Mit Urteil vom 4. März 2025 (Az. 27 O 110/24) hat das Landgericht Berlin eine Entscheidung getroffen, die über ihren konkreten Einzelfall hinaus Maßstäbe für den Umgang mit konkludenter Einwilligung zur Veröffentlichung personenbezogener Daten im Presserecht setzt. Im Zentrum stand die Frage, ob eine identifizierende Berichterstattung – bestehend aus Foto, vollem Namen und Altersangabe – über eine betroffene Person zulässig ist, wenn diese sich im Rahmen einer journalistischen Recherche in ihrer Wohnung fotografieren ließ und persönliche Angaben machte, ohne dem Vorgang zu widersprechen.
Die Entscheidung beleuchtet dabei nicht nur die klassische Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Pressefreiheit, sondern wirft auch grundlegende Fragen zur Reichweite des Medienprivilegs unter der DSGVO sowie zur rechtlichen Qualität des journalistischen Gesprächs auf. Dass das Gericht eine konkludente Einwilligung annimmt, ohne dass eine aktive Erklärung des Einverständnisses dokumentiert wurde, rückt den Maßstab für die Annahme eines freiwilligen Rechtsverzichts erneut in den Mittelpunkt der Debatte.
Der Fall: Informiertes Schweigen oder mediale Überrumpelung?
Die Klägerin hatte sich gegen eine Online-Berichterstattung gewandt, in der ihr vollständiger Name, ihr damaliges Alter sowie ein Foto aus dem Treppenhaus ihres Wohnhauses veröffentlicht worden waren. Die Veröffentlichung erfolgte im Kontext eines Artikels über einen Vorfall, bei dem durch eine mutmaßlich unsachgemäße Nutzung von Deo-Dosen eine Explosion in einem Wohnhaus verursacht wurde. Die Klägerin war eine der Bewohnerinnen und wurde einige Tage nach dem Vorfall von einer Reporterin aufgesucht.
Streitpunkt war, ob die Klägerin in die Veröffentlichung konkludent eingewilligt hatte. Nach Darstellung der Beklagten hatte die Klägerin der Journalistin bereitwillig ihre Wohnung gezeigt, über das Geschehen berichtet, ein Foto in Szene gestellt und ihren vollständigen Namen sowie ihr Alter mündlich übermittelt. Die Klägerin hingegen berief sich auf Überrumpelung, eine fehlende Aufklärung über die journalistische Absicht und einen unklaren Kontext, der keine hinreichende Grundlage für eine wirksame Einwilligung darstelle.
Rechtliche Würdigung: Pressefreiheit, Einwilligung und Persönlichkeitsrecht
Das Gericht verneinte den geltend gemachten Unterlassungsanspruch – mit bemerkenswerter Begründung. Zunächst stellte es klar, dass die Veröffentlichung weder gegen § 22 KUG noch gegen datenschutzrechtliche Normen verstoße, da die Klägerin jedenfalls konkludent in die Veröffentlichung eingewilligt habe. Dabei betonte die Kammer die Maßstäbe für eine stillschweigende Einwilligung: Sie müsse sich nach objektivem Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) als Zustimmung zum Zweck der Veröffentlichung verstehen lassen. Eine Einwilligung könne auch dann vorliegen, wenn der Abgebildete auf Nachfrage Auskünfte gibt, sich fotografieren lässt und nicht zu erkennen gibt, dass er mit einer Publikation nicht einverstanden sei.
Aus Sicht des Gerichts war der Kontext des Gesprächs ausreichend klar: Die Klägerin habe gewusst, dass sie mit einer Journalistin sprach, und dass ihre Angaben in einem journalistischen Artikel verwendet würden. Selbst wenn sie die Zugehörigkeit der Reporterin zu einem bestimmten Medium nicht erkannt habe, sei dies für die Annahme einer Einwilligung unerheblich. Die Klägerin habe sich an einer aktiven Darstellung der Ereignisse beteiligt, persönliche Daten weitergegeben und auch keine Geheimhaltungsvereinbarung getroffen oder andere Anhaltspunkte gesetzt, die eine Veröffentlichung untersagt hätten.
Der Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht scheiterte somit bereits an der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Veröffentlichung. Mangels rechtswidriger Erstbegehung konnte auch keine Wiederholungsgefahr und damit kein Unterlassungsanspruch geltend gemacht werden.
DSGVO und Medienprivileg: Keine Sanktion bei wirksamer Einwilligung
Auch im datenschutzrechtlichen Teil der Entscheidung zeigt das Gericht eine systematisch fundierte Haltung. Zwar handelte es sich unstreitig um personenbezogene Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DSGVO, doch durfte die Beklagte auf eine wirksam – wenn auch konkludent – erteilte Einwilligung gemäß Art. 7 Abs. 1 DSGVO vertrauen. Daneben greift nach Auffassung des Gerichts auch das Medienprivileg gemäß Art. 85 DSGVO, das eine datenschutzrechtliche Verarbeitung durch Presseorgane erlaubt, sofern diese dem Zweck der journalistischen Tätigkeit dient und hinreichend abgewogen wird.
Die Entscheidung stärkt damit die publizistische Praxis gegen eine überdehnte Anwendung datenschutzrechtlicher Schutzstandards – jedenfalls dort, wo der Betroffene sich aktiv in ein Rechercheumfeld einbringt und nicht deutlich macht, einer Veröffentlichung widersprechen zu wollen.
Schlussbetrachtung
In der Kernaussage bringt das Urteil des Landgerichts Berlin eine bemerkenswerte Klarheit in die Frage der konkludenten Einwilligung im Presserecht. Es stellt dabei keineswegs das Persönlichkeitsrecht infrage, sondern legt vielmehr strenge Maßstäbe für das Verständnis journalistischer Interaktion an: Wer sich erkennbar in ein Interview begibt, persönliche Daten nennt und keine Einwände gegen ein offenkundig journalistisches Setting erhebt, muss sich das als konkludente Einwilligung zurechnen lassen – selbst wenn kein ausdrückliches Einverständnis dokumentiert ist.
Zugleich betont die Entscheidung die besondere Stellung des Medienprivilegs in der datenschutzrechtlichen Dogmatik und erinnert daran, dass ein effektiver Schutz der Pressefreiheit nur möglich ist, wenn Journalisten sich auf nachvollziehbare, praxisnahe Annahmen verlassen dürfen. Damit formuliert das Urteil ein realistisches, aber nicht beliebiges Gleichgewicht zwischen individueller Kontrolle über persönliche Daten und der Funktionsfähigkeit journalistischer Recherche – ein Gleichgewicht, das in einer mediatisierten Gesellschaft immer wieder neu austariert werden muss.
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