Der Umgang mit jungen Straftätern ist immer wieder eine besondere Herausforderung für die Justiz. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Urteil vom 6. November 2024 (Az. 2 StR 290/24) die rechtlichen und erzieherischen Anforderungen des Jugendstrafrechts erneut präzisiert.
Gegenstand der Entscheidung war unter anderem die Frage, unter welchen Bedingungen Jugendstrafrecht auf Heranwachsende angewandt werden kann und welche Maßstäbe für die Strafzumessung gelten. Dieses Urteil bietet wichtige Einblicke in die Abgrenzung zwischen jugend- und erwachsenenstrafrechtlicher Bewertung.
Sachverhalt
Der Angeklagte wurde wegen einer Vielzahl schwerer Straftaten – darunter schwerer sexueller Missbrauch, Freiheitsberaubung und gefährliche Körperverletzung – zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Einige der Taten hatte er kurz vor Vollendung seines 21. Lebensjahres begangen, andere nach Erreichen dieser Altersgrenze.
Das Landgericht Erfurt wandte aufgrund des „brüchigen Lebenslaufs“ und „erheblicher Entwicklungsverzögerungen“ des Angeklagten Jugendstrafrecht an. Es begründete die Strafe ausschließlich mit dem Vorliegen „schädlicher Neigungen“ und sprach den Angeklagten in einem Teil der Anklagepunkte frei. Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein und rügte sowohl den Freispruch als auch die Strafzumessung.
Rechtliche Analyse
Die Entscheidung des BGH hebt zentrale Prinzipien des Jugendstrafrechts hervor, wobei folgende Aspekte besonders relevant sind:
Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende
Gemäß § 105 JGG kann Jugendstrafrecht auf Heranwachsende (18 bis 21 Jahre) angewandt werden, wenn entweder die Tat als jugendtypisch anzusehen ist oder der Täter in seiner Entwicklung einem Jugendlichen gleicht. Der BGH kritisierte die Bewertung des Landgerichts, das überwiegend auf die instabilen Lebensverhältnisse des Angeklagten abstellte. Die kurze Zeitspanne zwischen den ersten Taten und dem Erreichen des 21. Lebensjahres mache es unwahrscheinlich, dass die späteren Straftaten allein auf jugendtypische Defizite zurückzuführen seien. Der BGH betonte, dass nicht jede instabile Lebensführung die Anwendung des Jugendstrafrechts rechtfertigen könne, sondern eine fundierte Gesamtwürdigung erforderlich sei.
Schwere der Schuld bei der Strafzumessung
Das Landgericht hatte die Jugendstrafe ausschließlich mit schädlichen Neigungen begründet und die Schwere der Schuld nicht geprüft. Der BGH stellte klar, dass bei schweren Straftaten – insbesondere bei Gewalt- und Sexualdelikten – die Schwere der Schuld nach jugendspezifischen Kriterien zwingend zu berücksichtigen ist. Dabei sei neben dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat auch die innere Haltung des Täters in den Blick zu nehmen. Diese lückenhafte Begründung führte zur Aufhebung des Strafmaßes.
Freispruch und Rücktritt vom Versuch
Der Freispruch in einem der Fälle basierte auf der Annahme, der Angeklagte habe freiwillig vom Versuch des schweren sexuellen Missbrauchs zurückgetreten. Der BGH kritisierte die unzureichende Darstellung der Beweislage. Insbesondere wurde nicht geprüft, ob der Rücktritt tatsächlich freiwillig erfolgte oder ob äußere Umstände – wie der Anruf der Nebenklägerin – dazu führten. Die unvollständige Beweiswürdigung verletzte die rechtlichen Anforderungen an ein freisprechendes Urteil.
Der BGH hat mit diesem Urteil klargestellt, dass die Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende strenge Kriterien erfordert. Entscheidend ist eine differenzierte Abwägung zwischen erzieherischen Aspekten und der Schwere der Tat. Die Entscheidung unterstreicht zudem die Bedeutung einer sorgfältigen Beweiswürdigung, insbesondere bei der Bewertung des Rücktritts vom Versuch.
Fazit
Das Urteil des BGH verdeutlicht die anspruchsvolle Gratwanderung zwischen Schutz und Sanktion im Jugendstrafrecht. Während das Rechtssystem jugendliche Straftäter fördern und reintegrieren möchte, darf dies nicht zulasten der Opfer oder der gesellschaftlichen Schutzpflicht gehen. Für die Praxis bedeutet dies, dass Gerichte bei der Anwendung von Jugendstrafrecht auf Heranwachsende besonders sorgfältig vorgehen müssen, um eine ausgewogene Entscheidung zu treffen.
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