Die digitale Überwachung durch Strafverfolgungsbehörden und die Frage der Verwertbarkeit solcher Erkenntnisse im Strafverfahren sind hochaktuelle und umstrittene Themen. Insbesondere der Einsatz von manipulierten Kommunikationsplattformen zur Bekämpfung organisierter Kriminalität wirft grundlegende verfassungs- und strafprozessrechtliche Fragen auf.
Eine aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Zweibrücken (Az.: 1 Ws 141/24) setzt sich mit der Frage auseinander, ob Chatprotokolle der von US-Behörden initiierten und überwachten Kommunikationsplattform „ANOM“ als Beweismittel im deutschen Strafprozess verwertet werden dürfen.
Hintergrund und Sachverhalt
Im Zentrum des Verfahrens steht ein Angeklagter, dem vorgeworfen wird, mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gehandelt zu haben. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn, im Februar 2021 zehn Kilogramm Marihuana mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 1.000 Gramm THC für 36.000 Euro erworben und gemeinsam mit einem Komplizen für 45.000 Euro weiterverkauft zu haben. Die gesamte Kommunikation zur Organisation dieses Drogengeschäfts soll über den verschlüsselten Messenger-Dienst „ANOM“ erfolgt sein.
ANOM war eine von Strafverfolgungsbehörden konzipierte Kommunikationsplattform, die gezielt an kriminelle Organisationen verteilt wurde, um vertrauliche Gespräche mitzulesen. Die Daten wurden dabei von US-Behörden gesammelt und später deutschen Ermittlungsbehörden im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens übermittelt.
Das Landgericht Frankenthal lehnte zunächst die Eröffnung des Hauptverfahrens ab, da es ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der ANOM-Chatprotokolle annahm. Die Staatsanwaltschaft legte daraufhin Beschwerde ein, woraufhin das OLG Zweibrücken entschied, dass das Hauptverfahren eröffnet wird und die Frage der Verwertbarkeit der Beweise in der Hauptverhandlung zu klären sei.
Rechtliche Analyse
Die Entscheidung des OLG Zweibrücken berührt mehrere zentrale strafprozessuale Fragen, insbesondere die Verwertbarkeit ausländischer Beweismittel, das Recht auf ein faires Verfahren und die Vereinbarkeit der Ermittlungen mit deutschem Recht.
1. Verwertbarkeit von ANOM-Daten und das Beweisverwertungsverbot
Im deutschen Strafprozessrecht gibt es keine allgemeine Regel, die die Verwertung unrechtmäßig erlangter Beweise zwingend verbietet. Vielmehr sind Beweisverwertungsverbote stets eine Frage des Einzelfalls. Das Landgericht Frankenthal sah die ANOM-Daten als unverwertbar an, weil die Rechtmäßigkeit der Datenerhebung nicht überprüft werden könne. Es verwies auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur EncroChat-Problematik, wonach eine Verwertung ausgeschlossen sein kann, wenn der ausländische Staat die Daten unter Verletzung grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien erlangt hat.
Das OLG Zweibrücken wies diesen Ansatz zurück. Es stellte klar, dass die Beurteilung der Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung erfolgen müsse und eine pauschale Ablehnung im Zwischenverfahren nicht zulässig sei. Entscheidend sei, ob ein spezifisches Verwertungsverbot aus dem deutschen Recht oder aus völkerrechtlichen Grundsätzen resultiere. Eine automatische Übertragung der BGH-Rechtsprechung zu EncroChat sei nicht möglich, da sich die Ausgangslagen unterschieden.
2. Internationale Rechtshilfe und ordre public
Ein weiterer zentraler Punkt der Entscheidung betrifft die internationale Rechtshilfe. Beweise, die durch ausländische Behörden erhoben und deutschen Ermittlungsbehörden übermittelt wurden, müssen grundsätzlich nach den Maßstäben des ersuchenden Staates bewertet werden. Eine Überprüfung hoheitlicher Entscheidungen des ersuchten Staates (hier: USA) durch deutsche Gerichte findet in der Regel nicht statt.
