Die Haftung von Vorstandsmitgliedern gegenüber ihrer eigenen Aktiengesellschaft oder GmbH zählt zu den schärfsten und zugleich meistdiskutierten Instrumenten der Unternehmensverfassung. Spätestens seit der vielzitierten ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1997 ist die Innenhaftung – also die persönliche Verantwortung des Vorstands für Pflichtverstöße im Verhältnis zur eigenen Gesellschaft – ins Zentrum des zivilrechtlichen und unternehmenspolitischen Interesses gerückt.
1. Rechtlicher Rahmen: §§ 93 AktG und 43 GmbHG
Die zentrale Norm für Aktiengesellschaften ist § 93 Abs. 2 AktG. Sie verpflichtet Vorstandsmitglieder, bei Pflichtverletzungen gegenüber der Gesellschaft den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Ergänzt wird dies durch eine Beweislastumkehr zugunsten der Gesellschaft: Das betroffene Vorstandsmitglied muss nachweisen, die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters beachtet zu haben.
Für Geschäftsführer von GmbHs gilt § 43 Abs. 2 GmbHG mit nahezu identischer Systematik. Auch hier greift das Prinzip der solidarischen Haftung für Pflichtverletzungen, wobei die Gesellschafter als Kontrollorgan über die Geltendmachung von Ansprüchen entscheiden.
2. Reichweite und Grundsätze der Innenhaftung
Die Innenhaftung ist eine sogenannte organschaftliche Verantwortung. Sie greift nicht erst bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz – sondern bereits bei einfacher Fahrlässigkeit. Entscheidend ist die Pflichtwidrigkeit im Rahmen der organbezogenen Leitungsaufgaben: Geschäftsführung, Legalitätskontrolle, Risikomanagement und Corporate Compliance.
Ein besonders strenger Maßstab wird an Verstöße gegen die sogenannte Legalitätspflicht angelegt – also die Pflicht, alle rechtlichen Vorschriften einzuhalten und entsprechende Compliance-Strukturen im Unternehmen sicherzustellen.
3. Business Judgement Rule: Spielraum und Schutz
Dem gesetzlich verankerten strengen Haftungsmaßstab steht ein Schutzmechanismus gegenüber: Die Business Judgement Rule (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG). Sie schützt unternehmerische Entscheidungen dann vor nachträglicher Kritik, wenn das Vorstandsmitglied auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft und in gutem Glauben gehandelt hat.
Allerdings gilt: Nur echte unternehmerische Entscheidungen – nicht etwa Verstöße gegen Rechtsnormen oder Compliance-Pflichten – unterfallen diesem Schutz.
4. Durchsetzung und prozessuale Praxis
Seit dem UMAG (Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts) besteht mit § 148 AktG ein spezielles Klagezulassungsverfahren, das auch Minderheitsaktionären ermöglicht, Ansprüche im Namen der Gesellschaft gegen Vorstandsmitglieder gerichtlich durchzusetzen. Diese Regelung hat die praktische Bedeutung der Innenhaftung spürbar erhöht.
Zudem trifft den Aufsichtsrat eine eigene Pflicht zur Prüfung und ggf. gerichtlichen Geltendmachung solcher Ansprüche. Ein pflichtwidriges Unterlassen kann wiederum zu einer Haftung des Aufsichtsrats führen.
5. D&O-Versicherung: Absicherung mit Konfliktpotenzial
Die Innenhaftung ist in der Praxis regelmäßig Gegenstand von D&O-Versicherungen. Diese schützen das private Vermögen von Vorständen und Geschäftsführern vor ruinösen Schadenersatzforderungen – zugleich aber auch das Unternehmen, dem bei erfolgreicher Inanspruchnahme zumindest ein Zugriff auf Versicherungssummen offensteht.
Allerdings besteht ein Spannungsverhältnis zwischen den Interessen der versicherten Organe und dem der Gesellschaft als Versicherungsnehmerin und potenziell Geschädigter. Insbesondere wenn Verteidigungskosten aus der Versicherungssumme bezahlt werden, sinkt der für eine mögliche Entschädigungsleistung zur Verfügung stehende Betrag.
Für das Management bedeutet das: Haftungsvermeidung beginnt bei der Organisationsgestaltung, setzt sich in der Compliance-Kultur fort und endet nicht bei der D&O-Police. Die Haftungsrisiken lassen sich nicht beseitigen, aber managen – durch Transparenz, Vorsicht und verantwortungsvolles Handeln.
6. Fazit
Die rechtlichen Grundlagen der Innenhaftung folgen einem klaren Prinzip: Wer Leitungsverantwortung übernimmt, haftet bei Pflichtverletzung persönlich und umfassend. Die gesetzlich normierte Beweislastumkehr und die strikte Ausgestaltung der Legalitäts- und Kontrollpflichten machen die Organhaftung zu einem scharfen Schwert – und fordern eine professionelle, vorausschauende und dokumentierte Unternehmensführung.
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