Der BGH über den maßgeblichen Zeitpunkt bei Wettbewerbsverstößen: Mit Beschluss vom 17. September 2024 (Az. KRB 101/23) hat der Bundesgerichtshof in einer kartellrechtlichen Bußgeldsache ein ebenso bedeutsames wie klarstellendes Signal an die Praxis gesendet: Die Verjährung bei Submissionsabsprachen beginnt nicht mit dem Zuschlag oder Vertragsschluss, sondern erst mit der vollständigen Vertragsabwicklung – konkret mit der Erstellung der Schlussrechnung. Der Senat grenzt sich damit ausdrücklich vom unionsrechtlich geprägten Verständnis der Tatbeendigung ab und bekräftigt seine bisherige Rechtsprechung gegen eine zu früh greifende Verjährung.
Hintergrund der Entscheidung
Gegenstand der Entscheidung war ein umfangreiches Verfahren um Preisabsprachen im Bereich technischer Gebäudeausrüstung für Kraftwerke. Die Beteiligten hatten in wettbewerbswidriger Weise über Jahre hinweg abgestimmt, wer bei Ausschreibungen den Zuschlag erhalten sollte. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte Teile des Verfahrens wegen vermeintlich eingetretener Verjährung eingestellt. Ausschlaggebend war dabei die Annahme, dass mit dem Vertragsschluss die Tatbeendigung und damit auch der Lauf der Verjährungsfrist einsetze – in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Eltel.
Der BGH hob diese Sichtweise auf und stellte klar, dass der deutsche Gesetzgeber für das nationale Sanktionsrecht eigene Maßstäbe aufgestellt habe, die nicht durch unionsrechtliche Vorstellungen verdrängt würden – solange sie den Effektivitätsgrundsatz wahren.
Die dogmatische Klarstellung des BGH
Nach Ansicht des Kartellsenats beginnt die Verjährung nicht mit dem formalen Abschluss des Vertrages, sondern mit dem tatsächlichen Abschluss des gesamten Kartellunrechts. Und dieses ist erst dann beendet, wenn der Auftrag vollständig abgewickelt ist – was regelmäßig mit der Schlussrechnung der Fall ist. Diese Auslegung knüpft nicht nur an den Wortlaut des § 31 Abs. 3 OWiG an, sondern vor allem an die Funktion des Kartellrechts, auch die fortdauernde Marktbeeinflussung zu erfassen. Die bloße Zuschlagserteilung beendet die durch die wettbewerbswidrige Absprache ausgelösten Marktverzerrungen nicht – sie wirken vielmehr bis zur Erfüllung des Vertrages nach.
Bemerkenswert ist, dass der BGH auch eine einheitliche Sicht auf sämtliche Kartellbeteiligte einfordert. Ob ein Unternehmen im Rahmen der Absprache aktiv ein Angebot abgegeben oder – absprachegemäß – bewusst auf die Teilnahme verzichtet hat, spielt für den Verjährungsbeginn keine Rolle. Die schädliche Marktverzerrung entfaltet sich unabhängig von der Rolle im Detail.
Verhältnis zum Unionsrecht
Der Senat nimmt ausdrücklich Stellung zum unionsrechtlichen Tatbegriff nach Art. 25 VO 1/2003, der auf den Zeitpunkt abstellt, zu dem die Zuwiderhandlung – etwa durch Vertragsabschluss – endet. Der BGH weist jedoch darauf hin, dass das nationale Bußgeldverfahren autonom geregelt ist und dass der deutsche Gesetzgeber bewusst von einer Harmonisierung der Verjährungsvorschriften abgesehen hat. Die deutschen Regeln stehen daher mit dem Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts im Einklang – sie dürfen sogar strengere Maßstäbe anlegen, solange sie die Durchsetzung nicht unzumutbar erschweren.
In diesem Zusammenhang verwirft der BGH auch die Annahme einer Vorlagepflicht an den EuGH. Die deutsche Praxis sei klar umrissen und mit den unionsrechtlichen Grundprinzipien vereinbar – es bestehe kein Anlass für ein Vorabentscheidungsverfahren.
Fazit
Die Schlussfolgerung dieser Entscheidung ist eindeutig: Der Verjährungsbeginn bei Submissionsabsprachen im Sinne des § 1 GWB tritt erst mit der vollständigen Abwicklung des inkriminierten Vertrages ein – nicht bereits mit dem Zuschlag oder Vertragsschluss. Der Bundesgerichtshof schützt damit die Integrität kartellrechtlicher Sanktionen gegen eine vorschnelle Verjährung und positioniert sich mit dogmatischer Prägnanz gegen eine unionsrechtlich verengte Betrachtung. Das Urteil hat erhebliche praktische Bedeutung für die Aufarbeitung langjähriger Vergabeverstöße und sichert den Ermittlungsbehörden den erforderlichen zeitlichen Handlungsspielraum. Es ist ein deutliches Plädoyer für effektiven Rechtsschutz im Wirtschaftsrecht.