EuGH: Keine Filterpflicht in sozialen Netzwerken?

Eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vormals, und immer noch umgangssprachlich „Europäischer Gerichtshof“ oder „EuGH“) macht derzeit Furore unter dem Titel „Soziale Netzwerke nicht zu Copyrightfiltern verpflichtbar„. Auch wenn diese Schlagzeile stimmt: Die Sache verdient einen tiefgehenderen Blick. Es kann sein, dass sich hier etwas richtungsweisendes getan hat, nicht nur für „soziale Netzwerke“.

Worum geht es?
In der Sache ein häufiges Begehr: Wer Plattformen anbietet, die von Nutzern (zahlreich) gebraucht werden, hat schnell das Problem, dass hier Rechtsbrüche begangen werden. Heute in sozialen Netzwerken sind es oft fremde Urheberrechte, die verletzt werden, seit Jahren wird auf um die Verletzung von Markenrechten und Urheberrechten gestritten und die Sharehoster-Problematik ist spätestens seit Megaupload in aller Munde. So alt das Problem ist, so alt ist auch die Forderung: Wer solche Plattformen betreibt, habe doch präventiv dafür Sorge zu tragen, solche Rechtsbrüche zu verhindern.

Vorgeschichte: „Scarlet Extended“
Schon früher hatte der EuGH entschieden (C-70/10, „Scarlet Extended“), dass jedenfalls ein Internet-Zugangsanbieter nicht zu einer (umfassenden) Sperre gerichtlich verurteilt werden kann, da dies durch europäisches Recht (Art. 15 Abs. 1 der 2000/31) „verboten“ sei. Der EuGH stellte hier fest, dass

ein solches Verbot sich u. a. auf innerstaatliche Maßnahmen erstreckt, die einen vermittelnden Dienstleister wie einen Provider verpflichten würden, sämtliche Daten jedes Einzelnen seiner Kunden aktiv zu überwachen, um jeder künftigen Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums vorzubeugen.

Nun handelt es sich bei einem „sozialen Netzwerk“ aber um keinen Internet-Zugangsanbieter – gleichwohl muss gesehen werden, dass der hier betroffene Art. 15 der Richtlinie ein solches Verbot für verschiedene Anbieter vorsieht, u.a. auch für „Hosting“-Anbieter nach Art. 14 der Richtlinie.

Soziale Netzwerke als „Hosting“?
In der nun aktuellen Entscheidung (C‑360/10) stellt der EuGH kurzum klar:

Insoweit steht zunächst fest, dass ein Betreiber einer Plattform für ein soziales Netzwerk im Internet […] auf seinen Servern Informationen speichert, die von Nutzern dieser Plattform eingegeben werden und mit ihrem Profil in Zusammenhang stehen, und dass er somit ein Hosting-Anbieter im Sinne von Art. 14 der Richtlinie 2000/31 ist.

Damit fallen Soziale Netzwerke unter den Art. 14 der Richtlinie, mithin sind sie vom Art. 15 der Richtlinie erfasst, was im Kern dazu führt, dass die Überlegungen der Entscheidung „Scarlet Extended“ Anwendung finden. Das führt dazu, dass letztendlich eine gerichtliche Anordnung einer präventiven Überwachung mit der Rechtsprechung des EuGH für soziale Netzwerke nicht möglich ist.

Weiter gedacht…
Wenn man sich die obigen Zeilen nochmal genau ansieht, muss auffallen, dass dort ein Abstraktum zu lesen ist, wenn davon gesprochen wird, dass der Anbieter „auf seinen Servern Informationen speichert, die von Nutzern dieser Plattform eingegeben werden“. Das trifft auf jeden Webdienst zu, den Dritte nutzen, vom Sharehoster bis zum Forum. Insofern bin ich derzeit bereit, die Entscheidung so zu verstehen, dass grundsätzlich eine präventive Filtertechnik gerichtlich nicht zu verlangen ist.

Stadler weist zu Recht schon darauf hin, dass die Entscheidungen des BGH mit Blick auf eBay vor diesem Hintergrund wohl nicht mehr zu halten sind, zu diesem Ergebnis komme ich derzeit auch. Auch der Blick auf Sharehoster wird sich nun verändern: Das LG Hamburg, AZ. 310 O 116/10, hat zuletzt (anders als das LG Düsseldorf) eine Pflicht zur Installation von präventiven Filtern gesehen – auch das wird nun m.E. nicht mehr zu halten sein, da auch Sharehoster unter den Art. 14 der Richtlinie fallen werden, somit von dieser Entscheidung mit umfasst sind. Die Gelegenheit wird sich bald bieten, dies festzustellen, da der BGH die Entscheidung aus Hamburg wohl noch in diesem Jahr prüfen wird (dazu auch Prof. Hoeren im Interview, der bisher eher skeptisch war). Insgesamt ist m.E. damit zu rechnen, dass alle Webdienste, die Informationen von Dritten verarbeiten, von dieser Entscheidung profitieren werden und nicht zu einer präventiven Kontrolle verurteilt werden können.

Auswirkungen auf Abmahnpraxis?

Ergeben sich darüber hinaus Auswirkungen auf die Abmahnpraxis? Ich bin bekanntlich vorsichtig mit solchen Vorhersagen und möchte mich auch hier in Vorsicht üben. Der BGH hat bisher mit Blick auf den §10 TMG klar gesagt, dass auch bei mangelnder Verantwortlichkeit eine in Betracht kommt – das deutsche Modell der zahlt sich da für die Rechteinhaber aus. Nun steht in Art. 15 der Richtlinie aber

Die Mitgliedstaaten erlegen Anbietern von Diensten im Sinne der Artikel 12, 13 und 14 keine allgemeine Verpflichtung auf, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.

Kann man soweit gehen, die Störerhaftung als eine solche „allgemeine Verpflichtung“ zu verstehen, jedenfalls bei einer rein faktischen Betrachtung? Wenn man das bejahen möchte, verbliebe dann die nächste Frage: Ist ein Haftungsmodell eine „staatlich aufgelegte, allgemeine Verpflichtung“? Ich möchte das noch kritisch sehen, gleichwohl muss man realistisch erkennen, dass hier faktisch am Ende das gleiche Ergebnis heraus käme, wenn man zwar eine solche Überwachung nicht installieren muss, es aber letztlich „freiwillig“ tut, um horrende Kosten durch Abmahnungen abzuwehren. Vielleicht bietet diese Entscheidung einen ersten kleinen Fingerzeig in eine neue Zukunft der Rechtsprechung zur Haftung von Webseiten- und Dienstebetreibern. Ich denke, Hoffnung darf man haben, aber man sollte mit zu starken Verallgemeinerungen dieser Entscheidung doch vorsichtig sein.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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