Datenschutz in der WEG: Der digitale Türspion als bauliche Veränderung

Zu den Rechten und Pflichten von Wohnungseigentümern in Bezug auf bauliche Veränderungen bei datenschutzrechtlich relevanten Maßnahmen hat das Landgericht Karlsruhe (11 S 163/23) eine Entscheidung getroffen: Im Zentrum des Rechtsstreits stand die Frage, ob der Einbau eines digitalen Türspions in eine Wohnungseingangstür ohne Genehmigung der Wohnungseigentümergemeinschaft zulässig ist.

Das Urteil betont, dass selbst einfache digitale Türspione, die weder Speicherfunktionen noch Weitergabemöglichkeiten auf andere Geräte haben, eine bauliche Veränderung darstellen, die einer Genehmigung bedarf. Zudem wurde klargestellt, dass betroffene Wohnungseigentümer einen Anspruch auf Beseitigung eines ungenehmigten digitalen Türspions geltend machen können. Die Entscheidung zeigt eindrucksvoll, wie moderne Technologien klassische wohnungseigentumsrechtliche Fragestellungen beeinflussen und verdeutlicht die Grenzen individueller Freiheit innerhalb einer Gemeinschaft.

Sachverhalt

Der Beklagte, ein Wohnungseigentümer, hatte in seine Wohnungseingangstür einen digitalen Türspion eingebaut. Dieser konnte zwar keine Aufzeichnungen speichern oder an andere Geräte weiterleiten, erlaubte dem Beklagten aber eine Echtzeitbetrachtung des Flurbereichs vor seiner Tür.

Mehrere Miteigentümer fühlten sich durch den Türspion in ihrem allgemeinen verletzt, insbesondere in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Sie argumentierten, dass der Türspion dazu geeignet sei, das gemeinschaftliche Treppenhaus zu überwachen und damit unzulässige Einblicke in das Gemeinschaftseigentum zu gewähren.

Die Wohnungseigentümergemeinschaft hatte über die Installation des Türspions keinen Beschluss gefasst. In der Folge klagten einige Miteigentümer auf dessen Entfernung und beriefen sich auf ihr Recht aus § 1004 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 14 Abs. 2 Nr. 1 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG). Das Amtsgericht Karlsruhe hatte den Beklagten zur Beseitigung des digitalen Türspions verurteilt. Dagegen legte er Berufung ein, die das Landgericht Karlsruhe nun zurückwies.

Rechtliche Analyse

1. Bauliche Veränderung und Genehmigungspflicht

Eine zentrale rechtliche Fragestellung war, ob der Einbau eines digitalen Türspions eine bauliche Veränderung im Sinne des § 20 Abs. 1 WEG darstellt und daher der Zustimmung der Gemeinschaft bedarf.

Das Gericht stellte klar, dass jede Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums, die über die ordnungsgemäße Erhaltung hinausgeht, eine bauliche Veränderung darstellt. Die Wohnungseingangstür gehört nach ständiger Rechtsprechung zum Gemeinschaftseigentum, selbst wenn sie im Sondereigentum eines Wohnungseigentümers liegt.

Daher durfte der Beklagte nicht eigenmächtig einen digitalen Türspion einbauen. Eine Genehmigung durch die Gemeinschaft wäre erforderlich gewesen. Solange ein solcher Beschluss nicht gefasst wurde, können andere Eigentümer die Beseitigung der baulichen Veränderung verlangen.

2. Persönlichkeitsrechte der Miteigentümer

Ein weiterer entscheidender Aspekt war die Frage, ob der Türspion die Persönlichkeitsrechte der anderen Eigentümer verletzt.

Das Landgericht Karlsruhe verwies auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die von Gemeinschaftsflächen regelmäßig eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt. Dabei kommt es nicht allein darauf an, ob tatsächlich Videoaufzeichnungen gespeichert werden, sondern bereits darauf, ob ein entsteht.

Auch ein digitaler Türspion, der den Eingangsbereich eines Mehrfamilienhauses erfasst, kann einen solchen Überwachungsdruck ausüben. Die Miteigentümer müssen damit rechnen, beim Betreten oder Verlassen des Gebäudes beobachtet zu werden.

Das Gericht stellte fest, dass die Übertragung von Live-Bildern aus dem gemeinschaftlichen Treppenhaus das Persönlichkeitsrecht der anderen Eigentümer beeinträchtigt und somit eine unzulässige Nutzung des gemeinschaftlichen Eigentums darstellt.

3. Kein Duldungsanspruch des Beklagten

Der Beklagte berief sich auf einen möglichen Duldungsanspruch aus § 1004 Abs. 2 BGB und argumentierte, dass sein Interesse an Sicherheit und Kontrolle über den Eingangsbereich seine Maßnahme rechtfertige.

Das Gericht lehnte diesen Einwand ab und stellte klar, dass eine Duldungspflicht nur dann bestehen könnte, wenn die bauliche Veränderung durch einen Beschluss der Eigentümergemeinschaft legitimiert würde. Solange ein solcher Beschluss fehlt, besteht kein Anspruch darauf, dass die anderen Eigentümer die Maßnahme hinnehmen müssen.

Zudem könnten berechtigte Sicherheitsinteressen in anderer Weise gewahrt werden, etwa durch konventionelle Türspione oder Klingelanlagen mit Gegensprechanlagen, die keine dauerhafte visuelle Kontrolle ermöglichen.

Folgen der Entscheidung

Die Entscheidung des LG Karlsruhe hat weitreichende praktische Konsequenzen für Wohnungseigentümergemeinschaften:

  • Jede Veränderung der Wohnungseingangstür – auch wenn sie nur einen digitalen Türspion betrifft – ist genehmigungspflichtig.
  • Miteigentümer können sich gegen digitale Überwachung wehren, auch wenn keine dauerhaften Aufzeichnungen erfolgen.
  • Der Einsatz moderner Technik muss mit den schutzwürdigen Interessen der Miteigentümer in Einklang gebracht werden.

Gerade in Zeiten zunehmender Digitalisierung und smarter Haustechnik müssen Wohnungseigentümer sorgfältig prüfen, ob technische Neuerungen mit dem WEG-Recht und den Rechten der Miteigentümer vereinbar sind.

Fazit

Das LG Karlsruhe hat mit seinem Urteil eine klare Grenze für die Nutzung digitaler Türspione in Wohnungseigentümergemeinschaften gezogen. Selbst wenn solche Geräte keine Speicherung oder Weiterleitung von Aufnahmen ermöglichen, stellen sie eine bauliche Veränderung dar und bedürfen der Zustimmung der Gemeinschaft.

Darüber hinaus verdeutlicht das Urteil, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Miteigentümer eine maßgebliche Rolle spielt. Wer ohne Genehmigung einen digitalen Türspion installiert, riskiert eine Beseitigungsklage – auch wenn kein aktiver Missbrauch der Technik vorliegt. Die Entscheidung betont die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abwägung zwischen technischem Fortschritt und den berechtigten Interessen der Gemeinschaft. Wohnungseigentümer sollten daher vor der Installation entsprechender Geräte den Dialog mit der Eigentümergemeinschaft suchen und eine entsprechende Beschlussfassung herbeiführen.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybercrime, Cybersecurity & Softwarerecht. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen und im Einzelfall Fälle im Arbeitsrecht übernommen!
Rechtsanwalt Jens Ferner

Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybercrime, Cybersecurity & Softwarerecht. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen und im Einzelfall Fälle im Arbeitsrecht übernommen!