BGH zur Tragfähigkeit von Indizien bei der Beihilfe zu Kapitalanlagebetrug

Der Indizienbeweis ist ein zentrales Instrument richterlicher Überzeugungsbildung, insbesondere bei der Feststellung subjektiver Tatbestände. Doch wie belastbar müssen Indizien sein, um den Vorwurf vorsätzlicher zu stützen? Diese Frage stand im Mittelpunkt des Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 11. Juli 2024 (Az. III ZR 176/22). Im Kontext eines komplexen Kapitalanlagebetrugs mit internationalen Verflechtungen erteilte der III. Zivilsenat der Praxis der Berufungsgerichte, sich einseitig auf ein schwaches Indiz zu stützen, eine klare Absage – und stärkte zugleich die Verteidigungsrechte im Zivilprozess.

Sachverhalt

Die Kläger hatten im Rahmen eines sogenannten „Systemhandels“ Kapital bei einer Schweizer Vermögensverwaltungsgesellschaft investiert. Nach deren Rückzug aus dem Privatkundengeschäft wurde ihnen eine neue Kapitalanlage in Inhaberschuldverschreibungen einer luxemburgischen Gesellschaft namens Pi. angeboten. Diese Papiere sollten angeblich jederzeit zurückgegeben werden können. Tatsächlich jedoch bestand eine feste Laufzeit bis Ende 2030 – Rücknahmen waren lediglich freiwillig vorgesehen.

Der Beklagte war Verwaltungsratsmitglied dieser neuen Emittentin und gestaltete den Internetauftritt mit. Auf der Website wurde ein Kursverlauf dargestellt, der laut Klägern fingiert war. In einem E-Mail-Schreiben an seine Mitarbeiter forderte der Beklagte eine Visualisierung des Kursverlaufs mit 8–12 % jährlicher Steigerung. Diese Darstellung war aus Sicht der Kläger Bestandteil eines Täuschungssystems. Der Beklagte wurde deshalb wegen Beihilfe zu einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) verurteilt – das Oberlandesgericht hielt das E-Mail-Schreiben für ausreichend tragfähig, um einen Gehilfenvorsatz zu bejahen.

Rechtliche Würdigung des BGH

1. Maßstab für die Beihilfehaftung

Der BGH stellt klar: Die Beihilfe zu einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung setzt einen eigenen Vorsatz des Unterstützenden voraus. Der Helfende muss die Haupttat in ihren wesentlichen Zügen kennen und sie zumindest billigend in Kauf nehmen (bedingter Vorsatz).

Eine bloße „neutrale Handlung“ – wie etwa die technische Darstellung eines Kursverlaufs – kann dann Beihilfe sein, wenn der Unterstützer um die rechtswidrige Absicht des Haupttäters weiß. Andernfalls bleibt sein Verhalten sozialadäquat.

2. Indizien: Tragfähigkeit und Beweiswert

Der BGH rügt, dass das Berufungsgericht der E-Mail des Beklagten eine überzogene Indizwirkung beigemessen hat. Weder der Text noch der Kontext der Nachricht ließen zwingend den Schluss zu, dass der Beklagte in das Täuschungssystem eingeweiht war. Vielmehr sei auch eine rein marketinggetriebene Kursdarstellung – etwa in Analogie zu geschlossenen Fonds – denkbar.

Wörtlich heißt es, das Schreiben sei „nicht geeignet, eine Kenntnis von einer Täuschungsabsicht zwingend zu belegen“. Der BGH erinnert daran, dass Indizien niemals isoliert, sondern in den Gesamtzusammenhang eingeordnet werden müssen. Fehlt es an dieser kontextualisierten Würdigung, liegt ein Verstoß gegen § 286 vor.

3. Pflicht zur eigenständigen Prüfung in der Berufungsinstanz

Ein weiterer zentraler Punkt der Entscheidung betrifft die Tatsachenfeststellung im Berufungsverfahren. Das OLG hatte sich an die erstinstanzliche Beweiswürdigung gebunden gefühlt (§ 529 Abs. 1 ZPO), ohne sich eine eigene Überzeugung zu bilden – ein rechtlicher Fehler, wie der BGH feststellt. Es habe vielmehr aufgrund von Verfahrensmängeln Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen bestanden, weshalb eine eigene Würdigung geboten gewesen wäre.

4. Verletzung rechtlichen Gehörs

Zusätzlich rügt der BGH eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, da das Berufungsgericht sich mit zentralen Verteidigungsargumenten des Beklagten nicht auseinandergesetzt hatte – etwa mit den Gründen für die eines gegen ihn gerichteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Auch der Vortrag zu alternativen Erklärungen für die Kursdarstellung wurde ignoriert oder zu Unrecht präkludiert.


Bedeutung der Entscheidung

Der BGH verdeutlicht:

  • Indizienbeweise müssen mehr sein als bloße Vermutungen oder suggestive Lesarten.
  • Eine isolierte Betrachtung einzelner Beweismittel ist unzulässig.
  • Der Gehilfenvorsatz erfordert konkretes Wissen oder billigendes Inkaufnehmen – nicht bloß hypothetische Möglichkeiten.
  • Die Berufungsgerichte sind verpflichtet, sich eigenständig und kritisch mit den Beweisgrundlagen auseinanderzusetzen.

Für die Praxis bedeutet dies eine Stärkung der prozessualen Fairness – gerade in komplexen Wirtschaftsstreitigkeiten, in denen Beteiligte oftmals nur mittelbar mit der Haupttat in Verbindung gebracht werden.

Rechtsanwalt Jens Ferner, TOP-Strafverteidiger und IT-Rechts-Experte - Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für IT-Recht

Nicht jedes Indiz ist tragfähig. Und nicht jede technische Mitwirkung an einer Kapitalanlage begründet strafrechtliche oder deliktsrechtliche Verantwortung. Mit seinem Urteil wahrt der BGH das Gleichgewicht zwischen Anlegerschutz und rechtsstaatlicher Schuldzurechnung – und mahnt zu differenzierter Betrachtung, wo pauschale Schuldzuweisungen verlockend erscheinen.

Schlussfolgerung

Die Entscheidung ist ein Plädoyer für die sorgfältige Beweiswürdigung im Zivilprozess und für die Zurückhaltung bei der Kriminalisierung beruflicher Handlungen im wirtschaftlichen Kontext. Der BGH zieht eine klare Linie: Wo bloße Indizien den Tatnachweis nicht tragen, darf nicht mit der Schärfe des Deliktsrechts geurteilt werden.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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