OLG Nürnberg: Sicherungsverwahrung eines Sexualstraftäters bleibt aufrechterhalten

Mit Beschluss vom 24.06.2010 hat das Oberlandesgericht Nürnberg die Beschwerde eines Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Regensburg, mit dem seine aufrechterhalten wurde, verworfen. Das Gericht setzt sich dabei mit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009 auseinander und meint, dessen Auslegung der Menschenrechte sei mit dem nicht vereinbar. Denn die Grundrechte auf Freiheit und körperliche Unversehrtheit geböten es, dass der Staat potentielle Opfer gegen gefährliche Straftäter schützt. Im Ergebnis bleibt der Verurteilte daher für mindestens 2 weitere Jahre in der Sicherungsverwahrung der JVA Straubing.

Der 52-jährige Verurteilte war bereits in jugendlichem Alter durch aggressives Verhalten und mit Sexualdelikten in Erscheinung getreten. Nachdem in der Folgezeit mehrjährige Haftstrafen wegen Diebstahls- und Raubdelikten gegen ihn verhängt werden mussten, wurde er im Jahre 1986 unter anderem wegen in zwei Fällen, davon einmal mit sexueller und einmal mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, sowie wegen versuchter Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Zudem ordnete die Kammer seine in der Sicherungsverwahrung an. Bei den damaligen Taten hatte der Verurteilte ihm unbekannte junge Frauen und einmal auch ein 11-jähriges Kind geschlagen, mit Messern bedroht und missbraucht. Hierdurch wurden die Opfer teilweise erheblich traumatisiert. Schon damals stellte das Landgericht fest, dass von dem Verurteilten eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit ausginge. Bei ihm bestünde nämlich eine anlage- und milieubedingte Gewöhnung, gegen unterlegene Personen vornehmlich Gewaltdelikte mit sexueller Komponente zu begehen.

Keine drei Wochen nach Beendigung der Gerichtsverhandlung hatte der Verurteilte sodann versucht, sich in der Haft durch Bemächtigung der Anstaltspsychologin eine Fluchtgelegenheit zu verschaffen. Dies brachte ihm eine weitere Verurteilung zu zwei Jahren ein. Der Verurteilte nahm in der Folge über mehrere Jahre hinweg an Sexualtherapien teil, die im Ergebnis keine relevanten Fortschritte zeitigten. Aus Sicht der Therapeuten war bei ihm keine Therapiemotivation vorhanden. Ein im Januar 2010 erstattetes psychiatrisches Gutachten ergab daher erneut, dass es sich bei dem Untergebrachten um eine dissoziale Persönlichkeit mit einem Hang zu gewalttätigen sexuellen Übergriffen auf Frauen und Mädchen handele. Es sei bei ihm von einem „deutlich erhöhten Risiko“ erneuter sexueller Übergriffe auf Frauen oder weibliche Kinder auszugehen.

Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg war aufgrund dieser Sachlage übereinstimmend mit der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg der Ansicht, dass die 1986 angeordnete Sicherungsverwahrung nicht für erledigt erklärt werden könne. Auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 17.12.2009 stünde diesem Ergebnis nicht entgegen. Der EGMR hatte dort ausgesprochen, die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung über 10 Jahre hinaus verstoße gegen Art. 5 EMRK (Recht auf Freiheit) und Art. 7 EMRK (Rückwirkungsverbot). Das Oberlandesgericht Nürnberg hält eine Umsetzung dieses Urteils in der Weise, dass selbst hochgefährliche Sicherungsverwahrte aus der Unterbringung entlassen werden müssten, für nicht vereinbar mit dem staatlichen Schutzauftrag für die Grundrechte Dritter und mit dem Rechtsstaatsprinzip. Die gebotene Berücksichtigung der Entscheidungen des EGMR finde ihre Grenze dort, wo der gegenüber Art. 5 EMRK höherrangige Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz, der die Berücksichtigung der Grundrechte Dritter fordert, zur Geltung gebracht werden müsse. Diese Abwägung habe der EGMR nicht vorgenommen, obwohl er Schutzpflichten des Staates gegenüber Dritten kenne. Aus den Grundrechten selbst resultiere, dass der Staat eine Schutzpflicht zu Gunsten potentieller Opfer gegenüber gefährlichen Straftätern habe: „Das Freiheitsrecht des Einzelnen (hier des Verurteilten) ist nicht schrankenlos, sondern es wird begrenzt durch die gleichrangigen Rechte anderer (hier der Opfer).“ Auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 05.02.2004 bestätige, dass die Bewertung der Sicherungsverwahrung als Maßregel und deren Verlängerung über 10 Jahre hinaus keine Verletzung der Garantie der Menschenwürde und des Freiheitsgrundrechts eines Untergebrachten darstelle. Dieses Urteil habe Gesetzeskraft.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts hat erhebliche Bedeutung auch für andere Fälle. Denn die Sicherungsverwahrung wird in Bayern regelmäßig in der JVA Straubing vollzogen, so dass die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg über deren weitere Vollziehung zu entscheiden hat. Sofortige Beschwerden gegen deren Beschlüsse richten sich danach sämtlich an das Oberlandesgericht Nürnberg.

OLG Nürnberg, Beschl. v. 24.06.2010, 1 Ws 315/10, Quelle: PM

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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