Stalking: Rechtliche Grenzen der Nachstellung

Mit Beschluss vom 8. April 2025 (Az. 5 ORs 9/25) hat das Oberlandesgericht Hamm eine strafrechtlich wie systematisch bedeutsame Entscheidung zur Reichweite des Nachstellungstatbestands gemäß § 238 StGB gefällt. Im Zentrum steht die Frage, wann mehrere einzelne Verhaltensweisen als eine einheitliche Tat oder als mehrere selbständige Nachstellungstaten zu behandeln sind. Zugleich wird das Verhältnis zur Bedrohungstat nach § 241 StGB, zur Strafzumessung und zur Bewährungsentscheidung beleuchtet – stets vor dem Hintergrund einer zutiefst persönlichen Trennungskonfliktsituation.

Hintergrund

Der Angeklagte konnte sich nicht mit der Trennung von seiner Ehefrau abfinden und begann, ihr in vielfacher Weise nachzustellen. Dies äußerte sich durch wiederholte, in ihrem Inhalt drastische Sprachnachrichten, in denen Todesdrohungen und sexualisierte Gewaltfantasien artikuliert wurden. Zudem kam es zu einem konkreten Auflauern vor einem Supermarkt sowie zu einem Vorfall, bei dem er ihre Wohnung aufsuchte, allerdings nicht mehr angetroffen wurde. Strafrechtlich relevant wurde dieses Verhalten sowohl unter dem Aspekt der Nachstellung (§ 238 StGB) als auch der Bedrohung (§ 241 StGB), wobei das Landgericht Essen ursprünglich zu mehreren Einzelverurteilungen gelangt war.

Rechtliche Kernfragen und Beurteilung durch das OLG

Zentral war für das Revisionsgericht die dogmatisch äußerst anspruchsvolle Abgrenzung, ob es sich bei den Verhaltensweisen um eine einheitliche Tat im materiell-rechtlichen Sinn oder um mehrere selbstständige Delikte handelt. Der 5. Strafsenat betonte unter ausdrücklichem Rückgriff auf die höchstrichterlich entwickelten Maßstäbe, dass eine neue Nachstellungstat nur dann beginne, wenn der Täter eine erste Phase abgeschlossen und anschließend aufgrund eines neuen Tatentschlusses wieder angesetzt habe. Entscheidend sei also nicht die Anzahl der Verhaltensakte an sich, sondern das subjektive Vorstellungsbild des Täters – ein Maßstab, der eine hohe Beweisdichte und sorgfältige tatrichterliche Analyse voraussetzt.

Konsequenterweise rügte das OLG, dass die Vorinstanz insoweit keine belastbaren Feststellungen getroffen habe. Gerade bei zeitlich nah beieinanderliegenden Handlungen – etwa mehreren Drohnachrichten an einem einzigen Tag – spreche vieles für eine fortlaufende Motivationslage, die eine Annahme mehrerer selbstständiger Delikte verbiete. Derartige Fälle seien unter dem Gesichtspunkt der sogenannten „tatbestandlichen Handlungseinheit“ zu subsumieren, nicht aber als Tatmehrheit.

Ein weiterer Aspekt betraf die Nachstellung durch physische Annäherung: Die bloße Anwesenheit vor der Wohnung der Geschädigten genüge nicht, um die für § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB geforderte räumliche Nähe zum Opfer zu begründen. Solange nicht festgestellt ist, dass das Opfer tatsächlich anwesend war, fehlt es an einem zentralen Tatbestandsmerkmal.

Strafzumessung und Bewährungsfrage

Im Kontext der Strafzumessung mahnte das Gericht eine trennscharfe Anwendung des Doppelverwertungsverbots aus § 46 Abs. 3 StGB an. Die wiederholte Begehung und deren Angstauslösung seien Teil des jeweiligen Tatbestands und dürften deshalb nicht zusätzlich strafschärfend berücksichtigt werden. Allein die Tateinheit von Nachstellung und Bedrohung rechtfertige eine Verschärfung.

Die Prognoseentscheidung zur Strafaussetzung zur Bewährung war ebenfalls defizitär. Die Kammer hatte es versäumt, konkret auf die Entwicklung des Täters seit der Tat einzugehen, obwohl mittlerweile mehr als zwei Jahre vergangen waren. Weder wurde eine mögliche Therapie noch ein Einstellungswandel erörtert. Eine echte individuelle Zukunftsprognose fehlte damit, was gerade bei einem hochpersönlichen Beziehungskonflikt von zentraler Bedeutung ist.

Schlussfolgerung

Der Beschluss des OLG Hamm liefert eine nuancierte und zugleich dogmatisch präzise Orientierung zur Anwendung des § 238 StGB in der gerichtlichen Praxis. Dabei werden nicht nur die dogmatischen Voraussetzungen der Nachstellung in ihrer modernen, durch das Gesetz von 2021 reformierten Form geschärft, sondern auch die prozessualen Anforderungen an die Beurteilung des subjektiven Tatentschlusses und der Einheitlichkeit der Tatbegehung unterstrichen.

Die Kernaussage dieser Entscheidung liegt in der Betonung des inneren Tatplans als maßgeblicher Ankerpunkt für die rechtliche Bewertung. Eine formale Aneinanderreihung von Einzeltaten genügt gerade nicht. Entscheidend bleibt, ob ein Täterverhalten als Ausdruck eines durchgehenden Willens zu deuten ist – eine Feststellung, die nicht durch juristische Automatismen ersetzt, sondern durch konkrete Tatsachenermittlung gestützt sein muss.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Spezialist für Strafverteidigung (insbesondere bei Wirtschaftskriminalität wie Geldwäsche, Betrug bis zu Cybercrime) sowie für IT-Recht (Softwarerecht und KI, IT-Vertragsrecht und Compliance) mit zahlreichen Publikationen. Als Fachanwalt für Strafrecht und IT-Recht vertrete ich Mandanten in komplexen Zivil- und Strafverfahren, insbesondere bei streitigen Fragen im Softwarerecht, bei der Abwehr von strafrechtlichen Vorwürfen oder Ansprüchen in der Managerhaftung sowie bei der Einziehung von Vermögenswerten. Mein Fokus liegt auf der Schnittstelle zwischen technischem Verständnis und juristischer Strategie, um Sie in digitalen Fällen und wirtschaftlichen Strafsachen effektiv zu verteidigen und zu beraten.

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Von Rechtsanwalt Jens Ferner

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