Spionage ist kein Relikt des Kalten Krieges, sondern eine alltägliche Realität in der globalisierten Welt. Während Geheimdienste traditionell auf menschliche Quellen und klassische nachrichtendienstliche Operationen setzen, eröffnen Digitalisierung und Vernetzung völlig neue Dimensionen der Informationsgewinnung – und der Einflussnahme. Die jüngste Studie des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) beleuchtet die gegen Deutschland gerichteten Aktivitäten fremder Nachrichtendienste und die Herausforderungen für die nationale Sicherheitsarchitektur.
Deutschland im Fadenkreuz geopolitischer Rivalen
Deutschland steht als bevölkerungsreichste Volkswirtschaft Europas und Mitglied in EU und NATO im besonderen Fokus internationaler Geheimdienste. Neben klassischen Spionageaktivitäten sind Cyberangriffe, Einflusskampagnen und Sabotageakte längst gängige Werkzeuge staatlicher Akteure, die ihre geopolitischen Interessen mit verdeckten Mitteln verfolgen. Die Analyse zeigt, dass insbesondere vier Staaten – Russland, China, Iran und die Türkei – mit großem nachrichtendienstlichem Aufwand in und gegen Deutschland operieren.
Russland – Hybridkrieg und gezielte Destabilisierung
Russische Nachrichtendienste setzen auf ein breites Arsenal an Spionage- und Einflussoperationen. Neben klassischer Agententätigkeit und Cyberangriffen ist insbesondere die hybride Kriegsführung zentraler Bestandteil der russischen Strategie. Desinformationskampagnen zielen darauf ab, gesellschaftliche Spaltungen in Deutschland zu vertiefen und die öffentliche Meinung zu manipulieren. Nach dem Angriff auf die Ukraine hat sich die Intensität dieser Operationen massiv gesteigert: Gezielte Hackerangriffe auf Behörden, Unternehmen und kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind ebenso Teil des russischen Instrumentariums wie die gezielte Einflussnahme auf politische Debatten.
China – Wirtschaftsspionage und strategischer Know-how-Transfer
Die Cyberoperationen chinesischer Nachrichtendienste sind stark auf den Diebstahl technologischer Innovationen ausgerichtet. Deutsche Unternehmen und Forschungseinrichtungen sind attraktive Ziele, um Chinas technologische Selbstständigkeit voranzutreiben. Neben Cyberangriffen nutzt China akademische Kooperationen als Hebel, um unbemerkt an sensibles Know-how zu gelangen. Auch klassische HUMINT-Operationen – die gezielte Anwerbung von Informanten – sind fester Bestandteil der Strategie.
Iran – Repression und Proliferation
Die iranischen Nachrichtendienste haben in Deutschland zwei zentrale Ziele: die Bekämpfung exiliranischer Oppositionsbewegungen und die Umgehung internationaler Sanktionen zur Beschaffung von Technologien für das iranische Atom- und Raketenprogramm. Dabei setzen sie auf ein Netzwerk aus Tarnfirmen und beschaffen illegale Dual-Use-Güter. Gleichzeitig sind auch oppositionelle Exiliraner massiver Bedrohung durch Spionage und transnationale Repression (TNR) ausgesetzt.
Türkei – Verfolgung politischer Gegner
Auch die Türkei setzt ihren Geheimdienst gezielt gegen politische Gegner ein. Besonders die Überwachung und Verfolgung von Anhängern der Gülen-Bewegung sowie kurdischer Aktivisten stehen im Fokus. Die türkischen Nachrichtendienste nutzen informelle Netzwerke in Deutschland, um Spionage und Einschüchterungsversuche durchzuführen. Dies zeigt, dass Nachrichtendienste nicht nur klassische staatliche Sicherheitsinteressen verfolgen, sondern auch innenpolitische Agenden ins Ausland tragen.
Staatliche Hacker im Überblick
Zu den bedeutsamsten internationalen Akteuren gehören vor allem staatliche Akteure aus Russland, China und Iran. Diese Länder setzen verschiedene Taktiken ein, um ihre geopolitischen Interessen zu fördern und die Stabilität der europäischen Demokratien zu untergraben.
Neben den im Folgenden benannten Hauptakteuren gibt es auch andere Länder und nichtstaatliche Akteure, die versuchen, Wahlen in Europa zu beeinflussen. Dazu gehören beispielsweise Gruppen, die im Auftrag von Regierungen oder aus eigenem Interesse handeln, um bestimmte politische Agenden voranzutreiben. Diese Akteure nutzen eine Vielzahl von Methoden, darunter Cyberangriffe, Desinformation, wirtschaftlichen Druck und diplomatische Manöver, um ihre Ziele zu erreichen. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten stehen vor der Herausforderung, diese Bedrohungen zu erkennen und abzuwehren, um die Integrität ihrer demokratischen Prozesse zu schützen.
Russland
Russland ist bekannt für seine umfangreichen Desinformationskampagnen und Cyberangriffe, die darauf abzielen, das Vertrauen in demokratische Prozesse zu schwächen. Zu den bekanntesten Beispielen gehört die Beeinflussung der US-Wahlen 2016 sowie die Versuche, die Brexit-Abstimmung zu beeinflussen. Russische Akteure nutzen häufig Social-Media-Plattformen, um falsche Informationen zu verbreiten und gesellschaftliche Spaltungen zu vertiefen.
