Mit Urteil vom 1. Dezember 2022 (Az. I ZR 144/21 – „Wegfall der Wiederholungsgefahr III“) hat der Bundesgerichtshof (BGH) seine bisherige Rechtsprechung zur Wiederholungsgefahr bei Markenverletzungen präzisiert und fortentwickelt. Zentrale Aussage: Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung führt nur dann zum Wegfall der Wiederholungsgefahr, wenn sie vom Gläubiger angenommen wird – oder zumindest bis zur Annahme bindend bleibt. Lehnt der Gläubiger die Erklärung ab, bleibt die Wiederholungsgefahr bestehen. Das Urteil hat weitreichende Bedeutung für die Praxis des gewerblichen Rechtsschutzes und die Abwehr künftiger Unterlassungsansprüche.
Sachverhalt
Die Klägerin – ein deutscher Automobilhersteller – ist Inhaberin eingetragener Unionsmarken für das Zeichen „AUDI“. Die Beklagte vertreibt über eine Online-Plattform Türlichter, die beim Öffnen von Fahrzeugtüren ein Lichtbild mit dem Audi-Schriftzug und –Logo projizieren. Bereits 2016 hatten die Parteien wegen eines gleichartigen Verstoßes eine Unterlassungserklärung vereinbart. Nach erneutem Vertrieb solcher Produkte im Jahr 2019 mahnte die Klägerin ab und forderte eine bezifferte Vertragsstrafe. Die Beklagten gaben erneut eine Unterlassungserklärung ab – diesmal wieder nach „Hamburger Brauch“, also ohne konkrete Bezifferung der Vertragsstrafe. Die Klägerin lehnte diese Erklärung ab.
Streitpunkt: War die Wiederholungsgefahr trotzdem entfallen – oder bestand sie mangels wirksamer Vertragsbindung fort?
Rechtliche Analyse
1. Entfallen der Wiederholungsgefahr nur bei wirksamer Bindung
Der BGH stellte klar, dass die Wiederholungsgefahr grundsätzlich nur entfällt, wenn der Schuldner eine strafbewehrte Unterlassungserklärung bindend und ernsthaft abgibt. Zwar genügt grundsätzlich bereits der Zugang einer einseitigen Erklärung, doch: Wird die Annahme dieser Erklärung durch den Gläubiger abgelehnt, fehlt es an der verhaltenssteuernden Abschreckungswirkung.
Im Streitfall war die Erklärung der Beklagten nicht mehr bindend, da sie von der Klägerin zurückgewiesen wurde. Es lag somit kein wirksames Vertragsverhältnis vor, das eine Vertragsstrafe begründen konnte – und damit auch kein Anlass, die Wiederholungsgefahr als entfallen anzusehen.
2. Hamburger Brauch als taugliches Sanktionsinstrument
Der BGH stellt zugleich klar, dass der sog. „Hamburger Brauch“ – also die Vereinbarung einer Vertragsstrafe nach billigem Ermessen mit gerichtlicher Nachprüfbarkeit – grundsätzlich geeignet ist, Wiederholungsgefahr zu beseitigen. Es sei nicht erforderlich, eine Mindeststrafe festzulegen. Die offene Bemessung biete sogar besondere Abschreckungswirkung, da sie im Wiederholungsfall hohe Strafzahlungen ermögliche.
Die Richter distanzieren sich damit von Auffassungen, die den „Hamburger Brauch“ für zu unbestimmt hielten und eine Mindestsanktion forderten. Entscheidend ist, dass der Schuldner im Wiederholungsfall empfindlich sanktioniert werden kann.
3. Abgrenzung: Wiederholungsgefahr vs. Vertragsbindung
In einem differenzierenden Argumentationsgang hebt der Senat hervor, dass Wiederholungsgefahr und Vertragsbindung strikt zu trennen sind: Während der Zugang einer strafbewehrten Erklärung zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr genügt (sofern bindend), entsteht eine Vertragsstrafepflicht erst mit Annahme der Erklärung. Wird diese abgelehnt, besteht keine Vertragsbindung – und damit fehlt es auch an der notwendigen Abschreckung, die zur Verneinung der Wiederholungsgefahr erforderlich wäre.
Diese Dogmatik hat weitreichende Auswirkungen, etwa im Hinblick auf mögliche Drittunterwerfungen oder Strategien im Rahmen von Abmahnverfahren.
Argumentation des BGH zur Bindungswirkung der strafbewehrten Unterlassungserklärung
In seiner Entscheidung nimmt der Bundesgerichtshof eine dogmatisch differenzierte Stellung zur Frage ein, wann eine strafbewehrte Unterlassungserklärung geeignet ist, die Wiederholungsgefahr im Sinne eines Unterlassungsanspruchs entfallen zu lassen.
Der entscheidende Punkt liegt in der Trennung zwischen vertraglicher Bindung und materiell-rechtlicher Wirkung der Erklärung. Insbesondere äußert sich der Senat zur Frage, wann unbillige Ergebnisse vermieden werden können, obwohl der Wegfall der Wiederholungsgefahr vom Willensakt des Gläubigers abhängig gemacht wird. Die nachfolgende Analyse beleuchtet die Begründungsstruktur des BGH in juristischer Tiefe.
1. Grundsatz: Zugang genügt – unter bestimmten Voraussetzungen
Der BGH bestätigt zunächst den etablierten Grundsatz: Für den Wegfall der Wiederholungsgefahr genügt grundsätzlich der Zugang einer einseitig vom Schuldner abgegebenen strafbewehrten Unterlassungserklärung (Rn. 35). Dies folgt aus der ständigen Rechtsprechung (z. B. GRUR 1982, 688 – „Senioren-Paß“), nach der die Wiederholungsgefahr eine tatsächliche Vermutung ist, die durch eine hinreichend ernste und verbindliche Erklärung ausgeräumt werden kann.
