Strafzumessung bei Abrechnungsbetrug

BGH zum Umgang mit wirtschaftskriminellen Corona-Fällen: Die Corona-Pandemie stellte nicht nur das Gesundheitssystem vor Herausforderungen, sondern öffnete auch Tür und Tor für Missbrauch. Insbesondere die staatlich finanzierten Bürgertestungen gerieten früh in den Fokus strafrechtlicher Ermittlungen, da sich durch unzureichende Kontrollen erhebliche Summen betrügerisch vereinnahmen ließen.

Der Bundesgerichtshof hatte nun in einem Urteil vom 12. März 2025 (2 StR 100/24) Gelegenheit, sich zur strafrechtlichen Bewertung eines besonders aufwendig betriebenen Abrechnungsbetrugs im Bereich der COVID-19-Testvergütung zu äußern. Die Entscheidung ist nicht nur aus kriminologischer, sondern vor allem aus dogmatischer Sicht bemerkenswert – insbesondere im Hinblick auf den Vermögensschadenbegriff, die formale Struktur des Betrugstatbestands und die Strafzumessung.

Sachverhalt

Der Angeklagte hatte im April 2021 eine Teststation zur Durchführung sogenannter Bürgertests eingerichtet und sich ordnungsgemäß bei der Kassenärztlichen Vereinigung registriert. In der Folgezeit rechnete er für den Zeitraum von April 2021 bis März 2022 insgesamt rund 56.000 COVID-Tests ab. Davon waren nach den Feststellungen des Landgerichts rund 21.400 Tests nicht ausreichend dokumentiert, etwa 2.100 davon sogar gänzlich fingiert. Die Abrechnung erfolgte dennoch in voller Höhe, sodass ein Betrugsschaden von knapp 197.000 Euro entstand. Das Landgericht Köln verurteilte den Angeklagten wegen Betrugs in neun Fällen und versuchten Betrugs in zwei Fällen zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung. Daneben ordnete es die Einziehung von rund 143.000 Euro sowie verschiedener Gegenstände an. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hob der BGH die Entscheidung teilweise auf.

Juristische Analyse

Vermögensschaden und formale Betrachtung bei § 263 StGB

Im Zentrum der Entscheidung steht die Bewertung des entstandenen Vermögensschadens im Sinne des § 263 StGB. Der BGH bekräftigt seine gefestigte Rechtsprechung, wonach für die Beurteilung des Schadenseintritts der Vergleich des Vermögens unmittelbar vor und nach der Verfügung maßgeblich ist (Gesamtsaldierung). Entscheidend ist, ob ein Vermögensvorteil im Moment der Verfügung einen durch Täuschung erlangten Nachteil ausgleicht – und zwar nur, wenn dieser Vorteil ebenfalls unmittelbar aus der Verfügung selbst resultiert.

In Fällen wie dem vorliegenden, in denen eine Leistung (die Testdurchführung) zwar erbracht wurde, deren Dokumentation aber nicht den Vorgaben der Testverordnung (TestV) entspricht, verneint der BGH regelmäßig das Vorliegen eines kompensierenden Vermögensvorteils. Denn ohne hinreichende Dokumentation bestehe kein Anspruch auf Vergütung – und ohne Rechtsanspruch keine wirtschaftlich werthaltige Forderung. Dies entspricht der sogenannten streng formalen Betrachtungsweise, die seit Jahrzehnten anerkannt ist und vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich gebilligt wurde. Der Täter täuscht über das Vorliegen von Abrechnungsvoraussetzungen, ohne die ein tatsächlicher wirtschaftlicher Gegenwert nicht existiert.

Bedeutung der Verfolgungsbeschränkung nach § 154a StPO

Besondere Relevanz kommt in dem Urteil der prozessualen Verfolgungsbeschränkung zu. Das Landgericht hatte das Verfahren – mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft – gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf den Vorwurf der betrügerischen Abrechnung nicht dokumentierter Tests beschränkt. Der BGH stellt klar, dass in einem solchen Fall nur diese konkret abgegrenzten Teilakte der Abrechnungsschädigung strafrechtlich relevant sind. Eine „Kontamination“ der gesamten Abrechnung führt nicht automatisch dazu, dass auch Vergütungen für ordnungsgemäß dokumentierte Testungen als Schaden gewertet werden können.

