In seinem Urteil vom 19. Februar 2025 (Az. 6 StR 526/24) hebt der Bundesgerichtshof ein Urteil des Landgerichts Schwerin auf, das den Angeklagten wegen Beihilfe zu einem besonders schweren Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt hatte. Der Fall offenbart grundsätzliche Schwächen in der juristischen Behandlung von Tatbeteiligung am Rande organisierter Kriminalität – insbesondere, wenn sich das Gericht auf eine rein psychische Unterstützungshandlung beruft, ohne diese konkret zu erfassen oder nachvollziehbar zu belegen.
Die Entscheidung des 6. Strafsenats ist ein klares Plädoyer für methodische Genauigkeit bei der Feststellung und Subsumtion psychischer Beihilfehandlungen. Sie grenzt das legitime Feld tatrichterlicher Überzeugungsbildung gegenüber bloßer Spekulation ab – und erinnert daran, dass gerade in komplexen Gruppenkonstellationen die individuelle Beteiligung sauber und differenziert nachgewiesen werden muss.
Der Sachverhalt: Autodiebstähle, Gruppendynamik und ein Pilotfahrzeug
Dem Angeklagten wurde zur Last gelegt, Teil einer Gruppierung gewesen zu sein, die im Mai 2023 mehrere hochwertige Pkw in Norddeutschland entwendete, um sie nach Polen zu verbringen. Bei einem dieser Transporte wurde der Angeklagte festgenommen – in einem Fahrzeug, das von den Haupttätern als „Pilotfahrzeug“ genutzt wurde und mit Ausrüstung wie Rohlingen für Fahrzeugschlüssel, Autokennzeichen und sogenannten Arbeitshandys ausgestattet war. Zwar ergaben sich keine Hinweise darauf, dass er selbst an der eigentlichen Wegnahme der Fahrzeuge beteiligt war, doch hielt das Landgericht seine Mitfahrt und Kontakte zu einem Haupttäter für hinreichend, um eine psychische Beihilfe zum Diebstahl anzunehmen.
Dabei stützte sich das Landgericht im Wesentlichen auf Indizien: eine längere Kommunikationshistorie mit einem der Haupttäter, frühere Zahlungen für angebliche Fahrdienste, persönliche Gegenstände im Auto sowie die Mitnahme von Lederhandschuhen. Auf dieser Grundlage nahm die Strafkammer an, der Angeklagte habe mit seiner bloßen Anwesenheit im Fahrzeug sowie seiner Bereitschaft, ein gestohlenes Fahrzeug zu überführen, den Tatentschluss der Haupttäter bestärkt und damit eine psychische Beihilfehandlung begangen.
Die Kritik des BGH: Unzureichende Feststellungen und spekulative Wertungen
Der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf – und stellte dabei klar, dass die Voraussetzungen einer psychischen Beihilfe einer konkreten Feststellung bedürfen, die sich nicht auf bloße Mutmaßungen oder generalisierte Annahmen stützen darf. Weder habe das Landgericht eine bestimmte Handlung des Angeklagten beschrieben, die objektiv kausal auf den Diebstahl eingewirkt habe, noch seien Angaben dazu erfolgt, in welcher Weise der Angeklagte subjektiv zur Förderung des Tatplans motiviert gewesen sei.
Insbesondere fehle es an einer greifbaren Beschreibung, wann und wie der Angeklagte seinen Unterstützungswillen äußerte oder aus welchen Umständen sich seine „fördernde Wirkung“ ergeben soll. Die bloße physische Anwesenheit im Fahrzeug reiche nicht aus, um daraus eine psychische Beihilfehandlung zu konstruieren. Auch die Auswertung der Handydaten und der Hinweis auf frühere Zahlungen an den Angeklagten blieben zu vage, um eine belastbare Beteiligung festzustellen. Weder wurden konkrete Chatinhalte mitgeteilt, noch konnte der BGH nachvollziehen, worauf sich die Annahme stützte, der Angeklagte habe eine Überführungsfahrt konkret vorbereitet.
Der Senat betont, dass psychische Beihilfe – etwa durch „Rückhalt“, „Bestärkung“ oder „psychologische Stabilisierung“ der Haupttäter – nur dann strafrechtlich relevant wird, wenn sie in einem überprüfbaren Kommunikations- und Handlungskontext steht. Dazu gehört auch, dass Zeit, Ort und Inhalt der Interaktion mit den Haupttätern festgestellt werden – und dass der Einfluss des Gehilfen über bloße Assoziationen hinausgeht.
Methodische Lehren: Beihilfe braucht Konkretion
Die Entscheidung verdeutlicht, dass gerade in mehrgliedrigen Täterstrukturen die Grenze zwischen bloßem Mitwissen, passiver Anwesenheit und strafbarer Beteiligung scharf gezogen werden muss. Der bloße Umstand, dass ein Angeklagter „Teil der Szene“ ist, kann keine tragfähige Grundlage für eine Verurteilung sein. Strafrechtliche Verantwortlichkeit setzt konkrete Tatbeiträge voraus – sei es physisch, sei es psychisch –, die sich auf das konkrete Tatgeschehen auswirken und mit einem entsprechenden Vorsatz verbunden sind.
Auch die verfahrensrechtliche Dimension ist bedeutsam: Der Senat mahnt die Beachtung der Darstellungsanforderungen aus § 267 Abs. 1 StPO an. Das Urteil müsse erkennbar machen, welche konkreten Tatsachen das Gericht festgestellt hat und worauf es seine Überzeugung stützt. Pauschale Hinweise auf Auswertungen oder „Gesamteindrücke“ ersetzen diese Anforderungen nicht – schon gar nicht, wenn sie sich auf interpretative Wertungen ohne faktische Grundlage stützen.
Der Rechtsstaat lebt davon, dass Schuld individuell festgestellt wird – und dass auch derjenige freizusprechen ist, der sich in einem belastenden Umfeld befindet, ohne sich strafbar gemacht zu haben. Der BGH setzt mit dieser Entscheidung ein klares Zeichen für kriminalpolitische Nüchternheit und prozessuale Sorgfalt.
Schlussbetrachtung
In der Kernaussage bekräftigt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs den Grundsatz, dass strafbare Beihilfe – gerade in ihrer psychischen Form – ein klar konturiertes Verhalten voraussetzt. Der Tatbeitrag muss objektiv förderlich und subjektiv gewollt sein. Beides verlangt eine präzise Feststellung – nicht bloß Assoziationen im Fahrzeuginneren oder die Nähe zu kriminellen Strukturen.
Für die Praxis bedeutet dies eine Erinnerung an die rechtsstaatlichen Standards tatrichterlicher Urteilsbildung. Gerade im Kampf gegen organisierte Kriminalität darf die Versuchung nicht überhandnehmen, Beteiligung über Nähe zu unterstellen.
- Die Einziehung von Taterträgen beim untauglichen Versuch - 22. Mai 2025
- Russische Cyberangriffe auf westliche Logistik- und Technologieunternehmen 2025 - 22. Mai 2025
- Keine Schweigepflicht im Maßregelvollzug - 21. Mai 2025