Allerdings differenziert der BGH ausdrücklich: Die bloße Abgabe genügt nur dann, wenn sie sich als Ausdruck eines ernsthaften Unterlassungswillens darstellt. Voraussetzung dafür ist insbesondere, dass die Erklärung bis zu ihrer Annahme oder Ablehnung bindend bleibt (Rn. 38). Andernfalls fehlt es an der für den Wegfall der Wiederholungsgefahr erforderlichen Abschreckungswirkung, die gerade durch die konkrete Androhung einer Vertragsstrafe vermittelt wird ➡ Kernaussage: Der Zugang allein reicht nicht per se – er muss mit einer wirksamen, d. h. annahmefähigen und bindenden Erklärung verbunden sein.
2. Ablehnung der Erklärung: Wiederholungsgefahr bleibt bestehen
Lehnt der Gläubiger die strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, fehlt es nach Auffassung des BGH an der verhaltenssteuernden Wirkung, die für den Wegfall der Wiederholungsgefahr erforderlich ist (Rn. 39). Dies bedeutet:
- Es entsteht kein Vertragsverhältnis.
- Der Schuldner ist nicht sanktionierbar.
- Die Gefahr der Wiederholung ist nicht effektiv gebannt.
Der BGH hebt damit seine frühere Rechtsprechung (z. B. GRUR 1990, 1051 – „Vertragsstrafe ohne Obergrenze“) ausdrücklich auf, wonach auch eine abgelehnte Erklärung Wiederholungsgefahr beseitigen konnte ➡ Dogmatische Folge: Nur eine Erklärung, die den Gläubiger rechtlich in die Lage versetzt, jederzeit durch Annahme eine Vertragsstrafeverpflichtung zu begründen, ist geeignet, Wiederholungsgefahr auszuschließen.
3. Gefahr unbilliger Ergebnisse?
Indem der Wegfall der Wiederholungsgefahr von einem Willensakt des Gläubigers abhängt (Annahme der Erklärung oder deren Nicht-Ablehnung), könnte es – so ein möglicher Einwand – zu unbilligen Ergebnissen kommen. Etwa, wenn:
- ein Gläubiger strategisch die Annahme verweigert,
- ein Schuldner durch Mehrfachabmahnungen von Drittgläubigern belastet wird,
- die Unsicherheit darüber besteht, ob und wann die Gefahr der Wiederholung tatsächlich entfallen ist.
Der BGH nimmt diese Einwände ernst – begegnet ihnen aber durch prozedurale Differenzierungen:
a) Sofortiges Anerkenntnis nach § 93 ZPO
Der Schuldner kann im Prozess ein sofortiges Anerkenntnis abgeben und sich so der Kostenlast entziehen, wenn er rechtzeitig und wirksam unterworfen war (Rn. 44). Dies verhindert eine Kostenfalle bei objektiv vorhandener Redlichkeit.
b) Drittunterwerfung als Schutz vor Mehrfachabmahnungen
Der Schuldner kann sich einem Drittgläubiger unterwerfen, wenn der Erstgläubiger die Annahme verweigert hat (Rn. 45). Eine solche Drittunterwerfung wird regelmäßig als ernsthaft angesehen, wenn sie aus erkennbar schutzwürdigem Interesse erfolgt. So wird eine kettenartige Abmahnungssituation entschärft ➡ Dogmatischer Clou: Der BGH schützt den Schuldner nicht durch die automatische Wirkung seiner Erklärung, sondern durch die prozedurale Steuerung von Kosten- und Prozessrisiken.
Der BGH differenziert am Ende scharf zwischen der Erklärung und der Annahme einer Unterlassungsverpflichtung – und verlangt echte Bindungswirkung für die Beseitigung der Wiederholungsgefahr. Damit erhalten Rechteinhaber mehr Sicherheit in der Verfolgung künftiger Verstöße, während potenzielle Verletzer angehalten sind, in ihren Reaktionen rechtlich tragfähige, ernst gemeinte Erklärungen abzugeben. Wer nur halbherzig unterlässt, unterliegt.
Fazit
Mit seiner Entscheidung stärkt der BGH die formale Konsistenz und Schutzwirkung markenrechtlicher Unterlassungsverpflichtungen. Es genügt nicht, eine Unterlassungserklärung abzugeben – sie muss auch bindend und potenziell annahmefähig sein, damit sie die Wiederholungsgefahr beseitigt. Die Ablehnung durch den Gläubiger lässt diese Wirkung entfallen. Zugleich stärkt der BGH den „Hamburger Brauch“ als legitimes Mittel, Wiederholungen effektiv zu sanktionieren – und bekräftigt damit seine praktische Relevanz im Wettbewerbs- und Markenrecht.
Mit bemerkenswerter dogmatischer Klarheit zeigt der BGH dabei auf, dass die Wiederholungsgefahr nur durch rechtlich wirksame, bindende und sanktionsfähige Erklärungen beseitigt werden kann. Die Entscheidung betont das Spannungsverhältnis zwischen Autonomie der Erklärung und Effektivität der Sanktion – und löst es durch eine kluge Verschränkung von materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Elementen. Der Maßstab ist: Abschreckung, Bindung und Ernsthaftigkeit – und nicht bloße Absichtsbekundung.
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