Das OLG Zweibrücken argumentierte, dass die ANOM-Daten nicht durch eine anlasslose Massenüberwachung erhoben wurden. Vielmehr sei die App gezielt an bestimmte kriminelle Netzwerke verteilt worden. Somit könne nicht von einem Verstoß gegen den deutschen ordre public oder völkerrechtliche Grundsätze ausgegangen werden. Das Gericht sah daher keine grundlegenden Bedenken gegen die Verwendung der Daten.
3. Grundrechte und das Recht auf ein faires Verfahren
Eine weitere entscheidende Frage ist, ob die Nutzung der ANOM-Daten mit dem grundgesetzlich garantierten Recht auf ein faires Verfahren vereinbar ist. Im deutschen Recht ist anerkannt, dass es ein absolutes Beweisverwertungsverbot gibt, wenn der „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ betroffen ist.
Das OLG Zweibrücken kam jedoch zu dem Ergebnis, dass diese Schwelle im vorliegenden Fall nicht erreicht sei. Die Kommunikation über ANOM diente rein geschäftlichen Zwecken im Bereich des Drogenhandels und fiel nicht in den Bereich höchstpersönlicher Informationen. Zudem sei nicht ersichtlich, dass die Strafverfolgungsbehörden durch ihre Maßnahme eine nicht tatgeneigte Person zu einer Straftat verleitet hätten. Anders als in Fällen klassischer polizeilicher Tatprovokation hätten die Ermittlungsbehörden lediglich eine Kommunikationsplattform zur Verfügung gestellt, ohne aktiv zum Begehen von Straftaten zu ermutigen.
Bewertung der Entscheidung
Die Entscheidung des OLG Zweibrücken setzt sich mit einer der derzeit spannendsten Fragen des Strafprozessrechts auseinander: Wo liegen die Grenzen der Verwertbarkeit von Beweisen, die aus internationalen Überwachungsmaßnahmen stammen?
Einerseits folgt das Gericht einer pragmatischen Linie, indem es die Entscheidung über die Verwertbarkeit der Beweise der Hauptverhandlung überlässt. Dies entspricht dem Grundsatz, dass die Beweisaufnahme möglichst umfassend durchgeführt werden soll und eine endgültige Bewertung erst unter Berücksichtigung aller Umstände erfolgen kann.
Andererseits zeigt sich eine gewisse Diskrepanz zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu EncroChat. Während der BGH bei EncroChat erhebliche Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Datenerhebung äußerte, folgt das OLG Zweibrücken einer großzügigeren Linie und sieht keinen grundsätzlichen Ausschluss der ANOM-Daten.
Kritisch bleibt zu hinterfragen, ob eine solche Haltung die Gefahr birgt, dass deutsche Strafverfolgungsbehörden Beweismittel nutzen, die in anderen Ländern unter Umständen rechtsstaatswidrig erlangt wurden. Dies könnte langfristig das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit der deutschen Strafjustiz beeinträchtigen.
Die Tragweite dieses Beschlusses geht über den konkreten Fall hinaus. Die Nutzung von Beweismitteln aus globalen Ermittlungsoperationen wird weiterhin intensiv diskutiert werden, insbesondere vor dem Hintergrund des Spannungsfelds zwischen effektiver Strafverfolgung und rechtsstaatlichen Prinzipien. Letztlich bleibt abzuwarten, ob der Bundesgerichtshof oder gar das Bundesverfassungsgericht sich in Zukunft erneut mit dieser Problematik befassen werden.
Fazit
Die Entscheidung des OLG Zweibrücken verdeutlicht, dass die rechtliche Einordnung international gewonnener Beweismittel weiterhin ein dynamisches und hochkomplexes Thema ist. Während das Landgericht Frankenthal die Verwertbarkeit der ANOM-Daten von vornherein ausgeschlossen hatte, betont das OLG Zweibrücken die Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung in der Hauptverhandlung.
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