Wenn mehrere Personen gemeinsam Straftaten begehen, stellt sich nicht nur die Frage, ob sie als Mittäter oder Gehilfen zu bewerten sind. Von erheblicher praktischer Bedeutung ist darüber hinaus, in welchem Verhältnis die gegen sie verhängten Strafen zueinander stehen. Gerade im Bereich des organisierten Rauschgifthandels müssen Gerichte nachvollziehbar begründen, warum bestimmte Beteiligte härter bestraft werden als andere – oder eben nicht. In einem aktuellen Beschluss vom 1. April 2025 (1 StR 436/24) nimmt der Bundesgerichtshof (BGH) zu genau diesem Problem Stellung und hebt einen Strafausspruch auf, weil das Strafmaß nicht als „angemessen“ im Sinne des § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO gewertet werden konnte.
Sachverhalt
Das Landgericht Ingolstadt hatte den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Zugleich wurde die Einziehung erlangter Taterlöse sowie sichergestellter Rauschmittel angeordnet. Der BGH beanstandete diese Entscheidung teilweise, insbesondere im Hinblick auf die Strafhöhe und bestimmte Einziehungsanordnungen. Dabei betonte der Senat die Bedeutung der nachvollziehbaren Strafzumessung gerade bei mehreren Tatbeteiligten.
Juristische Analyse
Maßstab der Relation: Das Gebot der Strafproportionalität unter Mittätern
Der BGH hebt in seiner Entscheidung hervor, dass eine Freiheitsstrafe von neun Jahren im konkreten Fall nicht als „angemessen“ im Sinne des § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO bewertet werden konnte. Zwar liege die Strafe deutlich über dem gesetzlichen Mindestmaß des § 30a Abs. 1 BtMG. Doch sei insbesondere in den Blick zu nehmen, dass der Angeklagte bislang unbestraft war, ein erheblicher Teil der Betäubungsmittel sichergestellt wurde und die kriminelle Tätigkeit erst im Mai 2022 begonnen wurde.
Gerade vor diesem Hintergrund wird deutlich: Die Strafe steht nach Ansicht des BGH nicht in einem ausgewogenen Verhältnis zu den Gesamtumständen, insbesondere im Vergleich zu den anderen Bandenmitgliedern. Zwar benennt der Beschluss keine konkreten Strafen der Mitangeklagten, doch lässt sich aus der Argumentation schließen, dass die Differenzierung zwischen den Beteiligten nicht hinreichend durch die Urteilsgründe getragen wurde.
Strafzumessung bei Mittäterschaft: Eigenverantwortlichkeit und Vergleichbarkeit
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH bedarf die Festsetzung einer signifikant höheren Strafe für einen Mittäter gegenüber seinen Tatgenossen einer besonderen Begründung. Zwar ist die Strafzumessung grundsätzlich individuell vorzunehmen, doch gebietet das Gebot der gerechten Ahndung, dass ähnliche Tatbeiträge auch ähnlich sanktioniert werden – sofern nicht besondere strafschärfende oder -mildernde Faktoren hinzutreten.
Daran gemessen kritisiert der Senat insbesondere die straferschwerende Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte habe sich „ausschließlich zur Begehung von Straftaten in Deutschland“ aufgehalten. Diese Annahme finde im festgestellten Sachverhalt keine Grundlage: Der Mann lebte seit 2015 in Deutschland und war bis zur Tat nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. Diese fehlerhafte Wertung allein kann die überdurchschnittliche Strafe nicht rechtfertigen.
Systematische Einordnung und Bedeutung für die Rechtsprechung
Die Entscheidung stärkt das Prinzip der strafrechtlichen Verhältnismäßigkeit unter mehreren Beteiligten. Auch wenn sich die Rechtsfigur der „Strafrelativität“ nicht ausdrücklich im Gesetz findet, ergibt sich aus dem strafrechtlichen Schuldprinzip und dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG eine Pflicht zur Beachtung relationaler Gerechtigkeit bei der Strafzumessung. Der BGH konkretisiert diese Linie und verlangt bei Mittätern – besonders in Bandenstrukturen – eine differenzierte, aber zugleich relationale Begründung der Sanktionen.
Der BGH unterstreicht mit seinem Beschluss die Bedeutung einer ausgewogenen und sachlich begründeten Strafzumessung unter Mittätern. Strafen müssen nicht nur schuldangemessen sein, sondern auch in ihrer Relation zueinander überzeugen. Eine über das gesetzliche Mindestmaß hinausgehende Freiheitsstrafe kann nur Bestand haben, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände und im Vergleich zu anderen Beteiligten sachlich gerechtfertigt ist. Damit trägt der Senat zur Konkretisierung eines oft vernachlässigten, aber zentralen strafprozessualen Gerechtigkeitsprinzips bei: der Strafproportionalität unter Mittätern.
Die Entscheidung reiht sich ein in eine lange Linie der Rechtsprechung zur Strafzumessung bei Mittäterschaft (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 21.10.2014 – 2 StR 431/14; BGH, Urteil vom 13.03.2008 – 3 StR 519/07). Sie betont erneut, dass formale Beteiligungsformen nicht automatisch zu deutlich unterschiedlichen Strafen führen dürfen. Auch wer faktisch dieselbe Rolle spielt wie ein anderer Täter, darf nicht deutlich härter sanktioniert werden, wenn sich nicht gewichtige individualisierende Umstände feststellen lassen.
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