Zur rechtlichen Zulässigkeit wertender Medienäußerungen in den Medien: Die Entscheidung des Landgerichts Berlin (27 O 182/24) vom 20. März 2025 betrifft ein rechtlich und gesellschaftspolitisch gleichermaßen sensibles Thema: die Frage, ob die Bezeichnung eines gerichtlichen Vorgehens als sogenannter „SLAPP-Fall“ (Strategic Lawsuit Against Public Participation) eine unzulässige Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt – oder ob es sich hierbei um eine zulässige Meinungsäußerung handelt. Das Urteil reiht sich ein in die wachsende rechtliche Auseinandersetzung mit sogenannten Einschüchterungsklagen gegen Medien und zivilgesellschaftliche Akteure.
Sachverhalt
Die Klägerin, Betreiberin einer investigativen Online-Plattform, veröffentlichte mehrere Artikel über mutmaßlich problematische Geschäftsaktivitäten eines ehemaligen Politikers (Beklagter zu 1) und dessen Sohn (Beklagter zu 2), der ein Unternehmen (Beklagte zu 3) führt. Die Berichterstattung behandelte unter anderem US-Sanktionen und Geldwäscheverdachtsmomente.
Die Beklagten forderten daraufhin in einem anwaltlichen Schreiben die Abgabe einer Unterlassungserklärung sowie die Veröffentlichung einer Richtigstellung. Sie monierten insbesondere eine Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts durch angeblich ehrenrührige und falsche Behauptungen.
Die Klägerin reagierte ihrerseits mit einer sogenannten negativen Feststellungsklage und begehrte die gerichtliche Feststellung, dass sie weiterhin berechtigt sei, über die rechtliche Verteidigungsstrategie der Beklagten im Rahmen eines Artikels zu schreiben. In diesem Zusammenhang wurde von ihr das Verhalten der Beklagten als typischer „SLAPP-Fall“ eingeordnet, unter anderem mit der Formulierung, es solle durch juristische Einschüchterung „der Preis für jede weitere Berichterstattung in unkalkulierbare Höhe getrieben werden“.
Rechtliche Würdigung
I. Schutzbereich der Meinungsfreiheit
Das Gericht ordnete die streitgegenständliche Äußerung zunächst als Meinungsäußerung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 GG ein. Maßgeblich für die Einordnung war der wertende Charakter der beanstandeten Passage. Die Formulierung sei Ausdruck einer Einschätzung des Vorgehens der Beklagten im Rahmen des presserechtlichen Diskurses.
Das Gericht hob hervor, dass gerade im Kontext von Medienkritik gegenüber juristischem Vorgehen ein weiter Schutzbereich eröffnet sei. Die Einschätzung, eine Klage diene nicht vorrangig der Rechtsverfolgung, sondern der Einschüchterung, sei keine Tatsachenbehauptung, sondern eine wertende Interpretation tatsächlicher Umstände – etwa der Höhe der geltend gemachten Schadensersatzsummen und des Umfangs der verlangten Unterlassungen.
II. Keine Schmähkritik
Entscheidend war für das LG Berlin, dass die Äußerung nicht die Grenze zur unzulässigen Schmähkritik überschritt. Das Gericht stellte klar: Eine Schmähung liegt nur vor, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Die Charakterisierung als „SLAPP“ sei vielmehr sachbezogen und durch konkrete Anknüpfungstatsachen gestützt. Sie diene der kritischen Analyse einer juristischen Strategie im Kontext öffentlichkeitswirksamer Berichterstattung.
III. Keine Anspruchsgrundlage nach §§ 1004 Abs. 1 S. 2, 823 BGB
Mangels Eingriffs in ein absolut geschütztes Rechtsgut – hier: das Unternehmenspersönlichkeitsrecht – verneinte das Gericht sowohl einen Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog als auch einen deliktischen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB. Die Schwelle zur Rechtswidrigkeit sei nicht überschritten. Zudem betonte das Gericht, dass der Eingriff in den eingeräumten Kommunikationsraum durch das grundrechtlich geschützte Interesse der Klägerin an öffentlicher Meinungsbildung gerechtfertigt sei.
IV. Willkürfreiheit der Äußerung
Von zentraler Bedeutung war auch die Feststellung, dass die Äußerung nicht „aus der Luft gegriffen“ oder willkürlich erfolgt sei. Vielmehr bezog sie sich auf das dokumentierte Verhalten der Beklagten, einschließlich der von ihnen geforderten umfangreichen Unterlassungserklärungen und hohen Schadensersatzsummen. Damit war die Meinungsäußerung – so das Gericht – auf eine ausreichende tatsächliche Grundlage gestützt und konnte deshalb nicht untersagt werden.
SLAPP-Gegenwehr
Das LG Berlin hat mit bemerkenswerter Deutlichkeit betont, dass Medien sich kritisch, auch polemisch, mit juristischen Gegenmaßnahmen befassen dürfen, sofern eine ausreichende tatsächliche Grundlage vorliegt. Die Einordnung eines Klageverhaltens als potenzieller „SLAPP-Fall“ ist von der Meinungsfreiheit gedeckt, solange sie nicht aus reiner Diffamierung erfolgt oder jeglicher Tatsachengrundlage entbehrt.
Diese Entscheidung stärkt den medienrechtlichen Schutz journalistischer Arbeit und schafft Klarheit über die Grenzen zulässiger Kritik an missbräuchlich motivierten Klagen. Zugleich gibt sie Orientierung für zukünftige Verfahren, in denen der Vorwurf strategischer Einschüchterung zum Thema wird.
Schlussfolgerung
Die Kernaussage des Urteils liegt in der klaren verfassungsrechtlichen Absicherung kritischer Medienberichterstattung gegenüber Einschüchterungsklagen. Die Einschätzung, ein Vorgehen stelle einen „SLAPP-Fall“ dar, bleibt unter der Voraussetzung faktischer Anknüpfung zulässig. Die Entscheidung ist daher nicht nur ein juristisch relevantes Signal, sondern auch ein bedeutender Beitrag zur Stärkung der öffentlichen Debattenkultur im Spannungsverhältnis zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrecht. Diese rechtspolitische Ausbeute ist im Kontext zunehmender SLAPP-Diskussionen als wegweisend zu bewerten.
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