Mit Beschluss vom 28. November 2024 (Az. 1 StR 376/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine aufschlussreiche Entscheidung zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit bei systematischer Schwarzarbeit und Umsatzsteuerhinterziehung gefällt. In dem Verfahren standen zwei Angeklagte im Zentrum, die über ein kompliziertes Geflecht aus Scheinfirmen und Abdeckrechnungen illegale Beschäftigungsmodelle finanzierten und dabei massive Sozialversicherungsbeiträge sowie Steuerzahlungen hinterzogen.
Diese Entscheidung ist nicht nur für Juristen von Bedeutung, sondern auch für Führungskräfte in Unternehmen, die sich mit Themen wie Compliance, Personalstruktur und Dienstleistersteuerung befassen. Sie wirft ein grelles Licht auf die Haftungsrisiken, die entstehen, wenn wirtschaftliche Zwänge mit bewussten Rechtsverstößen beantwortet werden – etwa um margenschwache Geschäftsbereiche rentabel zu gestalten.
Sachverhalt und strafrechtlicher Kern
Im Mittelpunkt des Falls stand ein Einzelunternehmer, der im Bereich Gebäudereinigung, Gartenpflege und insbesondere Winterdienst tätig war. Aufgrund personeller Engpässe und des ökonomischen Drucks entschloss er sich, umfangreich auf nicht gemeldete Schwarzarbeiter zurückzugreifen. Diese wurden ihm über ein Netzwerk aus Scheinunternehmen zugeführt, die keine realen betrieblichen Strukturen aufwiesen, sondern lediglich der Verschleierung der illegalen Beschäftigung dienten. Zur Tarnung wurden fingierte Rechnungen erstellt und in die Buchhaltung eingebracht, die wiederum als Grundlage für ungerechtfertigte Vorsteuerabzüge genutzt wurden.
Die Staatsanwaltschaft warf dem Hauptangeklagten vor, nicht nur Sozialabgaben in Höhe von über 380.000 Euro vorenthalten, sondern auch Lohn- und Umsatzsteuer in erheblichem Umfang hinterzogen zu haben. Der zweite Angeklagte war als Angestellter in das operative Geschäft eingebunden und unterstützte die Abwicklung der Schwarzarbeit, weshalb ihm Beihilfe vorgeworfen wurde.
Die rechtliche Bewertung des BGH
Der Bundesgerichtshof bestätigte im Grundsatz die Strafbarkeit der Hauptperson wegen Verstoßes gegen § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) sowie wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO. Allerdings hob er Teile der Entscheidung des Landgerichts Hagen auf, weil die Strafzumessung teilweise auf einem fehlerhaft angewandten Strafrahmen beruhte. Insbesondere wurde die Regelwirkung eines besonders schweren Falls durch die bloße Existenz fingierter Belege nicht ausgelöst, da diese nicht gegenüber der Einzugsstelle verwendet wurden. Der bloße Buchungsvorgang reichte hierfür nicht aus.
Darüber hinaus beanstandete der Senat, dass das Landgericht eine Verurteilung wegen vollendeter Umsatzsteuerhinterziehung ausgesprochen hatte, ohne ausreichende Feststellungen zum steuerlichen Erfolg (Zahllast oder Steuerguthaben) getroffen zu haben. In derartigen Fällen müsse das Tatgericht konkret feststellen, ob die eingereichte Steuererklärung zu einem messbaren Vorteil geführt hat – ein Erfordernis, das angesichts der Dualität von Erklärung und Eintritt eines Vermögensvorteils im Steuerstrafrecht unabdingbar ist.
Für den Mitangeklagten wurde das Urteil vollständig aufgehoben. Die vorinstanzlichen Feststellungen reichten nicht aus, um eine individualisierte Beteiligung an konkreten Tathandlungen zu belegen. Zudem wurde vom BGH eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt, die das Landgericht unberücksichtigt gelassen hatte.
Implikationen für das Management
Diese Entscheidung bietet eine eindrucksvolle Mahnung an die Unternehmensführung: Die systematische Umgehung arbeits- und steuerrechtlicher Verpflichtungen mag kurzfristig betriebswirtschaftliche Vorteile versprechen, sie birgt jedoch existenzielle strafrechtliche Risiken. Gerade in Branchen mit hohem Personalbedarf und saisonalen Auftragsspitzen – wie dem Winterdienst – besteht die Versuchung, strukturelle Defizite durch illegale Konstruktionen zu kompensieren. Der Fall zeigt, dass Gerichte diese Praxis nicht als Kavaliersdelikt werten, sondern mit aller Härte ahnden.
Zudem wird deutlich, wie entscheidend eine präzise Dokumentation und rechtlich korrekte Umsetzung von Vertragsbeziehungen mit Subunternehmern ist. Das Aufstellen und Einreichen von Abdeckrechnungen mag in der Praxis verbreitet sein, stellt jedoch ein zentrales Einfallstor für Ermittlungen dar. Ebenso klar ist, dass Führungskräfte, die sich auf „inoffizielle“ Personalflüsse verlassen, die persönliche Strafverfolgung riskieren.
Schlussbetrachtung
Die Bilanz dieses Verfahrens ist ebenso juristisch klar wie wirtschaftlich bedrückend: Wer seine Personalstrategie auf Schwarzarbeit und Scheinunternehmen aufbaut, verliert nicht nur das Vertrauen des Rechtsstaats, sondern auch den Schutz des Gesetzes. Der Bundesgerichtshof hat mit dieser Entscheidung ein deutliches Signal gesetzt – sowohl an Justiz und Verwaltung, hier mit Nachdruck hinzusehen, als auch an die Unternehmenspraxis, rechtliche Mindeststandards als unverzichtbare Grundlage wirtschaftlichen Handelns zu begreifen.