Schattenbanken, Schleusung und Zahlungsdienste: Mit Urteil vom 9. Januar 2025 (Az. 3 StR 111/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem vielbeachteten Strafverfahren zentrale Fragen zur strafrechtlichen Bewertung sogenannter Hawala-Banking-Systeme entschieden.
Dabei ging es um die Verurteilung eines syrischen Staatsangehörigen wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern, mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung im Ausland sowie unerlaubter Erbringung von Zahlungsdiensten. Das Urteil schafft bedeutsame Klarheit hinsichtlich der strafrechtlichen Einordnung informeller Zahlungsnetzwerke, wie sie häufig von migrantischen Gemeinschaften genutzt werden, und beleuchtet zugleich die Verschränkung von Strafrecht, Finanzaufsicht und Migrationskontrolle.
Sachverhalt
Der Angeklagte war 2016 mit seiner Familie aus Syrien nach Deutschland geflüchtet und hatte sich spätestens im Juli 2020 einer international agierenden Gruppierung angeschlossen, die unter dem Namen „Al Arabiya“ ein Hawala-System betrieb. Dieses System wurde aus dem syrischen Idlib zentral organisiert und funktionierte als informelle Schattenbank: Geld wurde in einem Land bar entgegengenommen und gleichzeitig im Zielstaat ausgezahlt, ohne dass physische Geldbewegungen oder klassische Bankverbindungen erforderlich gewesen wären. Der Angeklagte wirkte als sogenannter Hawaladar, also als Vermittler und Auszahler innerhalb des Netzwerks, das durch eine speziell konfigurierte App gesteuert wurde.
Die Aktivitäten des Angeklagten umfassten sowohl Einzahlungen in Deutschland mit dem Ziel der Auszahlung etwa in Syrien als auch umgekehrt die Auszahlung hierzulande nach im Ausland erfolgter Einzahlung. Innerhalb von zwei Jahren wickelte er nachweislich Transaktionen in Höhe von mindestens 80.000 Euro ab. Die Gelder dienten zwar überwiegend der Unterstützung von Angehörigen, stammten aber teils auch aus kriminellen Handlungen, etwa im Zusammenhang mit Schleusungstätigkeiten.
Rechtliche Würdigung
Gewerbsmäßiges Einschleusen von Ausländern (§ 96 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG)
Das Landgericht und der BGH bejahten eine gewerbsmäßige Schleusungstätigkeit des Angeklagten. Diese setzte voraus, dass der Angeklagte Handlungen vornahm, die objektiv zur Ermöglichung oder Erleichterung unerlaubter Einreisen beitrugen, und dass er hierbei mit Wiederholungsabsicht zur Gewinnerzielung handelte. Der BGH legte dar, dass die Geldtransfers über das Hawala-System eine wesentliche Unterstützungshandlung darstellten, insbesondere zur Finanzierung der Einreise und des Aufenthalts von Drittstaatsangehörigen. Der erforderliche Vorsatz wurde aus der engen Einbindung in das Netzwerk sowie aus dem Umfang der Transaktionen abgeleitet.
Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung im Ausland (§ 129b StGB)
Auch die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung wurde bejaht. Die Organisation „Al Arabiya“ erfüllte die Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung im Ausland, da sie auf eine nachhaltige Begehung von Straftaten – insbesondere nach dem Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG) sowie dem Aufenthaltsgesetz – ausgerichtet war. Der BGH stellte ausdrücklich klar, dass es für die Einordnung als kriminelle Vereinigung nicht darauf ankommt, ob die Zwecke der Gruppe ausschließlich illegaler Natur sind. Vielmehr genügt es, dass ein wesentlicher Teil ihrer Aktivitäten strafbewehrt ist.
Unerlaubte Erbringung von Zahlungsdiensten (§ 63 Abs. 1 Nr. 4 ZAG)
Zentraler Aspekt des Urteils ist die strafrechtliche Relevanz des informellen Zahlungsverkehrs über das Hawala-System. Der Angeklagte betrieb Zahlungsdienste im Sinne des ZAG, ohne im Besitz einer erforderlichen Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu sein. Dies wurde als vorsätzliche unerlaubte Erbringung von Zahlungsdiensten gewertet. Die vom BGH hervorgehobene Professionalität und Internationalität der Organisation unterstreichen die gravierende Rechtswidrigkeit des Verhaltens.

Rechtsanwalt Jens Ferner
Fachanwalt für StrafrechtBesondere dogmatische und praktische Aspekte
Der Fall illustriert exemplarisch das Spannungsfeld zwischen traditionell kulturell geprägten Zahlungspraktiken und einem hochregulierten, auf Transparenz und Geldwäscheprävention ausgelegten Finanzsystem. Der BGH betont, dass selbst wohltätige oder familiäre Zwecke keine Rechtfertigung für die Umgehung regulatorischer Vorschriften bieten. Die Nutzung spezialisierter Software, die Verankerung in einem arbeitsteiligen Netzwerk sowie das Volumen der Transaktionen indizieren die Gewerbsmäßigkeit ebenso wie die Einbindung in eine strafrechtsrelevante Organisationsstruktur.
Auch zur Einziehung nimmt der BGH Stellung: Die Entscheidung des Landgerichts wurde im Hinblick auf die Wertersatzeinziehung teilweise aufgehoben. Es sei nicht hinreichend konkret belegt, in welchem Umfang das sichergestellte Bargeld aus den Taten stamme, weshalb die Begründung dem revisionsrechtlichen Prüfmaßstab nicht standhielt.

In der Kernaussage lässt sich festhalten: Wer im großen Stil und mit nachhaltiger Gewinnerzielungsabsicht grenzüberschreitende Finanztransaktionen ohne Lizenz organisiert, bewegt sich nicht nur im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts – er macht sich regelmäßig strafbar. Die Verknüpfung mit kriminellen Netzwerken und migrationsbezogenen Delikten intensiviert die strafrechtliche Relevanz solcher Aktivitäten erheblich.
Schlussbetrachtung
Die Entscheidung des BGH liefert eine bemerkenswert differenzierte und zugleich klare strafrechtliche Einordnung informeller Finanznetzwerke wie Hawala. Sie demonstriert die Reichweite des deutschen Strafrechts auch bei grenzüberschreitend operierenden Organisationsstrukturen und betont zugleich die strafbewehrte Notwendigkeit regulatorischer Erlaubnisse für Zahlungsdienste. Für juristische Praktiker bietet das Urteil wertvolle Orientierung bei der strafrechtlichen Bewertung wirtschaftlich relevanter Parallelstrukturen außerhalb des klassischen Bankwesens.
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