Wenn Jugendliche zu Auftragskillern werden: Die dunkle Realität des „Violence-as-a-Service“

Digital organisierte Teenager-Auftragskiller unter uns? Europa, Australien – und mittendrin: Kinder und Jugendliche, die über soziale Netzwerke zu Mördern gemacht werden. Ein aktueller Schlag gegen die organisierten Strukturen hinter diesen Taten zieht sich quer durch Kontinente und zeigt, wie tiefgreifend Kriminalität sich digitalisiert hat – eine Entwicklung, die sich zunehmend auch für geopolitische Zwecke instrumentalisieren lässt. Es klingt wie ein Krimi, doch schrecken derzeit immer mehr Meldunden dazu auf.

Von Skandinavien bis Australien: Ein globales Netzwerk aus Gewalt und Anonymität

Erst im Juni 2025 meldete Europol, dass Dänemark und Schweden im Verbund mit der neuen Taskforce „GRIMM“ etliche mutmaßliche Drahtzieher und Mittelsmänner festgenommen haben. Jugendliche wurden über verschlüsselte Plattformen wie Telegram angeworben, um in Wohnhäuser einzudringen und gezielt Menschen zu töten. Der Fall Kokkedal in Dänemark, bei dem Minderjährige mit Waffen ausgestattet und in sichere Verstecke geführt wurden, markiert nur die Spitze des Eisbergs.

Parallel dazu schlugen australische Behörden im April 2025 zu: Ein 15-Jähriger wurde in Sydney verhaftet. Er soll aus der Ferne Morde in Dänemark und Schweden organisiert haben. Die internationalen Ermittlungen zeigen, dass geografische Grenzen längst keine Rolle mehr spielen, wenn Mordaufträge über Messenger und Gaming-Plattformen gehandelt werden.

Rechtsanwalt Jens Ferner, TOP-Strafverteidiger und IT-Rechts-Experte - Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für IT-Recht

Herausforderung der „Dienstleistung Gewalt“

Ob man es „Violence-as-a-Service“ oder „Uberisierung des Verbrechens“ nennt – die neue, digital organisierte Gewalt ist ein Symptom unserer vernetzten Gegenwart. Sie bedroht nicht nur die innere Sicherheit westlicher Staaten, sondern wird zunehmend Teil geopolitischer Machtspiele. Ein wirksamer Schutz setzt voraus, dass Strafverfolgung, Technikunternehmen und Gesellschaft zusammenarbeiten – und dass wir nicht wegsehen, wenn Kinder plötzlich zu Werkzeugen eines globalen Gewaltmarktes werden. Hinweis: Mit Blick auf die digitale Organisation der Delikte fand ich es thematisch hier im Cybercrime-Blog thematisch passend.

Das Muster wiederholt sich: Frankreich und Deutschland im Fokus

In Frankreich wurde im Frühjahr ein 18-Jähriger über Telegram als Auftragsmörder angeworben – er sollte in Lyon einen Drogenumschlagplatz „absichern“. Nach wenigen Stunden war er selbst tot, erschossen bei einem Vergeltungsschlag, der wiederum live auf Snapchat kursierte. Das Phänomen findet bei LeMonde schon einen Namen: „Die Uberisierung des Verbrechens“. Keine festen Banden mehr, sondern lose, digital vernetzte Gruppen, die für Geld jeden Auftrag ausführen.

Auch in Deutschland gibt es erschreckende Parallelen: In Hamburg nahm die Polizei einen jungen Mann fest, der mutmaßlich in der sadistischen „764“-Szene aktiv war. Diese Community nutzt Telegram und Discord, um psychisch labile Minderjährige zu Misshandlungen, Erpressung und sogar Suizid zu treiben – eine Form digitaler Gewalt, die so perfide organisiert ist, dass selbst Europol eindringlich davor warnt. Aus der Pressemitteilung zu diesem Vorgang:

Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, im Alter von 16 bis 19 Jahren mehr als 120 Straftaten, insbesondere solche, die sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung richten, über das Internet zum Nachteil von insgesamt acht kindlichen bzw. jugendlichen Geschädigten begangen zu haben. Zwischen 2021 und 2023 soll er als relevantes Mitglied einer weltweit agierenden Internetcommunity namens “764” besonders vulnerable Geschädigte in sozialen Medien emotional von sich abhängig gemacht haben, um die von ihm initiierte starke Verbundenheit für strafrelevante Zwecke, so u.a. für die Erstellung kinder- und jugendpornografischer Aufnahmen, auszunutzen.

Um den Ansinnen des Beschuldigten nach immer heftiger werdenden Inhalten nachzukommen, verletzten sich die Geschädigten in Livechats unter den Augen der Community massiv selbst, übten sexuelle Handlungen an sich aus und fügten sich stark blutende sog. Cutsigns am eigenen Körper zu. Hiervon soll der Beschuldigte Aufzeichnungen gefertigt haben, um den Geschädigten anschließend mit deren Veröffentlichung zu drohen, sollten diese sich nicht noch massivere Selbstverletzungen vor laufender Kamera zufügen.

In einem Fall soll der Beschuldigte über eine kindliche Geschädigte auf einen psychisch labilen 13-jährigen Jungen dergestalt eingewirkt haben, dass dieser sich aufforderungsgemäß erhängte und seinen “Suizid” hierbei live im Internet streamte.

Digitale Gewalt als geopolitisches Werkzeug

Was all diese Fälle verbindet, ist nicht nur die Radikalisierung durch soziale Medien, sondern auch die Erkenntnis, dass solche Strukturen sich leicht politisch instrumentalisieren lassen. Experten warnen schon länger, dass autokratische Staaten – insbesondere Russland – informelle Netzwerke aus „Wegwerf-Agenten“ unterhalten, die für gezielte Attentate, Destabilisierungsaktionen oder hybride Angriffe genutzt werden können. Die Logik dahinter ist brutal: Man setzt auf billige, anonyme Vollstrecker, die im Ernstfall geopfert werden können.

Insoweit ist zu sehen, dass es juristisch recht simpel ist: Wer sich auch nur bereit erklärt, ein Tötungsdelikt zu begehen oder im Vorstadium dazu behilflich ist, macht sich strafbar (§§30, 130a StGB) und wer Plattformen zu diesem Zweck bereithält ebenso. Fernab des juristischen muss die Gefahr für eine Gesellschaft gesehen werden, wenn abgehängte Jugendliche – noch über die dystopische Darstellung in “Clockwork Orange” von Burgess hinaus – unter geopolitischen Spannungen Gesellschaften durch organisierte Tötungsdelikte in Ihrem Bestand gefährden können. Effektive Strafverfolgung ist ein wichtiges Breitschwert in dem Kontext, doch die gesellschaftspolitische Aufgabe darf darüber nicht aus dem Fokus geraten.

Prävention bleibt die Achillesferse

Die Ermittler betonen, wie wichtig die Kooperation mit Plattformbetreibern ist. Doch Telegram, Discord & Co. handeln oft nur zögerlich – trotz teils deutlicher Warnungen. Während die Sicherheitsbehörden länderübergreifend Druck machen und Verfahren bündeln, bleibt es Aufgabe der Zivilgesellschaft, wachsam zu sein, wie auch das BKA zu Recht anspricht. Frühwarnzeichen wie plötzlicher Geldbesitz, geheime Kommunikationskanäle oder auffälliger Konsum gewaltverherrlichender Inhalte dürfen nicht ignoriert werden.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen und im Einzelfall Fälle im Arbeitsrecht übernommen!
Rechtsanwalt Jens Ferner

Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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