Die Entscheidung verdeutlicht damit erneut: Wo der Tatvorwurf prozessual eingeschränkt ist, bleibt auch die materiellrechtliche Bewertung innerhalb dieses Rahmens zu führen. Dies steht im Gegensatz zu Stimmen in der Praxis, die eine infektionsähnliche Verunreinigung der gesamten Leistungsabrechnung durch einzelne Falschangaben annehmen möchten.

Fehlerhafte Strafzumessung: Strafmilderung durch Rückgabeverzicht?

Sowohl zugunsten als auch zulasten des Angeklagten erkennt der BGH Fehler in der Strafzumessung. Bemerkenswert ist die Ablehnung eines vom Landgericht angenommenen Strafmilderungsgrundes: Die Motivation, durch fortgesetzte Falschabrechnungen „keine Auffälligkeiten“ hervorzurufen, könne nicht als strafmildernd gewertet werden. Wer sich durch neue Straftaten der Aufdeckung früherer Delikte entziehen wolle, handele nicht in mildernder, sondern in besonders verwerflicher Weise. Auch der Hinweis auf Kostendeckungsabsichten könne angesichts des fortdauernden Betrugssystems keine Entlastung begründen.

Auf der anderen Seite betont der Senat, dass das Landgericht strafmildernde Aspekte zu Unrecht außer Acht ließ. So hätte es den Verzicht des Angeklagten auf ein hochwertiges Mobiltelefon und ein Notebook, die zur Tatausführung genutzt worden waren, strafmildernd berücksichtigen müssen. Die Einziehung nach § 74 Abs. 1 StGB hat quasi Nebenstrafencharakter und beeinflusst die Gesamtbelastung des Täters. Wird dem Täter ein wertvoller Gegenstand entzogen – sei es durch Urteil oder freiwilligen Verzicht – so ist dies im Rahmen der Strafzumessung zu würdigen.

Einziehung fehlerhaft begründet

Auch hinsichtlich der Einziehung erkennt der BGH rechtliche Mängel. So fehlt dem Urteil eine tragfähige Begründung dafür, warum das in Rede stehende Notebook tatsächlich als Tatmittel einzuordnen sei. Die bloße Feststellung, der Angeklagte habe auf die Rückgabe „der Asservate“ verzichtet, genüge nicht. Schon begrifflich ist unklar, ob sich dieser Verzicht auf sämtliche Gegenstände oder nur das explizit benannte Mobiltelefon bezieht. Die Entscheidung zeigt exemplarisch, wie fehleranfällig pauschale Formulierungen in Einziehungsanordnungen sein können – insbesondere bei elektronischen Geräten, deren Einsatz nicht selbstverständlich tatbezogen ist.

Quintessenz

Mit seinem Urteil in der Sache 2 StR 100/24 setzt der Bundesgerichtshof wichtige Maßstäbe für die strafrechtliche Beurteilung von Abrechnungsbetrug im Zusammenhang mit staatlichen Unterstützungsmaßnahmen. Die Entscheidung bestätigt die bestehende Linie zur formaljuristischen Betrachtung des Vermögensschadens bei § 263 StGB, konkretisiert die Grenzen prozessualer Verfolgungsbeschränkungen und korrigiert unzutreffende Vorstellungen über mögliche Strafmilderungen. Zugleich betont der Senat die Notwendigkeit differenzierter und sachlich begründeter Einziehungsentscheidungen. Gerade angesichts der Vielzahl ähnlicher Verfahren bietet das Urteil eine dogmatisch fundierte Orientierung für Strafjustiz, Verteidigung und Verwaltungspraxis gleichermaßen.

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Rechtsanwalt Jens Ferner ist erfahrener Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht mit über einem Jahrzehnt Berufspraxis und widmet sich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist erfahrener Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht mit über einem Jahrzehnt Berufspraxis und widmet sich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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