Vertragsstrafe trotz neuer Formulierung: OLG Hamm konkretisiert Maßstab zur Inhaltsgleichheit von AGB-Klauseln

Das Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 15.04.2025 – 4 U 77/24) hat sich mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen eine modifizierte Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) trotz sprachlicher oder struktureller Veränderungen als „inhaltsgleich“ im Sinne einer bestehenden Unterlassungsverpflichtung gewertet werden kann.

Der Fall betrifft die Geltendmachung einer durch einen Verbraucherverband wegen einer Klauselverwendung, die nach Auffassung des Klägers gegen ein zuvor erklärtes Unterlassungsversprechen verstieß. Die Entscheidung bietet nicht nur praxisrelevante Leitlinien zur Auslegung vertraglicher Unterlassungserklärungen, sondern auch zur Anwendung der sogenannten Kerntheorie bei der Beurteilung von AGB-Verstößen.

Sachverhalt

Ein Betreiber eines Schwimmbads hatte 2017 nach einer eines qualifizierten Verbraucherschutzverbands eine strafbewehrte abgegeben. Hintergrund war eine Klausel in der Badeordnung, wonach Badegäste im Falle des Verlusts von Chips oder Leihgegenständen einen pauschalen Schadenersatz schuldeten. Der Verband sah darin eine unzulässige verschuldensunabhängige Haftung sowie einen Verstoß gegen das Transparenzgebot.

Im Jahr 2023 verwendete das Unternehmen erneut eine Klausel, die an den Verlust solcher Gegenstände eine Sicherheitsleistung knüpfte und eine nachträgliche Abrechnung mit einer etwaigen Chipbelastung vorsah. Der Verbraucherverband war der Ansicht, dass diese Neuregelung im Kern die zuvor abgemahnten Rechtsverstöße wiederholte, insbesondere hinsichtlich der verschuldensunabhängigen Haftung, und forderte die vereinbarte Vertragsstrafe.

Rechtliche Würdigung

Das Landgericht Dortmund hatte die zunächst abgewiesen mit der Begründung, dass keine inhaltsgleiche Klausel im Sinne der Unterlassungsverpflichtung verwendet worden sei. Dieser Einschätzung folgte das OLG Hamm ausdrücklich nicht. Der Senat stellte klar, dass die Prüfung der Inhaltsgleichheit nicht nur formale, sondern inhaltlich-funktionale Maßstäbe anzulegen hat, wobei insbesondere auf die Kerntheorie aus dem Lauterkeitsrecht zurückzugreifen sei.

Zentraler Prüfstein sei, ob der „Kern der Verletzungshandlung“ durch die neue Klausel weiterhin berührt werde. Dies sei hier der Fall: Die neue Klausel stelle nach ihrem objektiven Regelungsgehalt – trotz einer anderen Formulierung – weiterhin eine verschuldensunabhängige Haftung des Badegastes in Aussicht, jedenfalls für den Fall, dass eine Abrechnung nicht möglich ist oder missbräuchliche Drittnutzung erfolgt. Zudem sei es für die rechtliche Beurteilung unerheblich, ob eine solche Situation tatsächlich bereits vorgelegen habe. Die bloße Möglichkeit genüge, um eine unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu bejahen.


Der Senat verwies in seiner Argumentation auf die interessengerechte Auslegung des Unterlassungsvertrags unter Berücksichtigung der beiderseitigen Erklärungsinhalte und des Abmahnkontextes. Wenn der Verwender – wie hier – eine umfassende Unterlassungserklärung ohne Vorbehalte abgebe, sei davon auszugehen, dass sämtliche in der Abmahnung benannten Unwirksamkeitsgründe erfasst sein sollen.

Ebenso wenig ließ das Gericht gelten, dass die neue Klausel durch die Festlegung eines konkreten Betrags von 80 Euro an Transparenz gewonnen habe. Die Eliminierung eines der ursprünglichen Mängel (fehlende Klarheit zur Schadenshöhe) führe nicht dazu, dass die verbleibenden rechtlichen Probleme (hier: Haftung ohne Verschulden) entwertet würden. Die entscheidende Vergleichseinheit sei die funktionsgleiche Regelung im Kontext des Klauselzwecks, nicht deren sprachliche Hülle.

Konklusion

Die Entscheidung des OLG Hamm unterstreicht mit bemerkenswerter Deutlichkeit, dass sich Unternehmen nicht durch sprachliche Kosmetik von einmal eingegangenen Unterlassungspflichten befreien können. Maßgeblich bleibt die inhaltliche Substanz der beanstandeten Klausel. Wer in einer modifizierten Fassung erneut denselben rechtlichen Effekt herstellt, riskiert die Vertragsstrafe – selbst wenn einzelne Kritikpunkte der ursprünglichen Fassung beseitigt wurden.

Für die Vertragspraxis ergibt sich daraus eine präzise Leitlinie: Wird eine AGB-Klausel aufgrund mehrerer rechtlicher Kritikpunkte abgemahnt, genügt es nicht, nur einzelne dieser Aspekte zu überarbeiten. Andernfalls bleibt das Risiko einer Vertragsstrafe bestehen – insbesondere, wenn die Klausel weiterhin an dieselben materiellen Folgen anknüpft.

Die Essenz der Entscheidung liegt damit in der Bestätigung eines funktional-teleologischen Prüfmaßstabs zur Inhaltsgleichheit von AGB-Klauseln im Kontext bestehender Unterlassungsverträge. Wer gegen das Kernanliegen der einst abgemahnten Regelung erneut verstößt, kann sich nicht auf formale Veränderungen berufen. Die wirtschaftliche Bedeutung einer solchen Konstellation ist erheblich – insbesondere für Anbieter mit großem Klauselbestand und regelmäßigem Verbraucherbezug.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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