Berücksichtigung ausländischer Vorstrafen bei der Strafzumessung

Bei der dürfen auch rechtskräftige ausländische Vorstrafen berücksichtigt werden, wenn die Tat nach deutschem Recht strafbar wäre – so wie diese auch bei einem eine Rolle spielen können.

Mit der (bisher) gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird dem Nachteil, der durch die fehlende Möglichkeit der nachträglichen Gesamtstrafenbildung mit EU-ausländischen Verurteilungen entsteht, im Rahmen der Strafzumessung regelmäßig durch einen im Ermessen des Tatgerichts stehenden – unbezifferten – Härteausgleich Rechnung getragen.

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Dabei wird es im Ergebnis als ausreichend angesehen, dass das Tatgericht die fehlende Möglichkeit einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung –neben anderen einzustellenden Strafzumessungsfaktoren – als Gesichtspunkt zugunsten des Angeklagten bei der Bemessung der neuen Strafe berücksichtigt. Davon möchte 1. Senat aber nun abrücken (siehe am Ende, „Anfrage beim EUGH“).

Tätigkeiten des Gesetzgebers

Bereits im Jahr 2009 hatte der Gesetzgeber reagiert (siehe dazu die Drucksache 16/13673, diesem Beitrag beigefügt). Damals ging es vordergründig um die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI
über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen, zugleich wurde aber die gegenseitige Anerkennung von Vorstrafen geregelt. Seinerzeit wurde ausgführt (dazu auf Seite 6ff.):

[] Die Umsetzung in § 56g Absatz 2 Satz 1 StGB erfolgt durch Streichung der Wörter „im räumlichen Geltungsbereich die-
ses Gesetzes“. Dadurch wird erreicht, dass auch ausländi-
sche Verurteilungen berücksichtigt werden können, die
allerdings, auch wegen der Fristvorgabe in Absatz 2 Satz 2,
eine der deutschen Rechtskraft entsprechende verfahrens-
abschließende Wirkung entfalten müssen. Zudem muss es
sich um eine Tat handeln, die auch nach deutschem Recht
eine vorsätzliche Straftat wäre. Dies folgt für Aburteilungen
in anderen Mitgliedstaaten der EU bereits daraus, dass der
Rahmenbeschluss nur dazu verpflichtet, solchen Urteilen
eine vergleichbare Wirkung wie inländischen Urteilen zu
verleihen, nicht aber eine über sie hinausgehende.

Strafzumessung nach § 46 Absatz 2 Satz 2 StGB: Im Rahmen der Strafzumessung nach § 46 StGB werden Vorstrafen eines Täters zur Bewertung seines „Vorlebens“ nach § 46 Absatz 2 Satz 2 StGB herangezogen. Ausländische Verurteilungen waren schon bisher nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Kommentarliteratur bei
der Strafzumessung nach § 46 StGB verwertbar (…) Für Vortaten, die in anderen Mitgliedstaaten der EU abgeurteilt wurden, folgt dies nun auch aus dem Gebot rahmenbeschlusskonformer Auslegung. Die für eine Berücksichtigung notwendige Prüfung, ob die Tat auch nach deutschem Recht strafbar wäre, wird durch den Rahmenbeschluss nicht eingeschränkt; ihm entspricht auch die Praxis, die Unmöglichkeit einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung ggf. im Wege des sogenannten Härteausgleichs zu kompensieren

Sind Vorverurteilung zur Bewertung des Vorlebens des Täters im Sinne des § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB relevant, müssen in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union ergangene Verurteilungen grundsätzlich sogar „mit gleichwertigen tatsächlichen bzw. verfahrens- und materiellrechtlichen Wirkungen versehen werden … wie denjenigen, die das innerstaatliche Recht den im Inland ergangenen Verurteilungen zuerkennt“ (siehe dazu Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Nr. 5 der Erwägungsgründe des Rahmenbeschlusses
2008/675/JI des Rates der Europäischen Union vom 24. Juli 2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren).

Dabei ist nicht Voraussetzung, dass es sich um eine nach § 54 BZRG im eingetragene ausländische Vorstrafe handelt (BGH, 5 StR 282/07).

