Kann die Erstellung wissenschaftlicher Gutachten zur Strafbarkeit führen? Die Frage beschäftigt mich – und sicherlich auch den ein oder anderen Wissenschaftler – derzeit wegen Ermittlungsmaßnahmen gegenüber einem Universitätsprofessor. Die Erstellung von (rechts-)wissenschaftlichen Gutachten ist dabei in gut dotierten Strafverteidigungen ein probates Mittel zum präventiven Umgang mit Ermittlungen, speziell für Geschäftsführer.
Hintergrund: Aktuelle Durchsuchung bei Universitätsprofessor
Im Rahmen der Ermittlungen zum Cum-Ex-Steuerskandal hat die Staatsanwaltschaft Köln laut Tagesschau-Bericht die Büroräume eines renommierten Universitätsprofessors durchsucht, der einst Gutachten zu den umstrittenen Aktiengeschäften verfasst hatte. Der Verdacht: Seine Rechtsgutachten könnten dazu beigetragen haben, dass Milliardensummen an Steuern unrechtmäßig erstattet wurden, obwohl sie nie gezahlt worden waren.
Während der Professor beteuert, damals von der Rechtmäßigkeit der Modelle ausgegangen zu sein, prüfen die Ermittler nun, ob er bewusst Gefälligkeitsgutachten erstellt hat, um die Steuertricks der Akteure zu legitimieren. Der Fall wirft damit grundsätzliche Fragen zur Verantwortung wissenschaftlicher Expertise in wirtschaftskriminellen Kontexten auf.
Auf die richtige Reihenfolge in der Prüfung achten!
Es ist äußerst verlockend, sich direkt auf das Verhältnis von Strafbarkeit zu wissenschaftlicher Freiheit zu stürzen. Gerade dieser „intellektuelle Honeypot“ aber kann den Blick versperren – tatsächlich ergeben sich schon vorher erhebliche Probleme.
So ist als Erstes sauber zu differenzieren, wo genau die Beihilfehandlung mit dem hierbei vorliegenden doppelten Gehilfenvorsatz liegen soll. Die Frage für wen, in welchem Verhältnis und zu welchem Zeitpunkt ein solches Gutachten erstellt wird, ist dabei essenziell – der kurze Tagesschau-Bericht bietet hier zu wenig Informationen. Eine kurze Übersicht soll das anreissen:
- Wenn weit im Vorfeld für eine Kanzlei ein Gutachten erstellt wird, das dann als Grundlage eines „Beratungs-Geschäftsmodells“ zur Irreführung beratener Mandanten dient, kann dies eine Beihilfe sein – wenn der Gutachtenersteller nachweislich das Gutachten so geschrieben hat, dass Menschen damit getäuscht wurden.
- Im vorliegenden Fall der Cum-Ex-Verfolgungen würde dies aber zu dem absurden Ergebnis führen, dass die Kunden dieser Kanzlei am Ende arglos waren und getäuscht wurden! Dieses Ergebnis dürfte kaum Intention der Staatsanwaltschaft sein … insgesamt wäre all dies auch schwer nachweisbar, man müsste dann den Beweis führen, dass vorsätzlich unwissenschaftlich gearbeitet wurde. Sportlich.
- Oder das Gutachten wurde präventiv eingeholt, für den Fall späterer Strafverfolgung. Dann aber wäre eine Beihilfe sportlich, denn das Gutachten war nicht kausal für die Ausschüttungen durch die Staatskasse. Auch dürfte der durch die Kanzlei begleitete und ohnehin zur Erklärung bereite Kunde kaum in seinem Entschluss erst gewckt oder bestärkt worden sein. Jedenfalls wäre es schwierig, hier eine psychische Beihilfe zu erkennen und auch hier müsste man dann den Beweis führen, dass vorsätzlich unwissenschaftlich gearbeitet wurde; erweitert um den Faktor, dass dies getan wurde um Menschen zu vorsätzlich falschen Steuererklärungen zu verleiten.
- Dabei – und jetzt wird es wirklich interessant … hier wäre es spannend, den Ermittlungsrichter zu fragen, was in ihm bei der Unterschrift vorging – würde es auf ein Paradoxon hinauslaufen: Die wissenschaftliche Ausarbeitung, dass etwas nicht strafbar ist, soll jemanden, der bereits von einer Strafbarkeit ausgeht, darin bestärkt haben, eine Straftat zu begehen (die laut StA schon immer als solche erkennbar gewesen ist!).
