Grenzen der Vermögensabschöpfungim Arbeitsstrafrecht: Mit Beschluss vom 22. Januar 2025 (Az. 1 StR 512/24) hat der Bundesgerichtshof erneut klargestellt, dass die strafrechtliche Einziehung von Vermögensvorteilen nach § 73 StGB bei Verstößen gegen sozialversicherungs- und steuerrechtliche Pflichten nicht automatisch auf den Geschäftsführer als Angeklagten durchgreifen darf, wenn die Vorteile – typischerweise in Gestalt ersparter Sozialabgaben und Steuern – allein bei der juristischen Person, also dem Arbeitgeberunternehmen, verbleiben. Die Entscheidung konkretisiert die dogmatischen Voraussetzungen der Einziehung von Taterträgen und zieht eine deutliche Trennlinie zwischen persönlicher strafrechtlicher Verantwortlichkeit und der ökonomischen Realität arbeitsteilig organisierter Kriminalität im Bereich der Schwarzarbeit.
Sachverhalt: Schwarzarbeit auf dem Bau, Verurteilung und Revision
Der Angeklagte war vom Landgericht Dortmund wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 61 Fällen sowie wegen ebenso vieler Fälle von Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt worden. Das Gericht hatte zudem die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 255.000 € angeordnet. Hiergegen wandte sich die Revision des Angeklagten mit Erfolg – zumindest in Bezug auf den Einziehungsbeschluss.
Im Zentrum stand die Frage, ob dem Angeklagten persönlich ein Vermögensvorteil „durch die Tat“ zugeflossen war – oder ob sich die wirtschaftlichen Vorteile ausschließlich auf die jeweiligen Gesellschaften beschränkten, die als Arbeitgeber der nicht gemeldeten Bauarbeiter fungierten.
Dogmatische Klarstellung: „Durch die Tat“ und die Grenzen der Zurechnung
Der BGH bestätigt, dass die Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB eine kausale Verknüpfung zwischen der rechtswidrigen Tathandlung und dem erlangten Vermögensvorteil voraussetzt. Der Vorteil muss unmittelbar „durch die Tat“ erlangt worden sein, wobei eine bloße mittelbare Begünstigung über Dritte – etwa über Gesellschaftsstrukturen – hierfür nicht ausreicht.
Im konkreten Fall waren es die Gesellschaften, nicht der Angeklagte selbst, die durch das systematische Unterlassen von Sozialversicherungs- und Steuerabgaben wirtschaftliche Vorteile in Form vermiedener Zahlungsverpflichtungen erlangt hatten. Die Vorteile schlugen sich nicht im Vermögen des Angeklagten nieder, da er sich nach den Feststellungen des Landgerichts aufgrund der prekären finanziellen Situation der Gesellschaften selbst keinen Lohn auszahlen konnte. Eine Einziehung bei ihm scheidet damit sowohl nach § 73 Abs. 1 Alt. 1 StGB („durch die Tat erlangt“) als auch nach der sog. Tatlohn-Alternative (Alt. 2) aus, da es an einem konkreten Zufluss fehlt.
Der BGH verweist dabei auch auf seine jüngere Rechtsprechung, wonach eine fiktive Vorteilszurechnung über „Ersparnisse“ nur dann einziehungsfähig ist, wenn diese beim Täter selbst realisiert wurden. Die schlichte Tatsache, dass eine Gesellschaft – deren gesetzlicher Vertreter der Täter ist – durch rechtswidriges Verhalten wirtschaftlich begünstigt wurde, begründet keinen persönlichen Vermögenszuwachs beim Täter im Sinne der Einziehungsvorschrift.
Keine Ausweitung auf sekundäre Vermögensvorteile
Besonders instruktiv ist die Abgrenzung gegenüber anderen – tatsächlich beim Angeklagten eingetretenen – Vermögensvorteilen: Zwar hatte der Angeklagte im Rahmen der Schwarzarbeit Zimmer in einer eigenen Immobilie an die nicht angemeldeten Arbeiter vermietet und hierfür mutmaßlich Mieteinnahmen erzielt. Doch auch hierin sah der BGH keine einziehungsfähigen Taterträge. Die Mieteinnahmen beruhten nicht kausal auf dem Vorenthalten von Arbeitsentgelt oder der Lohnsteuerverkürzung, sondern auf einer separaten, nicht tatbestandlich erfassten Vertragsbeziehung. Die Einkommensteuerverkürzung auf die Mieteinnahmen war zudem nicht Teil des gegenständlichen Strafverfahrens, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt keine Einziehung erfolgen konnte.
Hier zeigt sich die dogmatische Strenge, mit der der BGH die Voraussetzungen der Einziehung prüft: Nicht jede wirtschaftliche Verbesserung im Umfeld einer Straftat ist automatisch ein tauglicher Gegenstand der Vermögensabschöpfung. Erforderlich bleibt stets ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen konkreter Tathandlung und vermögensmäßigem Vorteil.
Schlussfolgerung
In der Kernaussage markiert der Beschluss des 1. Strafsenats eine klare Grenzziehung zwischen individueller Strafverantwortlichkeit und gesellschaftsbezogener Vorteilserlangung im Wirtschaftsstrafrecht. Die Einziehung ist kein instrumenteller Ausgleichsmechanismus für fiskalische oder sozialversicherungsrechtliche Schäden, sondern ein strafrechtliches Sanktionsinstrument, das strikt an die Tat und ihre ökonomischen Folgen beim Täter gebunden bleibt.
Für die Praxis bedeutet dies: Auch in Fällen organisierter Schwarzarbeit ist sorgfältig zu prüfen, wer tatsächlich Vermögensvorteile aus der Tat gezogen hat – und ob diese in der Person des Angeklagten überhaupt realisiert wurden. Wo dies nicht der Fall ist, bleibt für die Einziehung kein Raum. Die Entscheidung des BGH bekräftigt damit nicht nur das Prinzip der Individualisierung strafrechtlicher Sanktionen, sondern sichert zugleich den rechtsstaatlichen Rahmen der Vermögensabschöpfung gegen funktionalistische Überdehnungen.
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