Insolvenzverschleppung: Kleiner Leitfaden für das Management

Insolvenzverschleppung ist ein Thema, das in der Unternehmensführung oft unterschätzt wird, aber erhebliche rechtliche und wirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Dieser Beitrag bietet einen umfassenden Überblick über die relevanten rechtlichen Aspekte der Insolvenzverschleppung, erklärt ihre Hintergründe und zeigt auf, wie das Management Haftungsrisiken vermeiden kann.

Was ist eine Insolvenzverschleppung?

Die Insolvenzverschleppung beschreibt den Umstand, dass der Insolvenzantrag eines Unternehmens nicht rechtzeitig gestellt wird, obwohl das Unternehmen zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Die Pflicht zur rechtzeitigen Antragstellung ist in § 15a der Insolvenzordnung (InsO) geregelt und trifft insbesondere die Mitglieder des Vertretungsorgans, wie einer oder Vorstandsmitglieder einer AG. Diese Pflicht endet nicht allein durch die Aufgabe des Amtes oder andere organisatorische Veränderungen.

Die zentrale Zielsetzung dieser Regelung besteht darin, die Vermögensinteressen der Gläubiger zu schützen. Ein verspäteter Antrag kann dazu führen, dass vorhandene Vermögenswerte weiter schrumpfen und die Chancen der Gläubiger, ihre Forderungen zu befriedigen, erheblich sinken. Insolvenzverschleppung ist daher ein Straftatbestand (§ 15a Abs. 4 InsO), der mit empfindlichen Sanktionen geahndet wird.

Wann liegt Insolvenzverschleppung vor?

Die rechtliche Grundlage für die Beurteilung der Insolvenzlage bilden zwei Insolvenzgründe: Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und Überschuldung (§ 19 InsO).

Zahlungsunfähigkeit tritt ein, wenn das Unternehmen nicht mehr in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Entscheidend ist hierbei eine stichtagsbezogene Liquiditätsbilanz, bei der die sofort verfügbaren Zahlungsmittel den fälligen Verbindlichkeiten gegenübergestellt werden. Eine Liquiditätslücke von mehr als 10 % wird dabei als kritisch angesehen. Überschuldung liegt hingegen vor, wenn das Vermögen des Unternehmens die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, eine positive Fortbestehensprognose liegt vor. Diese Prognose muss nachvollziehbar darlegen, dass das Unternehmen innerhalb eines angemessenen Zeitraums saniert werden kann.

Das Gesetz schreibt vor, dass der Insolvenzantrag spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung gestellt werden muss. Wird diese Frist versäumt, liegt eine Insolvenzverschleppung vor. Hinweis: Ich habe hier die kürzesten Fristen genommen – tatsächlich ist zumindest bis zum 31.12.2024 eine 8-Wochen-Frist zu berücksichtigen, weil der Gesetzgeber Interims-Maßnahmen ergriffen hat angesichts der bestehenden Krisen.

Die Rolle des Managements

Die Verpflichtung zur Antragstellung betrifft in erster Linie die Geschäftsführer und Vorstände eines Unternehmens. Subsidiär können auch andere Personen, wie Aufsichtsräte oder faktische Geschäftsführer, zur Verantwortung gezogen werden. Faktische Geschäftsführer sind Personen, die de facto die Geschäftsführung ausüben, ohne formell bestellt zu sein. Ihre strafrechtliche Verantwortlichkeit wird insbesondere dann angenommen, wenn sie die Geschäftsführung dominieren und wesentliche Entscheidungen treffen.

Besondere Aufmerksamkeit erfordert das Verhalten des Managements in der Krise. Die Erstellung eines Liquiditätsstatus und einer Fortbestehensprognose ist hierbei nicht nur ratsam, sondern auch notwendig, um den Eintritt der Insolvenzreife zu bewerten. Fehler oder Versäumnisse in diesem Bereich können als grob fahrlässig gewertet werden und zu einer Strafbarkeit nach § 15a Abs. 5 InsO führen.

Strafrechtliche und zivilrechtliche Konsequenzen

Die strafrechtlichen Sanktionen für Insolvenzverschleppung reichen von Geldstrafen bis zu Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren. In besonders schweren Fällen, wie bei einer bewussten Verschleppung zur Vertuschung anderer Straftaten, können höhere Strafen verhängt werden. Darüber hinaus drohen zivilrechtliche Haftungsansprüche der Gläubiger. Ein Geschäftsführer, der den Insolvenzantrag verspätet stellt, kann persönlich haftbar gemacht werden, wenn Gläubiger durch die Verzögerung einen finanziellen Schaden erleiden.

Ein besonderes Augenmerk liegt auf der sogenannten Inhabilität. Nach § 6 Abs. 2 Nr. 3 GmbHG und § 76 Abs. 2 Nr. 3 AktG darf eine Person, die wegen Insolvenzverschleppung verurteilt wurde, fünf Jahre lang keine Organstellung in einer Kapitalgesellschaft übernehmen.

Praktische Hinweise zur Vermeidung von Insolvenzverschleppung

Um die Risiken einer Insolvenzverschleppung zu minimieren, sollte das Management klare Krisenfrüherkennungssysteme implementieren. Dazu gehören regelmäßige Überprüfungen der Liquiditätslage, die Einhaltung von Dokumentationspflichten und die frühzeitige Einbindung externer Berater wie Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer. Bei Anzeichen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung sollten umgehend Maßnahmen ergriffen werden, um die Sanierung des Unternehmens zu prüfen und gegebenenfalls einen Insolvenzantrag vorzubereiten.

Besondere Vorsicht ist geboten, wenn externe Faktoren wie wirtschaftliche Krisen oder Marktverwerfungen die finanzielle Lage des Unternehmens verschärfen. In solchen Fällen können gesetzliche Regelungen, wie das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG), temporär Erleichterungen bieten. Diese Ausnahmen müssen jedoch sorgfältig dokumentiert und eingehalten werden.


Fazit

Insolvenzverschleppung ist ein komplexes und risikoreiches Thema, das nicht nur rechtliche, sondern auch gravierende wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen kann. Für das Management ist es entscheidend, die rechtlichen Vorgaben zu kennen und proaktiv zu handeln, um eine rechtzeitige Antragstellung sicherzustellen. Nur so lassen sich Haftungsrisiken minimieren und die Interessen der Gläubiger und des Unternehmens gleichermaßen wahren. Die frühzeitige Beratung durch spezialisierte Fachanwälte und die konsequente Umsetzung eines Krisenmanagements sind dabei unverzichtbare Bausteine.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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