Eine bisher nicht beachtete Entscheidung des OLG Hamm (I-4 U 41/11) dürfte nicht nur Rechtsanwälte aufhorchen lassen: Das OLG Hamm hatte sich mit der Werbung eines Rechtsanwalts zu beschäftigen, der abgemahnt wurde, nachdem er diverse Online-Shops angeschrieben hat um dort auf sich aufmerksam zu machen. In dem Anschreiben vertrat er u.a. die Ansicht, Artikel 246 § 3 EGBGB würde gegen europäisches Recht verstoßen und es bestünde die Gefahr, dass man abgemahnt wird, obwohl man seine Verbraucherbelehrungen im Einklang mit Artikel 246 § 3 EGBGB verfasst hat.
Ein anderer Rechtsanwalt mahnt daraufhin ab – und bekam vom OLG Hamm Recht.
OLG Hamm zur Rechtsmissbräuchlichkeit der Abmahnung
Das OLG Hamm untersuchte, ob eine rechtsmissbräuchliche Abmahnung vorlag und stelle kurz – und verallgemeinerungsfähig – fest:
- Eine kurz gesetzte Frist von 4 Tagen ist kein Indiz für einen Rechtsmissbrauch
- Ein Streitwert von 40.000 Euro ist ebenfalls kein Indiz, zumal regelmäßig ohnehin 30.000 Euro anzusetzen sind.
Abwegige Rechtsmeinung als Abmahnungsgrund?
Die Entscheidung des OLG bietet m.E. einigen Sprengstoff, nicht nur, aber vor allem für die anwaltliche Werbung. Im Kern wird festgestellt, dass die geäußerte Meinung – also dass Abmahnungen möglich sind, obwohl man im Einklang mit nationalem Recht belehrt – falsch ist. Das OLG differenziert nicht deutlich, ob es sich um eine nur abwegige oder letztlich unvertretbare Auffassung handelt, was m.E. zu kurz gegriffen ist. Letztlich wird aber festgestellt, dass die geäußerte Aufassung aus zwei Gründen schlicht falsch ist:
- Es wird festgestellt, dass eine europäische Richtlinie grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung enfaltet.
- Wenn Sie ausnahmsweise doch eine unmittelbare Wirkung entfaltet, dann nur im Verhältnis zum Staat, nicht unter den einzelnen Privatrechtssubjekten.
Damit kommt das OLG Hamm zu der formaljuristisch richtigen Erkenntnis, dass eine wirksame Abmahnung in diesem Zusammenhang von nicht ausgesprochen werden kann. Wobei nicht thematisiert wurde, dass es gleichwohl deswegen vielleicht zu Abmahnungs-Versuchen kommen könnte, was m.E. in dieser Form aber nicht von der Werbung des Anwalts gemeint war. Diese wohl unvertretbare Meinung (also nicht nur abwegige) erklärt das OLG Hamm dann zum Wettbewerbsverstoß. Denn zum einen wird hier eine Fehlvorstellung bei den
Die von dem Antragsgegner hervorgerufene Fehlvorstellung ist auch wettbewerbs-rechtlich relevant. Dies ergibt sich daraus, dass Onlinehändler aufgrund eines solchen Schreibens sich veranlasst sehen könnten, den Beklagten mit einer Überprüfung ihrer Widerrufsbelehrung zu beauftragen und ggf. weitere Mandate zu erteilen.
Dies ist im Ergebnis wettbewerbswidrig – zum einen, weil irreführend etwas erklärt wird, was so nicht stimmt und zum anderen, weil letztlich über die Notwendigkeit der beworbenen Dienstleistung (dazu §5 I S.2 Nr.5 UWG). Die wettbewerbsrechtliche Relevanz wurde im Übrigen bejaht:
Die von dem Antragsgegner hervorgerufene Fehlvorstellung ist auch wettbewerbs-rechtlich relevant. Dies ergibt sich daraus, dass Onlinehändler aufgrund eines solchen Schreibens sich veranlasst sehen könnten, den Beklagten mit einer Überprüfung ihrer Widerrufsbelehrung zu beauftragen und ggf. weitere Mandate zu erteilen. Dies führt bei anderen Rechtsanwälten, so auch bei der Antragstellerin zu einem Wettbewerbsnachteil.
Folgen für die anwaltliche Werbung
Die anwaltliche Werbung im Internet hat inzwischen sehr spezielle Dimensionen erreicht – mitunter erlebt man, dass Gesetze noch nicht vom Bundestag beschlossen sind (geschweige denn im Bundesgesetzblatt veröffentlicht), wohl aber bereits „Abmahn-Warnungen“ herausgegeben und „frühzeitliche anwaltliche Beratung“ angedient wird. Das OLG Hamm zieht hier nun eine erste, klare Grenze, konkret für anwaltliche Werbung. Diese wird mit dem OLG Hamm wohl nicht mehr möglich sein, indem man mit vollkommen unvertretbaren Meinungen auf „Kundenfang“ geht. Zugleich wurde aber keine Untergrenze gezogen – wer die Entscheidung aus Hamm studiert, wird sich zu Recht fragen müssen, wie das bei „nur abwegigen“ und „vollkommen abwegigen“ Meinungen aussieht. Das vom OLG Hamm geöffnete Fass ist insofern äußerst problematisch. Nicht zuletzt, weil es zum juristischen Handwerk gehört, verschiedene Meinungen zu vertreten und auch je nach Bedarf sich die passende Meinung auszusuchen.
Sicherlich muss man im Rahmen der anwaltlichen Werbung nicht jedes Mal an das OLG Hamm denken, wenn man – wie gewohnt – darauf verweist, dass klugerweise bei (bestimmten) rechtlichen Problemen der Rat eines Anwalts einzuholen ist. Spätestens aber wenn mit eigenen Einschätzungen die besondere Notwendigkeit betont wird, muss nun wohl genauer hingesehen werden.
Folgen für die sonstige Werbung
Die Frage lautet: Lässt sich die Entscheidung aus Hamm verallgemeinern? Der §5 I S.2 Nr.5 UWG fristet bisher ein gewisses Schattendasein, die Kommentierung im Köhler/Bornkamm (§5, Rn. 4.192a) beschränkt sich auf wenige Zeilen, die sich (entsprechend dem Gesetzeswortlauf) vor allem auf Reparaturen beziehen. Mit dem OLG Hamm ändert sich nun der Fokus auf Dienstleistungen in stark verallgemeinerter Form – und lässt sich sicherlich auch auf andere Dienstleister übertragen. Wenn etwa Zahnärzte, Ärzte oder Kosmetiker auf Grund einer persönlichen Meinung, die vielleicht nicht unumstritten ist, dazu raten die eigene Dienstleistung in Anspruch zu nehmen, weil diese besonders notwendig sein soll, kann man hier vielleicht mit dem OLG Hamm einen Einstieg für eine Abmahnung finden.
Im Fazit bleibt ein gewisses Risiko bei der Bewerbung eigener Dienstleistungen mit Einschätzungen, die nicht „Mainstream“ sind. Ich denke nicht, dass man bereits wettbewerbsrechtlich relevant handelt, wenn man eine zwar andere, aber vertretbare Meinung zur Werbung nutzt. Insofern ist auch zu sehen, dass die hier beim OLG Hamm verhandelte Ansicht m.E. in der Tat unvertretbar war. Allerdings sind auch das wieder Abwägungen, im Ergebnis bleibt die Unsicherheit.
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