Das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 26.11.2024 (Az. 10 U 94/24) ist eine lehrreiche Entscheidung zur verfahrensrechtlichen Sprengkraft des selbstständigen Beweisverfahrens. Es mahnt zur Sorgfalt bei der strategischen Verknüpfung von Beweisverfahren und Hauptsacheklage – insbesondere, wenn es um die Kostenlast und deren Anfechtbarkeit geht. Die Entscheidung offenbart nicht nur, was prozessual schiefgehen kann, sondern auch, warum der Versuch, die Kostenfrage durch ein Feststellungsbegehren neu aufzurollen, in sich zusammenfiel.
Sachverhalt
Die Klägerin hatte bei der Beklagten einen Dreiseitenkipper erworben, der sich als mangelhaft erwies. Sie leitete ein selbstständiges Beweisverfahren ein, um die Mängel zu dokumentieren. Nach Vorlage eines Sachverständigengutachtens trat sie vom Kaufvertrag zurück – die Beklagte akzeptierte die Rückabwicklung außergerichtlich. Damit war die eigentliche Sachfrage erledigt, nicht jedoch die Kostentragung.
In der Folge erhob die Klägerin dennoch Klage, unter anderem auf Ersatz der Kosten des Beweisverfahrens und weiterer Schadenspositionen. Diese weitergehenden Ansprüche nahm sie später zurück. Übrig blieb eine Feststellungsklage, gerichtet auf die Verpflichtung der Beklagten zur Mängelbeseitigung – und in deren Folge zur Tragung der Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens. Die Beklagte erkannte die Verpflichtung zur Mängelbeseitigung an, nicht jedoch zur Kostentragung. Das Landgericht sprach das Anerkenntnis aus, legte jedoch sämtliche Kosten der Klägerin auf. Dagegen legte sie Berufung ein – mit dem Ziel, die Kostentragung zu korrigieren.
Juristische Bewertung durch das OLG Stuttgart
1. Verkennung der Rechtsmittelstruktur: § 99 Abs. 1 ZPO
Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig, weil sie faktisch allein auf die Korrektur der Kostenentscheidung zielte. Eine solche isolierte Anfechtung ist gem. § 99 Abs. 1 ZPO nicht statthaft. Dieser Grundsatz soll verhindern, dass Kostenentscheidungen losgelöst von der Hauptsache überprüft werden. Da die Klägerin nur noch die prozessuale Kostenlast verschieben wollte, war die Berufung formell ein Rechtsmittel in der Hauptsache, materiell jedoch ein getarnter Angriff gegen den Kostenspruch – ein unzulässiger Umgehungsversuch.
2. Kein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch
Die Klägerin argumentierte, ihr stünde zusätzlich ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch zu. Das OLG lehnt dies ab: Solche Ansprüche sind nur ausnahmsweise neben prozessualen Kostenerstattungsansprüchen zulässig – nämlich dann, wenn das Prozessrecht keine befriedigende Regelung bietet. Das war hier nicht der Fall. Die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens wurden im Erkenntnisverfahren zum Teil in den Streit eingeführt; es gab also eine hinreichende prozessuale Regelungsmöglichkeit im Kostenpunkt.
3. Kein Rechtsschutzinteresse für Feststellung
Das OLG erkennt, dass die Klägerin den Feststellungsantrag offensichtlich nur gestellt hatte, um über diesen Umweg doch noch die Kostentragung zu klären. Dieses Vorgehen wertet der Senat als Rechtsmissbrauch: Das Begehren sei eine „bloße Maske“, um § 99 ZPO zu umgehen. In solchen Fällen fehlt es am Rechtsschutzinteresse, weil kein unabhängiges Interesse an der Feststellung selbst mehr besteht.
4. Keine Umdeutung als sofortige Beschwerde
Das Gericht prüfte noch, ob das als Berufung eingelegte Rechtsmittel zumindest als sofortige Beschwerde hätte gewertet werden können (vgl. § 99 Abs. 2 ZPO oder § 269 Abs. 5 ZPO). Doch selbst das scheiterte – die zweiwöchige Frist war bei Einreichung der Berufung bereits verstrichen. Damit war die Kostenentscheidung des Landgerichts unanfechtbar.
Was ist schiefgelaufen – und wie wäre es richtig gewesen?
Der Fehler: Die Klägerin verwechselte die Reichweite des selbstständigen Beweisverfahrens mit einem Freifahrtschein für einen späteren strategischen „Kostenprozess“. Sie unterschätzte, dass mit Einleitung des Erkenntnisverfahrens – und der (auch nur teilweisen) materiellen Anspruchsverfolgung – die Weichen für die Kostenverteilung gestellt waren. Der Versuch, durch Rücknahme der Klagepositionen den Streit „einzuschränken“ und dann über eine Feststellung erneut die Kostentragung zu beeinflussen, wurde vom OLG als durchschaubarer Trick bewertet.
Der richtige Weg wäre gewesen:
- Klare Prozessstrategie: Wenn die Beweissicherung der Vorbereitung eines Rechtsstreits dient, muss der Bezug zur Hauptsache transparent und durchgängig bleiben.
- Rechtsmittelklarheit: Wer eine Kostenentscheidung angreifen will, muss entweder sofortige Beschwerde einlegen – oder ein echtes Sachinteresse in der Hauptsache beibehalten.
- Keine „maskierten Klagen“: Wenn der wirtschaftliche Wert allein im Kostenaspekt liegt, darf kein Umweg über scheinbar materiell-rechtliche Feststellungsbegehren gewählt werden.
Schlussbetrachtung
Die Konklusion aus dieser Entscheidung lautet: Wer die prozessuale Kostenverteilung nach einem selbstständigen Beweisverfahren anfechten will, muss die Spielregeln der ZPO exakt beachten. Das selbstständige Beweisverfahren ist kein taktischer Spielball, sondern Teil einer rechtlich klar strukturierten Prozessarchitektur. Wird diese missachtet, kann das – wie hier – zur völligen Kostenlast führen. Ein Lehrstück in Zivilprozessrecht an unerwarteter Stelle – und eine Mahnung an alle, die die Grenzen zwischen materieller Anspruchsverfolgung und Kostenrhetorik zu kreativ ziehen möchten.
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