Mit Urteil vom 20. März 2025 (Az. III ZR 261/23) hat der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt, unter welchen Voraussetzungen sich ein Unternehmer beim Vertrieb komplexer Finanzprodukte auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen kann. Das Urteil berührt zentrale Fragen der Managerhaftung, insbesondere in Bezug auf die Reichweite von Sorgfaltspflichten im Vorfeld erlaubnispflichtiger Geschäfte nach dem Kreditwesengesetz (KWG). Es markiert einen wichtigen Eckpunkt zur strafrechtlichen und deliktsrechtlichen Zurechnung im Spannungsfeld zwischen unternehmerischem Gestaltungswillen und regulatorischer Compliance.
Sachverhalt
Der beklagte Unternehmer warb über Jahre hinweg Kapital von Anlegern ein, das in Immobiliengeschäfte fließen sollte. Die Rückzahlung des Kapitals nebst Rendite sollte durch Verkaufserlöse erfolgen – ein Modell, das nach Auffassung der BaFin möglicherweise den Tatbestand unerlaubter Einlagengeschäfte i.S.d. § 32 Abs. 1 KWG erfüllte. Im Zuge staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen beauftragte der Unternehmer einen auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisierten Rechtsanwalt mit der Ausarbeitung eines neuen Anlagemodells. Das Ziel: rechtssicheres, erlaubnisfreies Handeln. Der Anwalt entwickelte daraufhin ein Konzept auf Basis von Nachrangdarlehen, entwarf Vertragswerke und Anlegerinformationen.
Trotz dieser Neustrukturierung wurde der Unternehmer zivilrechtlich auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Die Vorinstanzen bejahten seine Haftung und verneinten einen unvermeidbaren Verbotsirrtum – mit der Begründung, der Beklagte hätte sich nicht allein auf anwaltliche Beratung verlassen dürfen.
Rechtliche Würdigung
§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 32 KWG – deliktischer Maßstab
Im Zentrum der Entscheidung steht die Frage, ob dem Beklagten ein Verschulden i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB anzulasten war. Die Vorschrift knüpft an die Verletzung eines Schutzgesetzes – hier § 32 KWG – an und erfordert zusätzlich ein schuldhaftes Verhalten. Der BGH verneint das Verschulden unter Berufung auf § 17 Satz 1 StGB, der auch im Deliktsrecht analog zur Anwendung kommt: Danach entfällt die Schuld, wenn der Täter einen Verbotsirrtum trotz gebotener Sorgfalt nicht vermeiden konnte.
Maßstab für Unvermeidbarkeit
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist ein Verbotsirrtum nur dann „unvermeidbar“, wenn der Handelnde bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt und Einholung qualifizierten Rechtsrats zu der irrigen Annahme gelangt, sein Handeln sei rechtmäßig. Maßgeblich ist hierbei nicht nur, dass ein Anwalt konsultiert wurde, sondern wie qualifiziert, tiefgreifend und plausibel dessen Auskunft war.
Der Unternehmer hatte seinen Anwalt nicht nur formell eingebunden, sondern dessen Tätigkeit basierte auf einer umfassenden Prüfung: Allein für die rechtliche Bewertung hatte dieser über 20 Stunden in Recherche investiert, Vertragsmaterialien erstellt und sich aktiv mit der BaFin-konformen Ausgestaltung des Modells befasst. Entscheidend: Der Anwalt war gleichzeitig Strafverteidiger in dem gegen den Unternehmer geführten Verfahren – er kannte also die strafrechtlichen Risiken im Detail.
Kein Blindflug – sondern delegierte Fachverantwortung
Der BGH erkennt hierin zurecht keine „blinde“ Delegation, sondern eine dem Risikoprofil angemessene Delegation der Rechtsprüfungspflicht auf einen entsprechend qualifizierten Experten. Insbesondere stellt der Senat klar, dass der Beklagte mangels gegenteiliger Hinweise nicht gehalten war, die BaFin parallel einzuschalten – ein oft geforderter „Letztsicherungsmechanismus“, der aber im vorliegenden Fall durch die Einschätzung der Staatsanwaltschaft ersetzt wurde, welche von einer strafbaren Fortführung abgesehen hatte.
Der Senat grenzt dabei die Schwelle zur groben Fahrlässigkeit ab: Ein Verhalten ist nicht mehr sorgfaltsgerecht, wenn es den Maßstab eines gewissenhaften Unternehmers eindeutig unterschreitet. Die konkrete Konstellation erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Vielmehr sei ein Unternehmer grundsätzlich berechtigt, sich auf kompetenten Rechtsrat zu verlassen – auch ohne eigenständige juristische Kontrolle, sofern keine entgegenstehenden Anzeichen vorliegen.
Bewertung im Kontext der Managerhaftung
Das Urteil hat eine entlastende Wirkung für Organverantwortliche in Unternehmen, die mit rechtlich komplexen Geschäftsmodellen operieren. Es betont, dass sich Geschäftsführer und Vorstände – bei sorgfältiger Auswahl und Einbindung externer Rechtsberater – nicht der ständigen Gefahr persönlich haftungsauslösender Irrtümer aussetzen müssen.
Gleichwohl darf das Urteil nicht missverstanden werden: Es begründet keinen Freibrief zur „Beratungsimmunität“. Entscheidend bleibt, dass die Auswahl des Beraters, die Tiefe der Analyse sowie die konkreten Umstände des Einzelfalls eine plausible und nachvollziehbare Irrtumslage begründen. Im Zweifel muss dokumentiert und begründet werden, warum der Geschäftsleiter den erhaltenen Rechtsrat als tragfähig ansehen durfte.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zeigt eindrucksvoll, dass sich frühzeitige und qualifizierte anwaltliche Beratung nicht nur auszahlt – sie kann im Ernstfall den entscheidenden Unterschied machen. Auch wenn Gerichte im Nachhinein zu einer anderen rechtlichen Bewertung gelangen, schützt eine fundierte anwaltliche Einschätzung unter Umständen vor dem Vorwurf schuldhaften Handelns. Wer frühzeitig rechtlichen Rat einholt, dokumentiert nicht nur seine Sorgfalt, sondern schafft im besten Fall auch eine tragfähige Grundlage für die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums. Gerade im Wirtschafts- und Finanzstrafrecht, wo viele Normen komplex und interpretationsbedürftig sind, ist das ein elementarer Schutzmechanismus – sowohl strafrechtlich als auch haftungsrechtlich.
Fazit
Die Quintessenz der Entscheidung liegt in der Stärkung des Vertrauens auf fachanwaltliche Beratung bei rechtlich umstrittenen Geschäftsmodellen. Der BGH zieht eine klare Linie zwischen bloßer Unkenntnis und tatsächlich nicht vermeidbarem Irrtum. Die Entscheidung liefert insbesondere für Compliance-Praxis und Legal Risk Management in Unternehmen wichtige Leitplanken: Wer systematisch, sachgerecht und dokumentiert externen Rat einholt, bewegt sich nicht im strafrechtlichen oder deliktsrechtlichen Blindflug. Es ist ein Votum für rechtskonformes Vertrauen – aber auch ein Appell an professionelle Sorgfalt bei der Beratung und ihrer Umsetzung.
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