Die Abgrenzung zwischen zulässiger Verdachtsberichterstattung und unzulässiger Rufschädigung bleibt ein juristisches Minenfeld – besonders im Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz. Mit Beschluss vom 14. April 2025 hat das Oberlandesgericht Dresden (4 U 1466/24) klargestellt, dass auch ein privater Blogbetreiber, der sich als journalistisch arbeitend präsentiert, die strengen journalistischen Sorgfaltspflichten beachten muss. Die Entscheidung stellt Grundprinzipien der Verdachtsberichterstattung im digitalen Raum heraus und erteilt substanzlosen Mutmaßungen unter identifizierender Namensnennung eine deutliche Absage.
Sachverhalt
Dem Verfahren lag ein Beitrag eines Blogbetreibers zugrunde, der auf seiner Internetseite über vermeintliche Verstrickungen eines namentlich genannten Klägers in eine Unternehmenspleite berichtete. Der Artikel stellte vage Verdächtigungen auf, wonach der Kläger in leitender Position tätig gewesen sei, Anlegern verlustreiche digitale Investments vermittelt habe und dabei persönlich profitierte. Die Berichterstattung enthielt weder eindeutige Belege noch nachvollziehbare Beweistatsachen. Der Kläger erwirkte vor dem Landgericht Leipzig eine einstweilige Verfügung gegen die identifizierende Berichterstattung. Gegen diese einstweilige Verfügung legte der Blogbetreiber Berufung ein.
Juristische Analyse
Tatsachenbehauptung oder Meinung
Das OLG Dresden bestätigte zunächst, dass es sich bei den Äußerungen nicht um bloße Werturteile handelte. Zwar waren Formulierungen wie „möglicherweise“ und „aus unserer Sicht“ enthalten, doch prägten Tatsachenelemente – etwa die Behauptung konkreter Handlungen wie der Verkauf von Investments – den Kern der Aussagen. Diese seien daher anhand der Grundsätze zur Verdachtsberichterstattung zu prüfen.
Maßstab für die Sorgfaltspflicht
Das Gericht verwarf das vom Beklagten in Anspruch genommene „Laienprivileg“. Wer sich – wie der Beklagte – öffentlich als „Chefredakteur“ mit „Redaktion“ und Mitgliedschaft in einem Journalistenverband darstelle, könne sich nicht wie ein privater Laie auf fremde Berichte berufen. Vielmehr müsse er die journalistischen Sorgfaltsanforderungen einhalten, also insbesondere sorgfältig recherchieren, belastbare Anknüpfungstatsachen liefern und dem Betroffenen vor Veröffentlichung Gelegenheit zur Stellungnahme geben.
Diese Anforderungen hatte der Blogbetreiber nicht erfüllt: Seine Recherchen deckten die konkreten Verdächtigungen nicht ab, und die eingeholte Stellungnahme war lückenhaft und thematisch unzureichend. Damit war die Verdachtsberichterstattung weder durch ein berechtigtes Informationsinteresse gedeckt noch von der Meinungsfreiheit geschützt.
Es gibt eine sehr umfassende und über die Jahrzehnte gewachsene Rechtsprechung zur Thematik Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung. Beachten Sie dazu in unserem Blog jedenfalls:
- Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Werturteil
- Meinungsfreiheit auch für meinungsbezogene Tatsachenbehauptung
- Tatsachen vermischt mit Meinungen
- Keine Meinungsfreiheit für unwahre Tatsachenbehauptung
- Abgrenzung zur Schmähkritik
- Kritik an Unternehmen
- Das Unternehmenspersönlichkeitsrecht
- Deutung des Sinngehalts einer Äußerung
- Beiträge rund um Werbeagenturen
- Journalismus unter Druck: Repressalien gegen Journalisten und Anti-SLAPP-Richtlinie
Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit
Die Abwägung fiel eindeutig zugunsten des Klägers aus. Für die Öffentlichkeit bestand zwar ein Interesse an Hintergründen zu verlustreichen digitalen Investments. Ein berechtigtes Interesse, dabei den Namen des Klägers zu nennen, bestand aber mangels belastbarer Belege nicht. Die identifizierende Berichterstattung stellte daher einen unzulässigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar.
Die Entscheidung zeigt, dass auch private Blogger, die sich als journalistische Akteure positionieren, die Maßstäbe professioneller Medienberichterstattung zu beachten haben. Wer unter dem Deckmantel des investigativen Journalismus bloße Gerüchte verbreitet, riskiert kostspielige Unterlassungsansprüche. Für die Praxis bedeutet das: Eine Namensnennung in Verdachtsberichten erfordert stets belastbare Belege, eine präzise Sachverhaltsschilderung und die faire Gelegenheit zur Stellungnahme.
Schlussfolgerung
Mit seinem Beschluss unterstreicht das OLG Dresden die besondere Schutzbedürftigkeit der Persönlichkeit gegenüber leichtfertig verbreiteten Verdächtigungen. Auch im digitalen Raum gilt: Pressefreiheit ist kein Freibrief für unbelegte Anschuldigungen. Wer journalistischen Anspruch erhebt, muss journalistisch arbeiten – andernfalls droht eine klare Grenze durch die Gerichte.
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