Bundesgerichtshof zu den Grenzen der Notwehr im emotional aufgeladenen Wohnkonflikt

In seinem Beschluss vom 7. Januar 2025 (Az. 2 StR 530/24) hebt der ein Urteil des Landgerichts Köln auf, das einen Mann wegen Totschlags zu vier Jahren verurteilt und zugleich seine in einer psychiatrischen Einrichtung angeordnet hatte.

Der Vorfall, der sich in einer Wohneinrichtung für beeinträchtigte Menschen zutrug, war geprägt von eskalierenden Spannungen, körperlicher Gewalt und letztlich tödlicher Gegenwehr. Der BGH sieht in der rechtlichen Bewertung des Notwehrrechts durch das Landgericht gravierende Mängel – insbesondere im Hinblick auf die Voraussetzungen einer gegenwärtigen Bedrohungslage.

Der Sachverhalt im Überblick

Zwischen dem Angeklagten, seiner Schwester und dem späteren Opfer herrschte über längere Zeit hinweg ein konfliktreiches Verhältnis, das immer wieder polizeiliches Einschreiten erforderlich machte. Am Tattag kam es erneut zu einem Vorfall, bei dem der Geschädigte zunächst gegenüber Dritten äußerte, den Angeklagten schlagen zu wollen. Er suchte daraufhin dessen Zimmer auf, schlug gegen die Tür und forderte ihn zum Herauskommen auf. Nachdem der Angeklagte öffnete, kam es zu einem körperlichen Angriff mit mindestens einem Faustschlag gegen ihn. In Reaktion darauf griff der Angeklagte zu einem Küchenmesser und stach mehrfach auf den Angreifer ein, der wenig später an den Folgen seiner Verletzungen verstarb.

Die juristische Bewertung durch das Landgericht

Das Landgericht verneinte eine Rechtfertigung der Tathandlung durch . Es führte aus, dass der Angriff durch den Geschädigten bereits abgeschlossen gewesen sei und der Einsatz des Messers nicht mehr im Kontext einer Abwehrhandlung gestanden habe, sondern aus Verärgerung erfolgt sei. Auf dieser Grundlage verurteilte es den Angeklagten wegen Totschlags.

Die Kritik des Bundesgerichtshofs

Der BGH widerspricht dieser rechtlichen Einordnung mit bemerkenswerter Deutlichkeit. Die zentrale Frage, ob sich der Angeklagte zum Zeitpunkt des tödlichen Messereinsatzes noch in einer Notwehrlage befand, sei vom Landgericht nicht tragfähig beantwortet worden. Eine gegenwärtige im Sinne des § 32 StGB endet nicht automatisch mit einem ersten Angriff, sondern besteht so lange fort, wie die Gefahr eines weiteren Übergriffs objektiv besteht. Das Verhalten des Geschädigten – die vorherige körperliche Aggression, das massive Auftreten vor dem Zimmer und die aggressive Sprache – hätten eine Fortdauer der Bedrohung durchaus plausibel erscheinen lassen.

Besonders kritisch sieht der Senat, dass das Landgericht sich damit begnügte, eine mögliche Verteidigungsmotivation des Angeklagten zu verneinen, ohne diese hinreichend zu belegen. Eine emotionale Reaktion – etwa Wut – schließt den Verteidigungswillen nicht aus, solange dieser bei der Tat noch mitmotivierend wirkt. Die Annahme eines „bloß aus Verärgerung“ handelnden Täters erscheint daher als zu simplifizierend.

Konsequenzen für die strafrechtliche Praxis

Die Entscheidung des BGH verdeutlicht, dass die rechtliche Beurteilung von Notwehrsituationen einer differenzierten und sorgfältig begründeten Prüfung bedarf. Der bloße Umstand, dass ein Angriff bereits begonnen oder eine Verletzung stattgefunden hat, bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Gefahr vorüber ist. Insbesondere in dynamischen Konfliktsituationen, in denen sich Gewaltlagen rasch entwickeln und eskalieren, müssen Gerichte die objektive Gefahrenlage zum Zeitpunkt der Gegenwehr minutiös rekonstruieren.

Auch der subjektive Verteidigungswille darf nicht vorschnell verneint werden. Gerade in Fällen, in denen ein Angeklagter körperlich angegriffen wurde und die Situation eskaliert, ist die psychologische Dynamik entscheidend – eine spontane, mit Furcht oder Reflexen vermischte Reaktion kann durchaus noch unter dem Schutz der Notwehr stehen.

Fazit

Die Quintessenz dieses Beschlusses lautet: Wer sich körperlich gegen einen unmittelbar drohenden Angriff zur Wehr setzt, darf auf den Schutz des Notwehrrechts vertrauen – auch wenn die Reaktion heftig oder in ihrer Wirkung tödlich ist. Entscheidend ist, ob die Bedrohung noch real und gegenwärtig war, nicht ob die Verteidigung mit kühlem Kalkül erfolgte. Der BGH fordert damit nicht nur eine präzisere juristische Prüfung durch die Instanzgerichte, sondern stärkt zugleich das Verständnis für die rechtliche Legitimität emotional motivierter, aber objektiv nachvollziehbarer Selbstverteidigung. In einer Zeit, in der zwischenmenschliche Konflikte immer häufiger auch in betreuten Wohnsituationen eskalieren, ist das ein wichtiger rechtspolitischer Akzent.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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