Mögliche Strafbarkeit wissenschaftlicher Gutachten
Eine Strafbarkeit von Gefälligkeitsgutachten lässt sich nicht von der Hand weisen – aber unheimlich schwer beweisen. Die Durchsuchungen dürften erst einmal der Tatsachen-Ermittlung dienen, dahin von welchem Sachstand der Gutachten-Ersteller seinerzeit ausging. Quasi „tödlich“ wäre aufgefundene Korrespondenz in welcher sich im Vorfeld oder Fortgang der Gutachtenerstellung mit Auftraggebern über erwünschte Ergebnisse ausgetauscht wird – wobei auch dies per se kein zwingendes Kriterium sein muss!
Ein wissenschaftliches Gutachten, das wissenschaftliche Standards berücksichtigt und intentional geführt wird, mag Geschmack haben und die eigene Reputation ankratzen bis vernichten – aber es ist nicht zwingend strafbar. An der Stelle spielt dann auch (erst) die grundrechtlich geschützte Wissenschaftsfreiheit eine spürbare Rolle, die in eine Abwägung einzustellen ist.
Es wäre recht lächerlich, die Motive kritisch zu hinterfragen: Sachverständige bzw. Gutachter erstellen Gutachten aus einem Grund … sie werden dafür bezahlt. Das blendet man gerne aus, aber wir leben nun mal in einer Marktwirtschaft. Der Anspruch muss sein, dass losgelöst von internen Motiven wissenschaftlich gearbeitet wird, was bedeutet stark verkürzt, dass mit anerkannten Methoden ergebnisoffen gearbeitet wird. Wenn dann rein argumentativ an Weichen im Gutachten entschieden werden muss, ist es dem Gutachter überlassen, wie er sich (mit sachlichen Argumenten) entscheidet. Solange der Boden eines wissenschaftlichen Diskurses nicht verlassen wird, besteht hier viel Freiheit.
Böses Erwachen im Gerichtssaal
Ebendiese Freiheit bei der Frage, was nun (gerade) noch wissenschaftlich und schon (unseriös) nicht mehr wissenschaftlich ist, wird dann maßgeblich von der Wissenschaftsfreiheit geprägt. Bei der Bewertung muss im zweifelsfall zu Gunsten des Beschuldigten mit Art.5 III GG weit ausgelegt werden, was (noch) als wissenschaftliche Arbeit durchgeht. Dabei darf eine mögliche Strafrechtliche Verfolgung auch nicht geeignet sein, dem Staat unliebsame Ergebnisse zu verhindern – oder, gerade im juristischen Verbreitete, Mindermeinungen zu verhindern.
Allerdings, wer zu sehr im Elfenbeinturm hockt und glaubt, mit eloquenten Formulierungen am Schreibtisch arbeiten zu können, der verkennt die größte Gefahr: den pragmatischen Richter im Saal. Wo der eine mit anspruchsvoller Wissenschaft argumentiert, möchte der andere seinen Fall erledigen und hat sich sehr vom wissenschaftlichen Betrieb entfernt.
Genau das ist doch die Gefahr: Nicht ohne Grund liegen (theoretische) Wissenschaft bzw. Lehre und Bundesgerichtshof ständig so über quer: Wo die Wissenschaft komplexe Probleme öffnet, will der BGH pragmatisch lösen (und verurteilen!). Der Anspruch des einen (wissenschaftliches Denken) und der des anderen (Prozessökonomie und materielle Wahrheit) sind nicht konsequent zu vereinen.
Vieles in diesem Fall wird zuerst an zu ermittelnden Beweisen hängen, die Ermittler werden vorwiegend auf gelaufene Kommunikation hoffen, in die man viel hineindeuten kann. Von diesen ausgehend wird Dreh- und Angelpunkt der doppelte Gehilfenvorsatz und daran hängend die Frage sein, wie man überhaupt (psychische) Beihilfe leisten sollte. Weniger glanzvolle umfangreiche Schriftsätze werden hier Richter in ihrem Alltagsgeschäft überzeugen, als durchdachte Kommunikation, die von Anfang an weiß, richtige Schlaglichter zu setzen.
Am Ende kommt es dann auch auf die wissenschaftliche Freiheit an, die tatsächlich ernsthaft bedroht ist, wenn Strafverfolger nun (wieder, wie in dunklen früheren Tagen) anfangen, unerwünschte Gedanken aus dem wissenschaftlichen Betrieb durch Verfolgung zu unterdrücken. Der Fall könnte sich zum Paradefall dafür entwickeln, wo sich unsere Gesellschaft hin entwickelt – oder zum Paradebeispiel für Hard cases make bad law.
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