Notwendige Feststellungen in einem Urteil

Allerdings sind die Anforderungen an ein Urteil recht hoch. Denn die Verwertbarkeit einer ausländischen Verurteilung in einem in
Deutschland geführten Strafverfahren zum Nachteil des Beschuldigten setzt mit dem BGH grundsätzlich voraus, dass diese – würde es sich um eine Verurteilung nach deutschem Recht handeln – nicht tilgungsreif wäre:

Dies ergibt sich für im Bundeszentralregister eingetragene ausländische Verurteilungen aus §§ 51 Abs. 1, 56 Abs. 1 Satz 1 BZRG (gegebenenfalls in Verbindung mit § 63 Abs. 4 BZRG), gilt aber auch für dort nicht eingetragene ausländische Vorstrafen. Grundlage hierfür ist § 58 BZRG, nach dem eine ausländische Verurteilung, auch wenn sie nicht in das Bundeszentralregister eingetragen ist, als tilgungsreif gilt, sobald eine ihr vergleichbare Verurteilung im Geltungsbereich des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister tilgungsreif wäre. Liegt eine solche Tilgungsreife vor, besteht – schon nach dem Willen des Gesetzgebers – das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG (gegebenenfalls in Verbindung mit § 63 Abs. 4 BZRG); denn tilgungsreife „ausländische Verurteilungen [können] nicht in größerem Umfang zu seinem Nachteil berücksichtigt werden als entsprechende deutsche Bestrafungen“ …

Dies entspricht auch dem Rahmenbeschluss 2008/675/JI des Rates der Europäischen Union vom 24. Juli 2008, der – etwa in Art. 3 Abs. 1 – darauf verweist, dass in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union ergangene frühere Verurteilungen im Strafverfahren „mit gleichwertigen Rechtswirkungen versehen werden wie im Inland ergangene frühere Verurteilungen“

BGH, 4 StR 425/11

Kommt dann bei einer dem Tatrichter bekannt gewordenen, von ihm
zum Nachteil des Beschuldigten berücksichtigungsfähigen ausländischen Vorstrafe in Betracht, dass diese – würde es sich um eine deutsche Verurteilung handeln – im Falle ihrer Eintragung im Bundeszentralregister tilgungsreif wäre (ohne dass eine Ausnahmeregelung – etwa die in § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG – eingreift), muss er die für die Tilgungsreife erforderlichen Feststellungen treffen und bewerten (so nun ausdrücklich BGH, 4 StR 425/11, was erhebliche Mehrarbeit für Richter bedeutet).

Nichtberücksichtigung von Vorstrafen als Erörterungsmangel

Der BGH hebt an derer Stelle hervor, dass ein Urteil (zum Vorteil des Angeklagten) einen Erörterungsmangel aufweist, wenn ausländische Vorverurteilungen des Angeklagten nicht – hier: zur Feststellung des Umfangs des Erziehungsbedarfs – berücksichtigt werden:

Dabei müssen in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union ergangene verwertbare (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Januar 2021 ‒ 6 StR 399/20, NStZ 2021, 319 f.) Verurteilungen grundsätzlich sogar
mit gleichwertigen tatsächlichen bzw. verfahrens- und materiell-rechtlichen Wirkungen versehen werden, wie denjenigen, die das innerstaatliche Recht den im Inland ergangenen Verurteilungen zuerkennt (vgl. Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Nr. 5 der Erwägungsgründe des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI des Rates der Europäischen Union vom 24. Juli 2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren, ABlEU L 220, 32, 34; BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2011 ‒ 4 StR 425/11, NStZ-RR 2012, 305; BT-Drucks. 16/13673, S. 4 f.; LK-StGB/Schneider, 13. Aufl., § 46 Rn. 155).

Die Vorverurteilungen können im Zusammenhang mit der Persönlichkeit und der Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten stehen, die in diesen Taten zum Ausdruck kommt. Durch die ausschließliche Berücksichtigung der Straffreiheit des Angeklagten in Deutschland hat sich die Jugendkammer den Blick auf einen möglicherweise erheblich umfangreicheren Erziehungsbedarf des Angeklagten verstellt.

BGH, 2 StR 174/21

Anfrage des BGH beim EUGH zur Berücksichtigung

Im Jahr 2022 hat der BGH (1 StR 130/22) sich an den EUGH gewendet mit der Frage

Ist die nach Artikel 3 Abs. 5 Satz 2 des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI vorgesehene Berücksichtigung der EU-ausländischen Strafe in der Weise vorzunehmen, dass der aus der fehlenden Möglichkeit der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe resultierende Nachteil – entsprechend den Grundsätzen der Gesamtstrafenbildung nach deutschem Recht – bei der Be- messung der Strafe für die inländische Straftat konkret auszu- weisen und zu begründen ist?

Dabei führt der BGH in der Begründung aus, dass aus seiner Sicht die bisherige Rechtsprechung der Lösung über einen Härteausgleich den Regelungen der §§ 54, 55 StGB und den Vorschriften des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI nicht in ausreichendem Maße Rechnung trägt. Denn es besteht die Gefahr, so der BGH, dass sich der Härteausgleich in einer bloßen Leerformel erschöpft!

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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