China
China setzt zunehmend auf Cyberangriffe und Desinformationskampagnen, um seinen Einfluss in Europa auszubauen. Chinesische Hackergruppen sind dafür bekannt, Wirtschaftsspionage zu betreiben und sensible Informationen zu stehlen, die dann genutzt werden können, um politische Entscheidungen zu beeinflussen. Zudem versucht China, durch die Verbreitung von pro-chinesischen Narrativen in den Medien die öffentliche Meinung in Europa zu manipulieren.
Iran
Iranische Akteure nutzen ebenfalls Desinformationskampagnen und Cyberangriffe, um ihre geopolitischen Ziele zu verfolgen. Diese Kampagnen zielen oft darauf ab, die Politik der USA und ihrer Verbündeten in Europa zu destabilisieren. Iranische Hackergruppen greifen dabei auf ähnliche Techniken zurück wie ihre russischen und chinesischen Gegenstücke.
Nordkorea
Nordkorea ist ein weiterer internationaler Akteur, der versucht, durch Cyberaktivitäten Einfluss auf Wahlen und politische Prozesse weltweit zu nehmen, einschließlich in Europa. Während Nordkorea im Vergleich zu Russland, China und Iran weniger im Fokus steht, gibt es dennoch bedeutende Aktivitäten, die von nordkoreanischen Akteuren ausgehen. Nordkorea nutzt auch Desinformation, um seine geopolitischen Ziele zu fördern und politische Unruhen zu schüren. Während es weniger dokumentierte Fälle von direkter Wahlbeeinflussung durch Nordkorea gibt, nutzt das Regime dennoch Cyberoperationen, um politischen Druck auszuüben und seine Interessen zu wahren, etwa durch Veröffentlichung von kompromittierenden Informationen über politische Kandidaten oder die Verbreitung von Propaganda.
Cyberangriffe als neue Waffe im Nachrichtendienstkrieg
Die Digitalisierung hat die Landschaft der Spionage fundamental verändert. Während physische Spionageakteure nach wie vor eine Rolle spielen, setzen viele Staaten auf offensive Cyberoperationen, um Informationen zu stehlen, kritische Infrastrukturen zu sabotieren oder politische Prozesse zu beeinflussen. Die Studie des BfV zeigt, dass staatlich gesteuerte Cyberangriffe ein zentrales Bedrohungselement für Deutschland darstellen.
Eine besonders perfide Methode ist „Hack-and-Leak“: Erst werden durch Cyberangriffe sensible Daten gestohlen, dann werden diese selektiv veröffentlicht oder manipuliert, um politische oder gesellschaftliche Instabilität zu erzeugen. Dieses Vorgehen wurde unter anderem bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016 sowie bei zahlreichen europäischen Wahlkämpfen beobachtet.
Einflussoperationen und Desinformation – Manipulation der öffentlichen Meinung
Neben der klassischen Spionage ist die gezielte Beeinflussung der öffentlichen Meinung ein zunehmend genutztes Mittel fremder Nachrichtendienste. Dies geschieht durch Fake-News-Kampagnen, Social-Media-Bots oder die gezielte Unterstützung extremistischer und populistischer Narrative. Ziel ist es, Vertrauen in demokratische Institutionen zu untergraben und gesellschaftliche Konflikte zu verschärfen. Besonders Russland hat diesen Bereich zur Perfektion entwickelt, indem es etwa mit Fake-Profilen und staatlich gelenkten Medienkanälen gezielt Desinformation streut.
Strategien zur Abwehr – Was getan werden muss
Angesichts dieser Bedrohungen ist eine umfassende Sicherheitsstrategie erforderlich. Der Verfassungsschutz setzt auf eine Kombination aus Aufklärung, Spionageabwehr und internationaler Kooperation. Besonders wichtig sind dabei folgende Ansätze:
- Frühzeitige Erkennung und Abwehr von Cyberangriffen: Hier ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Behörden, Unternehmen und Wissenschaft essenziell.
- Sensibilisierung für Spionage- und Einflussoperationen: Unternehmen und öffentliche Stellen müssen verstärkt über Methoden fremder Geheimdienste aufgeklärt werden.
- Schutz von Exil-Oppositionellen und Journalisten: Besonders bedrohte Gruppen müssen vor transnationaler Repression geschützt werden.
- Regulierung ausländischer Investitionen und strategischer Kooperationen: Besondere Wachsamkeit ist geboten, wenn Staaten versuchen, durch wirtschaftliche Beteiligungen Zugang zu kritischer Infrastruktur und Technologie zu erlangen.
Fazit: Eine wachsende Herausforderung
Die Bedrohung durch Spionage, Cyberangriffe und Desinformation ist real und wird sich in Zukunft weiter verschärfen. Die klassische Vorstellung von Geheimdiensten als diskrete Akteure im Verborgenen greift zu kurz – moderne Nachrichtendienste operieren offen, aggressiv und mit einer Kombination aus digitalen und traditionellen Methoden. Deutschland muss sich diesen Herausforderungen stellen, um seine politische Unabhängigkeit, wirtschaftliche Stabilität und demokratische Integrität zu sichern.
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