigung, und nicht jede Eskalation rechtfertigt staatliches Einschreiten. Die Grenzen des Sagbaren sind dort erreicht, wo die Kritik keinen sachlichen Bezug mehr erkennen lässt und allein der Diffamierung dient – ein Maßstab, der auch in hitzigen “Parkplatzdiskussionen” Bestand haben muss.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Spezialist für Strafverteidigung (insbesondere bei Wirtschaftskriminalität wie Geldwäsche, Betrug bis zu Cybercrime) sowie für IT-Recht (Softwarerecht und KI, IT-Vertragsrecht und Compliance) mit zahlreichen Publikationen. Als Fachanwalt für Strafrecht und IT-Recht vertrete ich Mandanten in komplexen Zivil- und Strafverfahren, insbesondere bei streitigen Fragen im Softwarerecht, bei der Abwehr von strafrechtlichen Vorwürfen oder Ansprüchen in der Managerhaftung sowie bei der Einziehung von Vermögenswerten. Mein Fokus liegt auf der Schnittstelle zwischen technischem Verständnis und juristischer Strategie, um Sie in digitalen Fällen und wirtschaftlichen Strafsachen effektiv zu verteidigen und zu beraten.

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Unsere Anwaltskanzlei ist spezialisiert auf Strafverteidigung, Cybercrime, Wirtschaftsstrafrecht samt Steuerstrafrecht sowie IT-Recht und Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen übernommen - wir sind im Raum Aachen zu finden und bundesweit tätig.
Rechtsanwalt Jens Ferner
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Spezialist für Strafverteidigung (insbesondere bei Wirtschaftskriminalität wie Geldwäsche, Betrug bis zu Cybercrime) sowie für IT-Recht (Softwarerecht und KI, IT-Vertragsrecht und Compliance) mit zahlreichen Publikationen. Als Fachanwalt für Strafrecht und IT-Recht vertrete ich Mandanten in komplexen Zivil- und Strafverfahren, insbesondere bei streitigen Fragen im Softwarerecht, bei der Abwehr von strafrechtlichen Vorwürfen oder Ansprüchen in der Managerhaftung sowie bei der Einziehung von Vermögenswerten. Mein Fokus liegt auf der Schnittstelle zwischen technischem Verständnis und juristischer Strategie, um Sie in digitalen Fällen und wirtschaftlichen Strafsachen effektiv zu verteidigen und zu beraten.

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