BGH zur Reichweite von § 31 BGB bei verbundenen Unternehmen

Schneeballsysteme und Organhaftung: Mit seinem Urteil vom 6. März 2025 (Az. III ZR 137/24) hat der die Reichweite des § 31 BGB im Zusammenspiel mit komplexen Unternehmensstrukturen neu justiert. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob eine juristische Person auch dann haftet, wenn ihr Organ zwar selbst keine unmittelbare Täuschung vornimmt, aber in einem konzernähnlichen Gefüge mehrere Gesellschaften instrumentalisiert, um ein betrügerisches aufrechtzuerhalten.

Der BGH bejaht die Haftung – und stellt klar, dass § 31 BGB eine haftungszuweisende Norm ist, die alle juristischen Personen erfasst. Die Entscheidung ist ein Lehrstück über das Zivilrecht an der Schnittstelle von Kapitalmarkt, Unternehmensethik und Organverantwortung.

Der Fall: Vermittlung, Provisionskreisläufe und Täuschung

Gegenstand des Verfahrens war ein Anlegerschaden im Zusammenhang mit einer großangelegten Kapitalanlage in Form von Orderschuldverschreibungen. Das zugrunde liegende Geschäftsmodell hatte sich über Jahre hinweg in ein klassisches Schneeballsystem verwandelt. Statt Erträge zu erwirtschaften, wurden die versprochenen Zinsen nur noch durch neue Anlegergelder finanziert. Im Zentrum der Machenschaften stand ein Vorstand, der gleichzeitig in mehreren Gesellschaften der Unternehmensgruppe als Organ agierte – und diese gezielt zur Aufrechterhaltung der Illusion eines funktionierenden Geschäftsmodells einsetzte.

Der Kläger hatte sich im Jahr 2011 mit 100.000 Euro beteiligt und erhielt darauf nur geringe Auszahlungen. Nach der der Emittentin meldete er seine Forderung zur Insolvenztabelle an. Der Insolvenzverwalter widersprach, woraufhin der Kläger auf Feststellung der Schadensersatzforderung erhob – und obsiegte nun in letzter Instanz.

§ 31 BGB als haftungszuweisende Norm

Im Zentrum der rechtlichen Analyse steht die Anwendung des § 31 BGB. Der BGH betont, dass es sich hierbei nicht um eine eigene Haftungsnorm, sondern um eine Zurechnungsnorm handelt: Eine juristische Person haftet, wenn ihr Organ in amtlicher Funktion – also im Rahmen des ihm zugewiesenen Wirkungskreises – eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung begeht. Entscheidend ist, dass das schädigende Verhalten dem Organisationshandeln der juristischen Person zuzuordnen ist.

Die Besonderheit des Falles liegt darin, dass der verantwortliche Vorstand mehrere juristische Personen gleichzeitig kontrollierte und im Rahmen seines Gesamtkonzepts unterschiedliche Rollen für sie definierte. So trat eine Gesellschaft als Vermittlerin sogenannter Eigenverträge auf, wodurch ein Provisionskreislauf entstand, der bilanziell als Gewinn ausgewiesen wurde, obwohl dieser faktisch nur aus eigener Liquidität gespeist war. Dies diente einzig dem Zweck, gegenüber Anlegern ein falsches Bild wirtschaftlicher Stärke zu erzeugen.

Der BGH sieht in dieser Einbindung der Gesellschaften eine haftungsrelevante Mitwirkung. Auch wenn die Haupttäuschung durch eine andere Gesellschaft vorgenommen wurde, ist das Verhalten der mitwirkenden Gesellschaft – vermittelt durch ihr Organ – ein haftungsbegründender Tatbeitrag im Sinne des § 31 BGB.

Organidentität bei mehreren juristischen Personen

Besondere Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass derselbe Vorstand für mehrere Gesellschaften tätig war. Der BGH verdeutlicht, dass dies nicht zu einer „Aufspaltung“ der Verantwortlichkeit führt. Vielmehr könne ein Organmitglied in unterschiedlichen Rollen agieren – jeweils in amtlicher Eigenschaft für die jeweilige Gesellschaft. Sind die Tatbeiträge demnach unterschiedlichen juristischen Personen zuzuordnen, haften diese gesamtschuldnerisch nach § 840 Abs. 1 BGB.

Dies hat zur Folge, dass die Haftung nicht davon abhängt, ob ein unmittelbarer Kontakt zwischen der geschädigten Person und der haftenden Gesellschaft besteht. Es genügt, dass die juristische Person aktiv zur Schaffung der für die Täuschung notwendigen Rahmenbedingungen beigetragen hat. Auch die bloße Mitwirkung an einem betrügerischen Geschäftsmodell kann haftungsbegründend sein, sofern sie bewusst und zweckgerichtet erfolgt.

Kein Entfallen der Haftung durch fehlenden Direktkontakt

Eine weitere Klarstellung betrifft die Frage, ob eine juristische Person nur dann haftet, wenn sie selbst gegenüber dem Geschädigten auftritt. Der BGH verneint dies ausdrücklich: § 31 BGB verlangt keine unmittelbare Beziehung zwischen Geschädigtem und juristischer Person. Gerade in Fällen der mittelbaren Täterschaft – wie bei Schneeballsystemen häufig anzutreffen – bleibt die juristische Person auch dann haftbar, wenn die Täuschung durch andere vermittelt wurde.

Diese Feststellung ist für die Praxis besonders relevant: Unternehmen, die durch ihre Strukturen oder unterstützenden Handlungen bewusst zur Täuschung von Dritten beitragen, können nicht hinter formalen Schranken der Organisationszugehörigkeit verborgen bleiben.

Für Unternehmen und ihre Leitungsorgane bedeutet dies eine erhöhte Verantwortung: Wer mehrere juristische Personen zugleich lenkt, kann deren Trennung nicht zur Haftungsvermeidung instrumentalisieren. Für geschädigte Anleger schafft das Urteil mehr Rechtssicherheit und effektiven Zugriff auf potenziell haftende Vermögensträger innerhalb verflochtener Unternehmensstrukturen. Der BGH zeigt hier beispielhaft, wie dogmatische Präzision und praktische Gerechtigkeit in Einklang gebracht werden können.

Ergebnis

Die Kernaussage des Urteils ist eindeutig: § 31 BGB gilt für alle juristischen Personen und ermöglicht eine Zurechnung organbezogenen Fehlverhaltens auch dann, wenn mehrere Gesellschaften konzernartig agieren und die Täuschung arbeitsteilig erfolgt. Die Entscheidung schärft das zivilrechtliche Instrumentarium zur Bewältigung komplexer Wirtschaftskriminalität und setzt ein deutliches Zeichen gegen die strategische Aufteilung von Täuschungshandlungen auf verschiedene juristische Vehikel.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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